Falsche Freundschaft mit rechts

Für den Kreml ist die Unterstützung der politischen Rechten in Europa ein Werkzeug im Machtkampf mit der Europäischen Union, sagt der Leiter des Moskauer SOWA-Zentrums für Analyse und Information Alexander Verkhovsky im Interview mit der Moskauer Deutschen Zeitung. Kaum eine Woche vergeht ohne Solidaritätsbekundungen dieser europäischen Rechten in die russische Richtung. Doch was verbindet sie mit Russland und umgekehrt? Wie rechts ist Russland?

Während einer antifaschistischen Kundgebung in Moskau zünden Protestierende in Erinnerung an den Menschenrechtsanwalt Stanislav Markelow und die oppositionelle Journalistin Anastasia Baburowa, die von Rechtsextremen ermordet wurden, Kerzen an und fordern, dass der Faschismus in Russland zum Schweigen gebracht wird. REUTERS/Sergei Karpukhin

Herr Verkhowsky, wie „rechts“ ist die Gesellschaft in Russland – ist die russische Regierung insgesamt als „rechts“ einzuordnen oder sind das kleine Splittergruppen?

Die rechtsextreme Bewegung in Russland hatte in der postsowjetischen Zeit bessere und schlechtere Perioden und jetzt ist sie dabei mehr und mehr abzusteigen. Seit der Jahrtausendwende ist sie eine ethnisch-nationalistische, grundsätzlich rassistische Bewegung, fokussiert auf jede Art von externer Immigration oder auf interne Migranten anderer Ethnien. Verglichen mit anderen politischen Bewegungen war diese vor etwa zehn Jahren sehr populär – nicht im eigentlichen Sinne, aber doch im Vergleich. Seit 2013 ist nun ihr Niedergang für jeden sichtbar. Zwar kann ich noch nicht sagen, dass diese Bewegung nicht mehr existiert, aber sie ist in sehr kleine Gruppen zerfallen und die rechtsextreme Bewegung war noch nie so schwach wie jetzt.

Darf ich das als gute Nachricht verstehen?

Ja! Es ist eine sehr gute Nachricht wenn die Rassisten im Niedergang sind!

Betrifft das ausschließlich politische Bewegungen am äußersten Rand der politischen Rechten?

Ich sprach über politische Bewegungen und nicht über bürokratische Strukturen. Wenn wir uns der Regierung und unseren Autoritäten zuwenden, dann müssen wir über ein recht kompliziertes Bild bürokratischer Gegebenheiten sprechen und einige von ihnen können vielleicht nationalistisch genannt werden. Dieser Nationalismus ist aber meist nicht ethnisch und nicht rassistisch, sondern mehr imperialistischer Art und er ist in unserer Außen- und Innenpolitik sichtbar.

Europa ist mit einem Aufstieg des politisch rechten Spektrums konfrontiert. Ist das verstärkte Auftreten nationalistischer Weltanschauungen in Ihren Augen eine Rückkehr zur Normalität oder eine gefährliche Entwicklung?

Ich denke, dass Nationalismus ein neutrales Phänomen ist, das in allen modernen Gesellschaften existiert und aus dieser Perspektive ist das normal. Nicht normal ist es, wenn Nationalismus dominant wird und entscheidende Einflüsse auf die politische Agenda und die Entwicklung eines Landes auszuüben beginnt. In unserem Fall, im Russland der Gegenwart, war dieser extreme Nationalismus von unten ausschließlich destruktiv. Er war eine aggressive, rassistische Haltung, die darauf abzielte, diejenigen, die er als fremd einstufte, tatsächlich zu töten und wenn es nicht möglich war sie zu töten, dann sie irgendwie auszuschließen, um ein ethnisch reines Russland zu schaffen. Das ist natürlich in jeder Hinsicht kontraproduktiv.

Die Regierung war neutral und übernahm keine Form von ideologischer Herangehensweise. Bis 2012/13 war sie mehr ein technokratisch-autoritäres Regime. Danach wurden teilweise ideologische Standpunkte aufgenommen, die zusätzliche Probleme mit sich bringen. Ich denke zum Beispiel an den Krieg in der Ukraine, der aus rein politischen Gründen nicht hätte geschehen können. Es war keine reine politische, sondern auch eine ideologische Konfrontation. Ohne die ideologische Motivation und die ideologisch motivierten Gruppen unter den Autoritäten wäre dieser Krieg unmöglich – aber er ist passiert. Ich würde sagen, dass dies eine so schreckliche Entwicklung war, dass ich den Eindruck habe, dass alle politischen Gruppen außer der regierenden Partei sich darin einig sind, dass dieser Krieg absolut schlecht ist und selbst diejenigen, die sich an ihm beteiligt haben, sind enttäuscht.

Wie ist es dazu gekommen, dass die extreme politische Rechte in Russland im Niedergang ist?

