
Es ist kein Geheimnis, dass der russische Präsident Wladimir Putin kein großer Freund des Internets ist. „Wir alle wissen leider, was das Internet ist und wie es genutzt wird, um völlig inakzeptable Inhalte wie Kinderpornografie und Prostitution zu verbreiten und um Minderjährige in den Selbstmord zu treiben“, sagte er zuletzt Anfang März bei einer Sitzung im russischen Innenministerium. Doch die kritische Sicht ist kein Alleinstellungsmerkmal des Präsidenten. Kremlsprecher Dmitrij Peskow bezeichnete das Internet jüngst als „Parallelwelt“, in der man „alles und jeden regeln“ müsse, wie in der übrigen Welt.
Der Staat tut sich offensichtlich schwer mit den Freiheiten, die die digitale Revolution in den vergangenen rund 15 Jahren mit sich gebracht hat. Wenngleich das Internet schon lange nicht mehr der unregulierte, anarchistische Freiraum ist, der es noch in den frühen 2000er Jahren war, so scheint der Regierung ihr Einfluss noch immer viel zu gering zu sein. Das zu ändern, versucht sie seit einigen Jahren mit Nachdruck. Was treibt sie dazu an?
Das Staatsfernsehen erreicht die junge Generation nicht mehr
Aus Umfragen ist bekannt, dass die jüngere Generation in Russland sich fast nur noch über das Internet informiert. Das weitgehend staatlich kontrollierte Fernsehen erreicht sie nicht mehr. Das Informationsangebot im russischsprachigen Internet dagegen ist vielfältig und bunt. Kritische Blogger nutzen vor allem den Nachrichtendienst Telegram, doch auch die anderen Netzwerke sind voll unterschiedlichster Angebote, ob YouTube, TikTok, Instagram oder Facebook. Das meiste davon ist Unterhaltung, Lifestyle, Musik, Sport, aber eben auch Politik.
Die Liste der Vorstöße zur Abschottung und Nationalisierung des Netzes ist lang und begann vergleichsweise harmlos. Im Jahr 2015 trat ein Gesetz in Kraft, das Anbietern von Online-Diensten verbietet, personenbezogene Daten russischer Staatsbürger auf Servern außerhalb des Landes zu speichern. Aktuell macht die Medienaufsicht Roskomnadsor hier Druck. Während beispielweise Microsoft und Apple dem nachgekommen sind, widersetzen sich Facebook und Google bis heute und nehmen lieber Geldstrafen in Kauf. Ihnen wurde jetzt eine Frist bis zum 1. Juli gesetzt, sich zu erklären.
Datenverkehr unter Kontrolle des Staats
Ende 2019 sorgte das sogenannte „Runet-Gesetz“ für einen Aufschrei. Es soll dem russischen Internet eine unabhängige Infrastruktur geben und verhindern, dass der Westen Russland vom weltweiten Netz abkopple, wie Dmitrij Peskow damals wissen ließ. Sämtliche Knotenpunkte, die den Datenverkehr aus und nach Russland abwickeln, wurden unter die Kontrolle der russischen Medienaufsicht gestellt. Kritiker im In- und Ausland dagegen sahen darin einen Versuch, den Datenverkehr unter die Kontrolle der Regierungsbehörden zu bekommen. Sperren unliebsamer Websites sind so einfacher zu bewerkstelligen.
Das Szenario, der Westen könnte Russland vom Internet abkoppeln, ist ohnehin konstruiert – ebenso wie es technisch kaum machbar ist, das russische Netz separat zu betreiben. Sicherheitszertifikate und Quellcodes für Websites liegen zuhauf auf internationalen Servern. Würde man hier den Schalter umlegen, würden von einem auf den anderen Moment etliche Internetangebote nicht mehr funktionieren.
Internetkonzerne müssen rechtswidrige Inhalte löschen
Die nächste Eskalationsstufe war Ende vergangenen Jahres erreicht. Seither sind die Betreiber sozialer Medien wie Facebook oder Twitter per Gesetz dazu verpflichtet, in Russland rechtswidrige Inhalte zu löschen. Bei Nichtbeachtung ist mit Sanktionen zu rechnen, von Geldstrafen bis hin zur Sperrung der Dienste. Und dabei macht Roskomnadsor Ernst, wie vor allem Twitter zu spüren bekam.
Die Rede ist dabei wie so oft von Kinderpornografie, Drogenhandel oder Anstiftung zum Selbstmord. Doch es geht auch in großem Maße um Aufrufe zur Teilnahme an nicht genehmigten Protesten. Über 5000 Inhalte sollte Twitter auf Anordnung der Behörde löschen. Nachdem der Dienst dem nicht nachgekommen war, ließ Roskomnadsor am 10. März den Zugriff einschränken, indem der Datenfluss verlangsamt wurde.
