Ein bisschen Schengen

Wer nach Russland will, braucht ein Visum. Das kostet Zeit und Geld und ist eine Prozedur, auf die man gern verzichten würde. Immerhin: Die Grenzen werden trotzdem durchlässiger. Mit dem russischen Visum kann ab kommendem Jahr ein weiteres Land bereist werden.

Züge nach Moskau und Vilnius im Hauptbahnhof von Minsk. © Flickr / KAS Belarus

Weißrussland ist geografisch günstig zwischen Russland und der EU gelegen. Doch die meisten Deutschen, die in Russland arbeiten oder Urlaub machen, waren noch nie dort. Nicht, dass man das Land absichtlich meiden würde, doch noch ein weiteres Visum zu beantragen, ist dann doch des Guten zu viel. Dabei wäre es durchaus reizvoll, das Wochenende mal in Minsk zu verbringen. Von Moskau aus ist das eine Übernachtfahrt mit dem Zug  – für russische Verhältnisse ein Klacks. Wer abends auf dem Weißrussischen Bahnhof in Moskau losfährt, kann morgens auf dem 15 Kilometer langen Minsker Unabhängigkeitspros­pekt mit seinen Bauten aus der Stalinzeit frühstücken.

Künftig wird das ohne Weiteres möglich sein. Russland und Weißrussland unterzeichnen am 13.  Dezember in Brest ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Visa. Das bedeutet, dass Inhaber eines russischen Visums sich auch in Weißrussland aufhalten dürfen und umgekehrt. Die Aufenthaltsdauer ist dabei nur von der Laufzeit des Visums begrenzt.

Das Prinzip ist also dasselbe wie beim Schengen-Visum. Nur dass in Europa 26 Staaten mit einem einzigen Visum besucht werden können, nicht zwei. Aber jeglicher Abbau von Hürden und jeglicher Zugewinn an Reisefreiheit sind zweifellos ein Fortschritt.

Zwischen Russland und Weißrussland entfallen damit in Zukunft auch die Grenzkontrollen. Beide Länder bilden formell einen Staatenbund, was allerdings mit wenig praktischen Auswirkungen verbunden ist. Sie gehören der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und der Eurasischen Wirtschaftsunion an. Die bilateralen Beziehungen waren allerdings schon mal besser, sodass auf politischer Ebene ein weiteres Zusammenrücken kaum zu erwarten ist. Zwar gilt Weißrussland als einer der engsten Verbündeten Russlands und ist auch wirtschaftlich von diesem abhängig, doch Präsident Alexander Lukaschenko betont gern seine Eigenständigkeit und flirtet bisweilen offen mit der EU, vor allem wenn sein Land knapp bei Kasse ist und neue Kredite braucht. Dass er noch nie ein besonders inniges Verhältnis zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin hatte, erweist sich für Lukaschenko nun als Vorteil: Seine Gastgeberrolle bei den Minsker Gesprächen zur Ostukraine genoss er sichtlich. Um den „letzten Diktator Europas“ ist es in letzter Zeit auch in den westlichen Medien ruhig geworden.

Mit der neuen Visaregelung gehen die Nachbarn nun einen Schritt, der weniger Bürokratie und echte Erleichterungen mit sich bringt, auch wenn er „nur“ Ausländer betrifft. Inwiefern das zu deutlich steigenden Besucherzahlen führen wird, bleibt abzuwarten. Doch die Besitzer eines russischen oder weißrussischen Visums werden den Mehrwert unbedingt zu schätzen wissen.

Wann das Abkommen in Kraft tritt, ist noch unklar. Weißrussland möchte, dass das spätestens im Mai der Fall ist. Ende Juni finden in Minsk die zweiten Europaspiele statt, eine Art kontinentale Sommerolympiade.

Tino Künzel

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