Der Kreml will russischen Staatsdienern die Nutzung der Nachrichtendienste WhatsApp, Viber und Telegramm verbieten, berichtet die „Iswestija“. Mit welchen Sanktionen Beamte zu rechnen haben, wenn sie weiterhin diese nicht zertifizierten Programme dienstlich nutzen, soll im Frühjahr 2017 feststehen: An einem entsprechenden Dokument arbeitet nach Kenntnis der Zeitung der Inlandsgeheimdienst FSB.
Als „nicht zertifiziert“ gelten WhatsApp und Co., weil sie nach Meinung von Experten nicht ausreichend gegen ein Abgreifen der Nachrichten von Dritten geschützt seien. Die Leiterin der Firma InfoWatch Natalja Kasperskaja sieht gegenüber „Iswestija“ einen anderen Grund des Missfallens: Die genannten Programme böten den Geheimdiensten keine Einsicht in den Datenverkehr. Auch wenn der Strafenkatalog für verbeamtete WhatsApp-User noch in der Ausarbeitung ist, trügen sie heute schon die volle Verantwortung für das „Chatten“ über als „geheim“ eingestufte Informationen, betonte Kommunikationsminister Nikolaj Nikiforow gegenüber RIA Nowosti.
Versuchskaninchen und Manövriermasse
Die Idee, das Internetverhalten von Beamten zu begrenzen, ist nicht neu. In diesem Frühjahr beschäftigte sich die Duma mit einem Gesetzentwurf, der ein gutes Benehmen in sozialen Netzwerken zur Voraussetzung für die Einstellung in den staatlichen Dienst machen wollte. Wer dabei erwischt wird, wie er den Staat auf Facebook oder VKontakte diskreditiere, solle nicht für ihn arbeiten dürfen. Letztlich wurde der Gesetzentwurf jedoch zurückgezogen. Das Heer der russischen Beamten und Menschen, die von staatlichen Geldern abhängig sind (die sogenannten „Bjudschetniki“) dienen der Politik nicht selten als eine Art Experimentierfeld. Diese Gruppe umfasst nach Schätzungen der „Komsomolskaja Prawda“ etwa 33 Millionen Menschen, wobei die Zeitung bei ihrer Zählung im Jahr 2013 auch Mitarbeiter von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung berücksichtigte (siehe Tabelle).
Offizielle Daten zur Menge der Diener des russischen Staats im weitesten Sinn gibt es nicht. Die Statistikbehörde „Rosstat“ zählte für 2016 allein unter Ärzten und Lehrern 5,8 Millionen „Bjudschetniki“. Ansonsten gibt Rosstat an, dass auf 10 000 Bewohner Russlands 148 Beamte kämen (Stand 2015), womit die Zahl bei etwa 2,2 Millionen liegen dürfte. Auf jeden Fall handelt es sich um ein Millionenheer von Beamten und „Bjudschetniki“, an denen Beschränkungen von Freiheiten getestet werden können (siehe Infokasten) und die auch für andere staatliche Unternehmungen mobilisiert werden können: Sie werden als Teilnehmer von Paraden und Kundgebungen an staatlichen Feiertagen rekrutiert, füllen die Stadien bei staatlichen Konzerten und Events und stimmen bei Wahlen mehr oder weniger freiwillig für die richtige Partei.
Was Russlands Staatsdiener alles nicht dürfen
- Ins Ausland reisen. Hier gibt es für verschiedene Gruppen verschiedene Regelungen: Polizisten und Geheimdienstler dürfen gar nicht, ebenso Beamte mit Zugang zu Staatsgeheimnissen. Soldaten müssen um Erlaubnis bitten.
- Eine ausländische Staatsangehörigkeit haben.
- Unternehmerisch tätig sein.
- Wertpapiere erwerben.
- Konten auf ausländischen Banken haben (gilt auch für ihre Ehegatten und Kinder).
- Sich öffentlich über die Arbeit von Staatsorganen äußern, sofern dies nicht in ihren Verantwortungsbereich fällt.
- Einige hohe russische Staatsdiener dürfen bekanntlich nicht in den Westen reisen, weil sie auf Sanktionslisten stehen – westlichen, versteht sich.
Treue Kunden für neue Kreditkarte
Diese Masse der Abhängigen soll auch ambitionierten Staatsprogrammen aus den Startlöchern helfen. Genau das geschieht zurzeit mit der noch jungen russischen Alternative zu VISA und Mastercard: Russische Banken wurden nämlich verpflichtet, allen „Bjudschetniki“ die Kreditkarte „Mir“ auszustellen, auf die sie künftig ihre Gehälter erhalten sollen. Ab 2018 sollen sogar sämtliche staatlichen Zuwendungen, einschließlich der Renten und Sozialversicherungen, über das eigene Bezahlsystem abgewickelt werden. Dieses wurde bekanntlich im vergangenen Jahr eingeführt, um unabhängiger vom Westen zu sein. Doch der Umstieg lief bisher schleppend. Jetzt sind dem System Millionen neue Kunden garantiert. Doch dieser forcierte Ausbau des Kundenstamms könnte noch zu Überraschungen führen. Als 2015 begonnen wurde, einen Teil der innerrussischen Zahlungen mit VISA und Mastercard über das eigene Bezahlsystem abzuwickeln, kam es wiederholt zu Ausfällen. Wie es weitere Millionen der neuen „Mir“-Karte verkraften kann, ist noch offen. Im Fall der Fälle wären es aber die Diener des Staats, die zunächst am stärksten von Problemen betroffen wären.
Ljubawa Winokurowa