
In den Schengen-Raum zu reisen, ist für Russen schwierig bis unmöglich geworden. Zumindest wurden die Hürden, je nach Antragsland, erheblich nach oben geschraubt. In diesem Fall reagiert Russland nun ausnahmsweise nicht „spiegelgleich“.
E-Visum ab 1. Juli?
Meldungen der letzten Wochen deuten darauf hin, dass bereits in den kommenden Tagen Reiseerleichterungen für Bürger aus 52 Ländern, darunter die EU-Staaten, in Kraft treten und das lange geplante elektronische Visum eingeführt wird. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow nannte dafür auf einem russisch-chinesischen Businessforum in Shanghai sogar ein Datum, nämlich den 1. Juli. So steht es auch in einer Anfang Juni veröffentlichten Regierungsmitteilung zu einer Verordnung mit dem Kürzel 1419-p. „Geplant ist, dass Russland mit einem solchen Visum ab dem 1. Juli 2023 besucht werden kann.“
Ursprünglich hatte ein entsprechendes Gesetz von 2020 bereits zum 1. Januar 2021 wirksam werden sollen. Doch das verhinderte die Corona-Pandemie. Inzwischen sind die Grenzen zwar wieder geöffnet, doch vielen ist die Lust auf Russland vergangen. Zur gefühlten Distanz kommt die tatsächliche. Weil die Direktflüge aus der EU nach Russland eingestellt sind, ist es gar nicht so einfach, dort überhaupt hinzukommen. Dass in Russland selbst nicht mit westlichen Kreditkarten bezahlt werden kann, schafft weitere Unannehmlichkeiten.
96 Prozent weniger ausländische Touristen
So wurden an den russischen Grenzen im Jahr 2022 offiziell nur 200.100 touristische Einreisen gezählt. Das waren rund vier Prozent des Werts von 2019, vor Ausbruch der Pandemie. Reiseveranstalter sprachen davon, der organisierte Reiseverkehr aus anderen europäischen Ländern nach Russland sei praktisch zum Erliegen gekommen. In Moskau, wurde jüngst auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum bekanntgegeben, waren 90 Prozent der Touristen im vergangenen Jahr Besucher aus anderen russischen Regionen.
Das E-Visum soll nun mehr Ausländer ins Land locken. Es kann online für touristische, geschäftliche oder Privatreisen beantragt werden. Außer einem Foto und einem Scan des Reisepasses sind dafür keine weiteren Unterlagen beizubringen. Die Ausstellungsdauer beträgt maximal vier Tage, das Visum ist 60 Tage gültig. Die Reisedauer darf bis zu 16 Tage betragen. Erwachsene kostet das E-Visum 52 US-Dollar. UPD 31.7.: Wie inzwischen bekannt wurde, sind E-Visa ab 1. August erhältlich. Die Beantragung erfolgt über dieses Portal des Außenministeriums.
Auswärtiges Amt rät ab
So weit, so einfach. Die Gretchenfrage bleibt freilich, ob sich Russland überhaupt guten Gewissens als Reiseland empfiehlt. Im Zuge der Revolte der Wagner-Gruppe und der Verhängung des Anti-Terror-Notstands über mehrere Regionen, darunter auch Moskau, passte das Auswärtige Amt in Berlin seine Reise- und Sicherheitshinweise an. UPD 31.7.: Aktuell heißt es dort, von Reisen in die Russische Föderation werde „abgeraten“. Explizit gewarnt wird vor „Reisen in die an die Ukraine grenzenden Verwaltungsgebiete (Belgorod, Kursk, Brjansk, Woronesch, Rostow, Krasnodar)“. Das Auswärtige Amt erwähnt die zunehmenden Drohnenangriffe, von denen auch Moskau betroffen sei. Nicht ausgeschlossen werden könnten auch „mögliche Angriffe auf das öffentliche Verkehrsnetz, insbesondere den Zugverkehr“.
Tino Künzel