Stimme aus der Ferne

Das Interview, das von einer Bloggerin im Exil geführt und auf dem in Russland gesperrten YouTube* veröffentlicht wurde, hat innerhalb von 13 Tagen 23 Millionen Aufrufe erzielt. Das ist nicht verwunderlich, wenn es sich um ein Ínterview mit der Sängerin Alla Pugatschowa handelt. Die Reaktionen darauf ließen nicht lange auf sich warten.

Alla Pugatschowa
Das Interview Pugatschowas wurde 23 Millionen Mal aufgerufen. (Foto: YouTube*)

Eines der neuesten Memes im russischsprachigen Internet: „Alle, die sich nicht zum Interview mit Pugatschowa geäußert haben, möchte ich fragen: Was, verdammt noch mal, habt ihr denn so zu tun? Was sind das für dringende Angelegenheiten?“

Dieser Witz spiegelt die Lage genau wider: Es scheint, dass sich buchstäblich alle an der Diskussion über die Äußerungen der berühmtesten russischen Sängerin beteiligt haben. Dazu haben sich Kollegen aus der Branche und andere prominente Persönlichkeiten, oppositionelle Sprecher und amtierende russische Beamte geäußert sowie diejenigen, die Pugatschowa persönlich kennen, und diejenigen, die ihr Schaffen und die Wendungen ihres Privatlebens nie verfolgt haben.

In einem Interview mit Jekaterina Gordejewa** sprach die Primadonna, wie Alla Pugatschowa genannt wird, über ihr Schaffen, ihre Ehen und außerehelichen Beziehungen sowie über ihre schwierige Kindheit und Familie und ihr heutiges Leben auf Zypern. Das meiste davon war bereits zuvor bekannt. Neu für viele waren jedoch die Geschichten über amtierende russische Beamte und natürlich Pugatschowas Worte über Dschochar Dudajew, den Präsidenten der nicht anerkannten Tschetschenischen Republik Itschkerien***. Pugatschowas Aussage, dass sie Dudajew respektierte, löste eine Flut von Kommentaren in den russischen Medien aus.

So bezeichnete die Schauspielerin Jana Poplawskaja, die das russische Militär an der Front aktiv unterstützt und oppositionell eingestellte Künstler anprangert, die Äußerung über Dudajew als abscheulich. „Der Separatist Dudajew ist für Tausende von Todesfällen verantwortlich. Dudajew drohte, Russland zu stürzen und es in einer nuklearen Katas­trophe auszulöschen. Er begünstigte Banditen, förderte Raub, Mord und Vergewaltigung. (…) Es handelt sich um eine öffentliche Rechtfertigung des Terrorismus, um eine Straftat. Pugatschowa bezeichnet einen Terroristen, einen Mörder russischer Frauen und Kinder, als anständigen Menschen. Und sie bedauert, dass er liquidiert wurde.“ Der tsche­tschenische Machthaber Ramsan Kadyrow forderte die Sängerin auf, „nicht das ganze Volk zu provozieren“, und ein Moskauer Anwalt reichte eine Klage ein, um von Alla Pugatschowa 1,5 Milliarden Rubel wegen „Beleidigung der Armee und Verherrlichung“ von Dschochar Dudajew einzufordern.

Aber das Interview hat erwartungsgemäß auch eine Menge positiver Kommentare bekommen. Unter ihnen ist die Aussage der bekannten Sängerin Lolita Miljawskaja. „Ich habe in ihrem Interview keinen Bruch der Beziehungen zu Russland gefunden. Ich habe darin normale menschliche Erinnerungen und Erlebnisse gefunden. Wer nach Fehlern suchen will, wird sie finden, auch wenn es keine gibt. Ich möchte allen Kritikern sagen: Möge Gott uns allen in ihrem Alter ein solches Aussehen, ein solches Gedächtnis und ein solches Maß an Respekt für die Menschen schenken. Sie war das größte russische Kulturgut, und das bleibt sie auch.“

Man kann Pugatschewa lieben oder hassen. Aber eines ist unbestreitbar: Ihr Fall zeigt einmal mehr, dass es immer eine Alternative gibt. Selbst wenn es so scheint, als würden alle anderen nach festgelegten Regeln spielen, gibt es immer jemanden, der seine eigenen Regeln aufstellt. Die Primadonna äußert sich zu allem, was sie möchte und wann sie möchte.

*gehört zum Unternehmen Meta, das in Russland als extremistisch eingestuft und verboten ist
**in Russland als ausländischer Agent eingestuft
***in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen und in Russland verboten

„Vergessen Sie dieses Russland“

Das Interview mit Alla Pugat­schowa hat viele Russen erreicht. Aber das ist eine Ausnahme von der Regel. Ausgewanderte Russen werden in der Heimat nicht besonders geschätzt, und ihre Meinung interessiert kaum jemanden. Am besten hat dies Xenia Sobtschak in ihrem jüngsten Interview mit Sergej Grey Wiese, einem deutschen Staatsbürger russischer Herkunft, der in Paris lebt, zum Ausdruck gebracht. Ein Zitat von Sobtschak, die laut oppositionellen Medien im Exil wie keine andere sanfte Propaganda zugunsten der russischen Regierung betreibt:

„Die Ausgewanderten sind von der Realität abgekoppelt. Und es geht nicht um ihre Ansichten. Was sie sagen und wie sie es formulieren, hat nichts mit dem heutigen Leben in Russland zu tun.

Vergessen Sie dieses Russland. Sollen die Russen doch mit Bären im Wald Wodka trinken. Leben Sie! Sie sind in Paris, Sie sollten hier das schöne Leben genießen. Ansonsten sieht es so aus, als ob Sie nur die Storys von Ex-Partnern anschauen. Sie sind weggegangen, aber trotzdem diskutieren Sie nur eines: Putin, Putin, was er macht, wen er getroffen hat.“

Igor Beresin

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