Schwere Zeiten für Expats

Hohe Lohnkosten bei überschaubarer Produktivität, Job-Hopping und Personalmangel, vor allem in den Regionen – der russische Arbeitsmarkt war für investitionsbereite Unternehmen lange Zeit mit vielen Problemen behaftet. Die Krise verändert die Lage zu Gunsten des Arbeitgebers.

Ein Mann verteilt ein Werbeblatt mit Stellenanzeigen an Besucher eines Karriereforums vor der Manege / Foto: Ria Nowosti.

Nach den Boomjahren ab 2000 machte den Unternehmen in Russland vor allem die niedrige Loyalität der Mitarbeiter zu schaffen. Eine große Zahl expandierender Firmen stand seinerzeit einem geringeren Angebot an qualifizierten Kandidaten gegenüber, die sich ihren Arbeitgeber somit fast aussuchen konnten. Dieses Bild hat sich seit 2014 gründlich geändert, die Verhältnisse haben sich in mehreren Bereichen praktisch komplett ins Gegenteil verkehrt.

Russische Mitarbeiter günstiger als 2013

Zwar erholte sich der Rubelkurs in den letzten Monaten gegenüber Euro und Dollar  – gemessen am Vorkrisenniveau von Herbst 2013 steht dennoch weiterhin ein Minus von knapp 40 Prozent zu Buche. Gemessen in Euro ist die Beschäftigung russischer Mitarbeiter deshalb wesentlich günstiger geworden.

Angesichts der wirtschaftlichen Flaute fiel der Gehaltsanstieg in den meisten Unternehmen während der letzten zwei Jahre moderat aus, so dass sich für die Beschäftigten unter Berücksichtigung der Inflation in den Jahren 2014 und 2015 statistisch sogar ein reales Minus ergab.

Unternehmensbindung steigt in Krisenzeiten

Insbesondere Führungskräfte ha­ben auf dem heutigen Arbeitsmarkt deutlich weniger Möglichkeiten als früher, da die Nachfrage bei russischen und internationalen Unternehmen nach wie vor eher gering ist. Rekrutierende Unternehmen, die in Russland investieren wollen und eine langfristige Karriereperspektive bieten, haben deshalb gute Karten bei der Personalsuche. Gleichzeitig nahm die Mitarbeiterloyalität wieder zu – in Krisenzeiten wissen die Arbeitnehmer Stabilität und Verlässlichkeit zu schätzen.

Führungskräfte: Ungleiche Verteilung

Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal nimmt sowohl im Führungskräftebereich, als auch im Produktions- und Verwaltungsbereich konstant zu. Vor allem die ausländischen Unternehmen vor Ort haben in den letzten 25 Jahren durch Aus- und Weiterbildung sowie der gezielten Entwicklung ihrer Führungskräfte ein Personalreservoir geschaffen, das keine internationalen Vergleiche scheuen muss. Allerdings ist dieses Potential ungleich im Land verteilt: Günstig ist die Situation in Städten und Regionen mit einer hohen Dichte an internationalen Unternehmen. In entlegeneren Regionen dagegen bleibt die Rekrutierung neuer Mitarbeiter nach wie vor ein anspruchsvolles Unterfangen.

Mehr Entlassungen als Einstellungen

Eine regelrechte Trendwende ist auf dem Arbeitsmarkt noch nicht zu erkennen – auch wenn von spektakulären Schließungen und Massenentlassungen inzwischen deutlich weniger zu lesen ist als in den Jahren 2014 und vor allem 2015. Allerdings gaben drei von vier Firmen bei einer Umfrage des Versicherungskonzerns „Alfa Strakhovanie“ an, im Laufe des letzten Jahres mehr Mitarbeiter entlassen als eingestellt zu haben. An der Umfrage nahmen insgesamt 95 Unternehmen teil. Eine in den letzten Wochen vielzitierte „Superjob“-Studie warnt außerdem davor, dass es vor dem Hintergrund von Bürokratieabbau und zunehmender Automatisierung in den nächsten Jahren zu strukturell bedingten Stellenkürzungen kommen könnte. Betroffen sind demnach vor allem Buchhalter sowie Stellen in der Produktion.

Spezialisten: Ortskräfte statt Expats

Für Expatriates bleibt die Situation weiter nicht einfach. Im Zuge von Kostenreduzierungen wurden 2014 und 2015 viele von ihnen entlassen, anderen wurden Arbeitsverträgen auf Rubelbasis umgestellt, um das Wechselkursrisiko für die Arbeitgeber zu eliminieren.

Somit ist bisher keine Renaissance des klassischen Expat-Modells, also die Beschäftigung eines Ausländers auf Grundlage eines Entsendungsvertrags mit dem Mutterhaus, erkennbar. Viele Unternehmen sind bei der Besetzung von Schlüsselpositionen, wie etwa die eines Generaldirektors oder Werksleiters, zwar durchaus an deutschen und westeuropäischen Kandidaten interessiert. Diese sollten im Idealfall aber bereits in Russland leben und bereit sein, auf Grundlage eines lokalen Arbeitsvertrags tätig zu werden. Die meisten Unternehmen auf der Suche sind sowohl für russische, als auch ausländische Kandidaten offen. „Wir ziehen gern einen deutschen Geschäftsführer in Betracht, aber wir wollen die Kosten in Russland abbilden und ein vernünftiges Gehaltsniveau halten“, erklärt ein deutscher Unternehmensvorstand.

Deutsche können bei Gehaltsverhandlungen um etwa ein Drittel höhere Vergütungen durchsetzen als russische Kandidaten; die früher üblichen komfortablen Pakete mit hohen fixen und variablen Bezügen und Zulagen für Wohn-, Schul- und Reiseauslagen gehören heute jedoch fast ausnahmslos der Vergangenheit an.

Christian Tegethoff

Der seit 2008 in Russland tätige Headhunter sucht Führungspersonal vor allem für deutsche Unternehmen in Russland: vom Mittelständler bis zum DAX-Konzern. 2013 machte er sich mit CT Executive Search selbstständig.

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