Serien: Internet spielt Fernsehen an die Wand

Der Streamingdienst Netflix hat sich die Ausstrahlungsrechte an der russischen Serie „Besser als Menschen“ gesichert. Was für die Filmindustrie in Russland ein Großereignis ist, folgte auf einen Durchbruch im Jahr 2018, das von einer Reihe interessanter Serienprojekte geprägt war, die sich an anspruchsvolle Zuschauer wenden.

Internationaler Erfolg: Dreharbeiten zu „Besser als Menschen“ © kinopoisk.ru

Eine Million US-Dollar hat sich Netflix nach Schätzungen den Kauf der russischen Serie „Besser als Menschen“ kosten lassen. Für das amerikanische Online-Kino ist das ein lachhaft kleiner Betrag, den die russische Industrie jedoch gut gebrauchen kann. Der Filmkritiker Jegor Belikow schreibt in der Internetzeitung M24.ru von einem „Geschenk für die aufstrebende Branche“ und von „Kleingeld“, das Netflix bezahlt habe. „Vielleicht kann man davon ja noch etwas anderes drehen.“

„Besser als Menschen“ erzählt die Geschichte der Roboterfrau Arissa. Sie verletzt das oberste Gebot der Robotertechnik – dass ein Roboter dem Menschen keinen Schaden zufügen darf. Für Netflix ist das nicht die erste Bekanntschaft mit dem russischen Serienmarkt. Davor hatte das Unternehmen bereits eine Handvoll Serien erworben, die im Staatsfernsehen gelaufen waren, darunter „Trotzkij“ und „Sparta“. Als Imageprojekte wurden sie nicht synchronisiert, sondern mit Untertiteln gezeigt. Diesmal ist alles anders: „Besser als Menschen“ soll in 25 Sprachen übersetzt werden und ist für die Sparte Netflix Original vorgesehen, die Eigenproduktionen vorbehalten ist.

Russisch lernen lohnt sich

„Besser als Menschen“ war im Fernsehen bisher nicht zu sehen. Die Zuschauer konnten die Serie nur auf der Internetplattform Start oder aber auf Seiten mit Raubkopien sehen. Das ist kein Einzelfall: Die Seiten mit der größten öffentlichen Resonanz liefen zuletzt nicht im Fernsehen, sondern im Internet. Dabei wirkt „Besser als Menschen“ wie eine unerquickliche Kopie amerikanischer Filme über Maschinen, die ein Eigenleben entwickeln, im Vergleich zum Sozialdrama „Ruft DiCaprio an“ und der Politsatire „Hausarrest“, deren Übersetzung in andere Sprachen bisher nicht geplant ist. Also lernen Sie Russisch, es lohnt sich! Beide Serien wurden auf der Online-Plattform TNT-Premier veröffentlicht, die der Unterhaltungssender TNT eingerichtet hat, der wiederum Gazprom Media gehört. Offenbar war man beim TV-Kanal der Meinung, die Projekte seien zu gewagt fürs Fernsehen. Unbemerkt von der russischen Politik blieben sie trotzdem nicht. Regierungschef Dmitrij Medwedew bekannte bei einem Treffen mit Vertretern von Fernsehsendern, er schaue „Hausarrest“ gern und erkenne darin viele Typen wider. „Manche Dinge sind urkomisch. Das ist interessant, das ist aus dem Leben gegriffen.“

Plakat zu „Ruft DiCaprio an“ © kinopoisk.ru

Schora Kryschownikow, der Regisseur von „Ruft DiCaprio an“, hat sich in Russland einen Namen mit der Hochzeitskomödie „Gorko!“ gemacht. Einen so tiefgründigen Stoff mit Anspielungen auf die Bibel und Ausflügen in den russischen Alltag hätten ihm wohl nicht viele zugetraut. Die Handlung: Zwei Brüder – der Serienstar Jegor und der Looser Lew, Moderator eines kleinen Senders – können einander nicht leiden. Lew beneidet Jegor, der wiederum nur an sich denkt und sich ein schönes Leben macht. Alles ändert sich, als Jegor erfährt, dass er an Aids erkrankt ist. Damit erwartet den Zuschauer ein schmerzhafter Exkurs in das Leben von HIV-Infizierten in Russland – von durchgelegenen Krankenhausbetten bis zum Wachmann der Poliklinik, der überzeugt ist, dass an Aids nur Homosexuelle leiden können.

Kryschownikow macht das, wofür der in Europa viel bekanntere Andrej Swjaginzew in Russland geliebt und kritisiert wird: Er erkundet die Untiefen der russischen Lebenswirklichkeit, die so viele Filmideen hervorbringt, dass Netflix arm werden würde, wollte man jedes Mal zuschlagen.

Zu einer Serien-Sensation wurde auch „Hausarrest“. Das Drehbuch dafür schrieb der Comedian Semjon Slepakow, dessen satirisches Talent kein Geheimnis war. Zur allgemeinen Überraschung richtete er es hier jedoch auf das politische Spielfeld. In „Hausarrest“ wird der Bürgermeister einer Provinzstadt wegen Korruption verhaftet und unter Hausarrest gestellt – in einer alten Kommunalka, wo er als Kind wohnte und immer noch gemeldet ist. Dort findet er sich Seite an Seite mit Leuten wieder, die er links liegen gelassen hat, als er seine politische Karriere verfolgte. Und statt in seiner Villa haust er nun in vier Wänden fast ohne Möbel.

Yandex steigt ins Geschäft ein

Noch könne das Internet in Russland nicht wirklich mit dem Fernsehen konkurrieren, sagte der Gründer der Produktionsfirma Sreda, Alexander Zekalo, der Internetzeitung The Village. Daran werde sich auch nichts ändern, solange „erstaunliche Investoren“ keinen exklusiven Content für die Online-Plattformen herstellten.

Vielleicht sind die „erstaunlichen Investoren“ ja nun gefunden. Dieser Tage wurde bekannt, dass der russische Internetkonzern Yandex  die Produktion eigener Serien aufnimmt. Die Zeitung „Wedomosti“ berichtete über Pläne, bei Filmstudios acht bis zehn Serien zu bestellen. Anfang 2020 sollen die ersten online gehen. Bleibt zu hoffen, dass bis dahin in Russland das Internet nicht abgeschaltet wird.

Ljubawa Winokurowa

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