Das ist eine interessante Frage. Sie selbst würden sagen, dass es aufgrund von Druck der Polizei und der Sicherheitsbehörden dazu kam. Aber das ist nicht ganz richtig. Es gibt diesen Druck, aber er kam, nachdem sie schon im Niedergang war. Er begann, als diese Gruppen begreifen mussten, dass sie ihre Ziele nicht erreichen können. Der Moment war in gewisser Hinsicht revolutionär. Denn diese Leute sind nicht wie normale europäische nationalistische Populisten, sondern sie haben wirklich von einer Art Revolution geträumt, die sie die „weiße Revolution“ nannten, im rassistischen Sinne des Worts. In allem was sie taten, versuchten sie, die russischen Autoritäten für diese „weiße Revolution“ zu mobilisieren. Aber sie hatten keinen Erfolg, aus verschiedenen Gründen und blieben ein marginaler Teil der Gesellschaft. Sie waren so enttäuscht, das sie selbst begannen, weniger aktiv zu sein und sogar ihre Agenda änderten.

 


Das SOWA-Zentrum für Analyse und Information ist eine gemeinnützige und unabhängige Non-Profit Organisation mit Sitz in Moskau. Es wurde 2002 gegründet und  forscht und leistet Aufklärungsarbeit zu Nationalismus und Rassismus, Beziehungen zwischen der Kirche und der säkularen Gesellschaft sowie zu politischem Radikalismus in Russland. Außerdem beobachtet das SOVA-Zentrum Menschenrechtsfragen, vor allem den Missbrauch von Maßnahmen gegen den Extremismus auf Regierungsebene. Die Internetseite des SOVA-Zentrum hat die URL: www-sova-center.ru


 

2012 versuchten fast alle Leiter der rechtsextremen Bewegung mit liberalen Positionen zu kooperieren, als letzte Möglichkeit, ihre Gruppen an der politischen Oberfläche zu halten. Das war ein großer Fehler für sie, denn eine Mehrheit ihrer Anhänger konnte das nicht akzeptieren und verließ sie. Hinzu kamen andere Faktoren, wie zum Beispiel, dass sehr unterschiedliche Positionen zum ukrainischen Krieg existierten und einen großen Riss in der Bewegung mit sich brachten. Bei einem ihrer größten Umzüge – es war der größte politische Umzug in Moskau 2011 – wurden 6500 Teilnehmer registriert tatsächlich allerdings sind 6500 nicht viel. Letztes Jahr waren da insgesamt nur 1000 Teilnehmer, weniger sogar. Das ist natürlich nicht nichts – aber es ist wenig und bedeutet, dass es ein sehr kleine und deprimierte Bewegung geworden ist.

Sie sagten, auf der Regierungsebene gebe es eine andere Form des rechten Spektrums, das bürokratisch ist, wie sieht dies aus?

Das rechte Spektrum auf Regierungsebene ist imperialistisch und nicht ethnisch, das ist etwas anderes. Ich bin nicht sicher, ob wir es „rechts gerichtet“ nennen können, das ist vielleicht zu vereinfachend. Imperialistischer Nationalismus meint eine Situation, in der gegen externe Feinde mobilisiert wird, die in Opposition zu internen Verbündeten gebracht werden.

In Europa und Deutschland bekommen rechts gerichtete nationalistische Parteien mehr und mehr Kontakt mit der Regierungsebene und suchen Gemeinsamkeiten mit Russland – gibt es solche Übereinstimmungen?

Es existiert eine Gemeinsamkeit in der Einstellung gegen liberale Grundwerte und mehr noch eine taktische Strategie, für beide Seiten. Für die europäischen Bewegungen ist die Orientierung hin auf eine geopolitische Macht wichtig, weil es ihre eigene Bedeutung aufwertet und ihnen praktische Unterstützung gibt.

Für die russische Regierung dagegen ist die Unterstützung von rechtsextremen Gruppen in Europa nur ein Werkzeug in ihrem Spiel mit den europäischen Regierungen. Die AfD und die neuen italienischen Parteien sind für den Kreml nur Mittel zum Zweck im Wettkampf und in der Konfrontation mit europäischen Machthabern. Die AfD kann kein Teil der Regierung werden, aber sie kann für die deutsche Regierung Probleme schaffen und das ist natürlich für den Kreml gut und die neue italienische Regierung ist noch viel besser, weil sie Probleme für die ganze Europäische Union schaffen kann.

Was können Russen und Europäer tun, damit der Aufstieg der Rechten in Europa nicht fatale Folgen mit sich bringt?

Ich denke, dass ich nicht in der Position bin, den Europäern Ratschläge zu geben. Hier in Russland ist das generelle Problem, das die Mehrheit der Russen nicht im Geringsten politisiert ist. Sie denken nicht über Politik nach und sie denken nicht in politischen Begriffen. Sie verlassen sich einfach auf die Regierung und gehen davon aus, dass die alle ihre Probleme lösen wird.

Mein Rat wäre, oder vielmehr ist es ein Wunsch, dass russische Bürger generell beginnen, sich mehr zu politisieren und poltisch zu denken und zu handeln. Natürlich wird unser Leben dadurch nicht sofort leichter werden, es könnte sogar schlechter werden, weil wir nicht wissen wie es sich entwickelt, aber es wäre zumindest eine Bewegung aus der aktuellen Situation hinaus.

Nur wie und wann diese Politisierung passieren könnte, das weiß ich nicht.

Das Interview führte Fabiane Kemmann

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