Im Fall Twitter stehen die Zeichen derzeit auf Deeskalation, denn das Unternehmen hat offenbar über 90 Prozent der betreffenden Inhalte gelöscht. Die zwischenzeitlich angedrohte Sperre ist vorerst vom Tisch. Aber die Aufsichtsbehörde hat gezeigt, dass sie es ernst meint.
Prozesswelle gegen Betreiber sozialer Netzwerke
Und es trifft derzeit beinahe alle Betreiber sozialer Netzwerke. Gegen Facebook wurden am 25. Mai von einem Moskauer Gericht Bußgelder in Höhe von insgesamt 26 Millionen Rubel (ca. 290.000 Euro) verhängt. Auch hier ging es um nicht gelöschte gesetzeswidrige Inhalte, ebenso in Verfahren gegen das chinesische Netzwerk TikTok und das zur russischen Mail.ru-Group gehörige Odnoklassniki.
Auch der US-Konzern Google, der unter anderem die Videoplattform YouTube betreibt, wurde dazu angehalten, Inhalte zu entfernen. Strittig waren hier vor allem zwölf Videos, die zur Teilnahme an nicht autorisierten Kundgebungen im Januar des Jahres aufriefen. Im Gegensatz zu anderen Inhalten hielt Google hier die Anordnung zur Löschung für nicht rechtmäßig und erhob seinerseits Anklage gegen Roskomnadsor, wie die Zeitung „Kommersant“ berichtete. Die Aussichten auf Erfolg dürften dabei gering sein. Sarkis Darbinjan von der Organisation Roskomswoboda, die sich für ein freies Internet einsetzt, sagte jedoch gegenüber „News.ru“, das Ziel des Unternehmens könnte sein, den Rechtsstreit vor ein internationales Gericht zu bringen.
Internetkonzerne sollen Tochtergesellschaften in Russland gründen
Google ist noch in einen anderen Rechtsstreit mit Roskomnadsor verwickelt. YouTube hat im vergangenen Jahr den Kanal des russischen Fernsehsenders „Zargrad“ gesperrt – nicht wegen der Inhalte, sondern weil die USA gegen dessen Eigentümer Konstantin Malofejew Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ostukraine verhängt haben. Google würde sich in den USA strafbar machen, wenn es die Sperre aufheben würde. Ein russisches Gericht verhängte eine satte Strafe wegen Zensur gegen Google, der Konzern hat Berufung eingelegt.
Der neueste Coup ist nun der Entwurf für ein Gesetz, das die IT-Riesen zur Gründung russischer Niederlassungen zwingen soll. Der Entwurf, der der Staatsduma am 21. Mai vorgelegt wurde, sieht vor, dass ausländische Betreiber von Online-Angeboten, die innerhalb Russlands täglich mehr als eine halbe Million Nutzer haben, ab 1. Januar 2022 eine eigene Niederlassung in Russland unterhalten müssen. Kommt ein Unternehmen dem nicht nach, behält sich der Gesetzgeber unterschiedliche Maßnahmen vor, etwa das Verbot von Werbung für den betreffenden Dienst. Außerdem soll russischen Unternehmen verboten werden, Werbung bei diesen Diensten zu schalten. In letzter Instanz ist auch die vollständige Sperre des Angebots möglich.
Werden sich die internationalen Konzerne beugen?
Der Gesetzgeber will so die volle juristische Kontrolle über die Anbieter bekommen. Doch die Aktion könnte auch nach hinten losgehen, Benachteiligte könnten am Ende die Internetnutzer und die Wirtschaft in Russland sein. Die Angebote der ausländischen Konzerne sind wichtige Werbeplattformen in Russland. Laut der Zeitung „Wedomosti“ werden zwischen 25 und 50 Prozent Online-Werbeanzeigen in Russland auf internationalen Plattformen geschaltet. Wladimir Oschereljew von Roskomswoboda befürchtet, dass das Gesetz den Markt für internationale Konzerne unattraktiver machen könnte, was sich vor allem für russische Internetnutzer negativ auswirken würde, wie er gegenüber der MDZ sagt.
Alexej Puschkow, Vorsitzender der Kommission des Föderationsrates für Informationspolitik und Interaktion mit den Medien gab sich dagegen zuversichtlich, dass die Konzerne der Forderung nachkommen werden. Gegenüber der Nachrichtenagentur TASS sagte er: „Ich glaube nicht, dass Google oder Facebook die Registrierung in Russland verweigern werden. Wenn sie sich weigern, werden sie blockiert. Und ich sehe keinen Sinn für die Unternehmen, einen großen Teil des Markts wegen der sturen Einhaltung von Prinzipien zu verlieren.“
Jiří Hönes