„Russland hat drei natürliche Ressourcen: Erdgas, Wodka und Frauen.“ So erzählt man sich zumindest flachsend in abendlichen Männerrunden. Besonders Letztere ziehen den ein oder anderen auf die nächtliche Piste. Doch auch Wodka ist keine Mangelware in den russischen Nachtklubs – so ganz ohne Klischees. Und davon hat Moskau genug: Von einigen schon mal gehört, sind andere wohl nur Szenen bekannt. Auswahl gibt es aber mehr als genug auf dem „Planeten“ Moskau, was die Entscheidung nicht erleichtert.
Der Mainstream
Dicht an dicht reihen sich jeden Freitag und Samstag die Taxis an der Bolotnaja-Promenade vor den wohl populärsten Klubs Gipsy, Rolling Stones und Icon. Tief dröhnt dabei der Bass aus der ehemaligen Schokoladenfabrik – bis hin zur Christus-Erlöser-Kathedrale. Eines haben die drei Klubs im „Roten Oktober“ alle gemeinsam: reichlich Flirtpotential. Frauen auf hohen Absätzen zeigen sich hier von ihrer Schokoladenseite.
Grimmige Türsteher achten hier besonders streng auf Dresscode und Alkoholpegel. Und wer zu spät kommt, den kann der Ausländerbonus nicht mehr retten. Auch große Männergruppen haben es schwer, durch die „Face-control“ zu kommen. Da der Einlass manchmal einfach eine Sache der Laune der Türsteher ist, unbedingt einen „Plan B“ parat haben. Im Jagger unweit vom Hotel Ukraine ist man am Eingang nicht ganz so streng, dafür gibt es als Alternative zum Dancefloor einen entspannten Sommergarten – um sich in der Tanzpause einen gepflegten Cocktail zu gönnen. Geheimtipp: Die atmosphärische Sommerterrasse des Kryscha Mira mit bestem Panorama-Blick auf das „New York des Ostens“. Gespielt wird in dieser Kategorie vorwiegend Mainstream, der das langjährig geformte, anspruchsvolle Gehör des Liebhabers auf der Suche nach neuen Klängen jedoch kalt lassen kann.
Die Alternativen
Dass man westlichen Metropolen bei avantgardistischen Klangexerimenten in nichts nachsteht, hat Moskau längst bewiesen. „Mainstream war gestern“ im Rodnja, Rabniza, Konstruktor oder Kurgosor: So hat sich nach der Unterdrückung durch die Regierung zu Sowjetzeiten ein regelrechtes Hipster-Mekka entwickelt. Erst diesen Sommer gegründet, weht im noch weitestgehend unbekannten Kurgosor (nahe Belarusskaja) und dem Rabniza nahe dem Leningrader Bahnhof ein Hauch von „Berliner Luft“ über das Parkett, auf dem ausschließlich Sneakers tanzen. Das Konstruktor mit „Keller“-Flair lädt regelmäßig deutsche DJs wie „Kollektiv Turmstraße“ ein. Hier findet die „Watergate-Nacht“ mit talentierten Mischpult-Talenten dem berühmten Berliner Klub an der Spree zu Ehren statt. Einziges Manko: nur zwei kleine Räume bieten wenig Ablenkung, falls der DJ mal „nicht so doll“ ist.
Das Rodnja im avantgardistischen Kunstkomplex „Artplay“ hat sich fest im Moskauer Untergrund etabliert. Legendär sind die abgespacten Parties des Arma17, bei denen man nie weiß, wann sie stattfinden. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass ein Typ im Bademantel oder als Indianerhäuptling verkleidet zum „Deep House“ von „Wolf and Lamb“ abgeht.
Doch die Szene ist der Stadtverwaltung ein Dorn im Auge. Nach Absage des vom Arma organisierten Festival „Outline“ Anfang Juli herrschte Ernüchterung bei aus aller Welt angereisten Gästen. Offiziell formal gegründet, ging es wohl eher um verbotene Substanzen. Wie bei einem Eklat Mitte August im Konstruktor, als Polizisten rund 60 Leute von einer Party mit aufs Revier nahmen.
Zu dieser Kategorie gehört der Klub mit dem Namen, der sofort im Gedächtnis bleibt: Das 1997 gegründete Propaganda ist der erste Schwulen-Klub Moskaus und hat bis heute einen homosexuellen Besitzer. Jeden Sonntagabend trifft sich die hierzulande umstrittene LGBT-Szene. Den Rest der Woche mischen sich die Gesinnungen.
Die Entscheidung
Schicke Klubs geben immer noch den Ton an. Doch es gibt mit klanglich anspruchsvollen Alternativen einen Gegenpol beim Kampf „Sneakers“ gegen „Absätze“. Die Entscheidung über das „Wohin“ bleibt letztendlich Geschmacksache. Doch eines ist sicher, Nachteulen kommen auf ihre Kosten. Schließlich gilt: Moskau schläft nie!
Von Christopher Braemer