Russland-Beauftragter: „Schwarz-Weiß-Denken ist nicht hilfreich!“

Seit April 2018 Jahr ist Dirk Wiese (SPD) der Russlandkoordinator der Bundesregierung. Im Gespräch mit der MDZ erklärt er, warum er vor allem auf die jüngere Generation setzt und wie sich die Ostpolitik seiner Partei verändert hat.

Herr Wiese, Sie sind gegen Begriffe wie Russlandversteher und Hardliner. Was stört Sie daran?

Aus meiner Sicht sind das Einordnungen, die in Deutschland ziemlich vorschnell getroffen werden. Das führt dazu, dass man kategorisiert wird und Argumente dann nur noch danach eingeordnet werden, ob man Hardliner gegenüber Putin oder klassischer Putinversteher ist. Das ist in der politischen Diskussion nicht hilfreich. Es gibt Punkte, da sind wir mit der russischen Seite gegenwärtig nicht einer Auffassung. Es gibt aber auch Punkte, wo wir sehr konstruktiv zusammenarbeiten. Man muss das ganz nüchtern und mit einem hohen Maß an Pragmatismus und Realismus angehen. Schwarz-Weiß-Denken, gerade wenn die Welt immer komplexer wird, ist nicht hilfreich!

Der kürzlich beendete Petersburger Dialog war von großen Differenzen geprägt. Sie sahen dagegen Bewegung. Wie kommt das?

Wenn wir allein die Arbeitsgruppe Politik als Maßstab nehmen würden, müsste man sicherlich sagen, dass der Austausch teilweise auch sehr frostig gewesen ist. Aber der Petersburger Dialog ist mehr! Wir haben Arbeitsgruppen wie Gesundheit, Kirche, Medien oder die Zukunftswerkstatt. Hier war an vielen Stellen ein sehr konstruktiver Dialog möglich. In der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, die ich mit Michail Fedotow (Anm. d. Red.: Vorsitzender des beim russischen Präsidenten angesiedelten Menschenrechtsrates) leite, haben wir ein Arbeitsprogramm bis zum nächsten Petersburger Dialog 2019 in Düsseldorf entwickelt. Wir wollen Visa-Erleichterungen für junge Menschen bis 25 Jahre oder die Visumspflicht nach Möglichkeit ganz abschaffen. Außerdem wollen wir die bürokratischen Hürden für den Jugendaustausch abbauen. Wenn ich allein meine Arbeitsgruppe anschaue, war das ein sehr positiver Dialog, den wir auch so weiterführen werden.

Sie machen sich insbesondere für den deutsch-russischen Jugendaustausch stark. Warum?

Oftmals ist heute noch eine ältere Generation aktiv, die sich aus der Friedenspolitik und Willy Brandts Ostpolitik heraus für Russland interessiert und in Städtepartnerschaften oder kulturellen Fragen engagiert. Ich glaube, wir müssen noch mehr daran arbeiten, die jüngere Generation auch wieder für die deutsch-russischen Beziehungen zu begeistern. Und in Russland wird es bald, das bringt die Demografie einfach mit sich, einen Generationswechsel geben. Die Jungen werden übernehmen. 2024 wird da das Datum sein, das in den nächsten Monaten und Jahren für Diskussionen sorgen wird (Anm. d. Red.: In diesem Jahr endet die Amtszeit des Präsidenten). Hier muss man frühzeitig schauen, wo die jungen Leute sind, die in der Administration, in den Regionen und in der Regierung Verantwortung haben und wirklich frühzeitig den Kontakt suchen. Diese Brücken zu bauen, ist für eine Verbesserung der Beziehungen wichtig. Und darum auch der Punkt mit der Visafreiheit.

Sie sprechen außerdem von sogenannten Inseln der Kooperation. Was hat es damit auf sich?

Der Begriff bezieht sich darauf, dass wir Punkte zwischen beiden Seiten haben, bei denen wir nicht einer Auffassung sind. Die Lage auf der Krim, der mangelnde Fortschritt in der Ostukraine, Syrien. Auf der anderen Seite gibt es aber das Iran-Atom-Abkommen, kulturelle Projekte und die Arktis-Ostsee-Kooperation, wo es positiv läuft. Je mehr ich mir diese Inseln herauspicke, wo man durchaus konstruktiv zusammenarbeiten kann, desto mehr Brücken kann ich zwischen den Inseln bauen und so versuchen, wieder Vertrauen aufzubauen.

Welche Grenzen hat dieser kooperative Ansatz? So ist ja beispielweise der Status der Krim für Russland nicht verhandelbar.

Ja, hier gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich sehe das als eklatanten völkerrechtswidrigen Verstoß gegen die KSZE-Schlußakte von 1975 an. Da komme ich mit meinen Kollegen aus der Duma nicht zusammen, die haben da eine andere Auffassung. Man muss das dann auch so hinnehmen. Die russische Seite muss aber auch verstehen, warum ich das so sehe. Das ist ein Punkt, der noch sehr vieler Gespräche bedarf. Es ist dann manchmal sinnvoll zu akzeptieren, dass man, auch wenn man da gerade nicht zusammenkommt, noch andere Punkte zu diskutieren hat.

Bundesaußenminister Heiko Maas fährt einen härteren Kurs, ihre Partei hat vor Kurzem ein Positionspapier zur Russlandpolitik verabschiedet. Wie steht es um die traditionelle Ostpolitik der SPD?

Man kann die Ostpolitik von damals nicht eins zu eins auf heute übertragen. Das funktioniert nicht. Denn es gibt einen elementaren Unterschied. Was heute anders ist als zu der Zeit von Willy Brandt und Egon Bahr: Ostpolitik muss europäisch gedacht werden! Es gibt viel mehr Abstimmungsprozesse mit den osteuropäischen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union. Man darf nicht über die Köpfe der Polen, Tschechen, Slowaken oder Balten hinweg entscheiden. Das muss man auch Moskau immer wieder erklären. Da denkt der eine oder andere noch, man rufe jetzt mal in Berlin an und dann sei alles entschieden. Das funktioniert so nicht mehr. Von daher sind die Akzente heute etwas anders gesetzt.

Das Gespräch führte Birger Schütz.

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