Skandal im Sperrbezirk: Russe plant neue Mauer in Berlin

Berlin hat in Sachen Kultur schon alles Mögliche erlebt. Wie wäre es also mit etwas Unmöglichem? Ein russischer Regisseur und ein russischer Geldgeber wollen rund um ein Areal von 37.000 Quadratmetern mitten in der Berliner Innenstadt die Mauer wieder aufbauen. Das ist Teil einer Installation, die in Berlin und darüber hinaus nun die Gemüter erhitzt.

Berlin soll diesen Herbst eine Stadt in der Stadt bekommen, umschlossen von einem Nachbau der Mauer. Viel wurde schon über das geheimnisumwitterte Film- und Kunstprojekt „DAU Freiheit“ diskutiert. Zuletzt haben die Berliner Festspiele als Veranstalter Details verraten. So soll es für Besucher täglich 1500 bis 3000 „Visa“ geben, die ab 15 Euro zu haben sind. Trotz der Mauer gehe es aber nicht darum, eine „Disney-DDR“ zu erschaffen, sagt Festspiele-Intendant Thomas Oberender.

Kostümierte Darsteller wie am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie wird der Besucher also nicht antreffen. Es geht den Machern um eine Reise in ein fremdes Land und das Gefühl des Freiheitsverlusts – nicht konkret um die DDR oder Sowjet­union. Die Kosten des Projekts werden mit 6,6 Millionen Euro beziffert, die Gespräche mit den Behörden über eine Genehmigung laufen noch.

Der Nachbau eines geheimen sowjetischen Forschungsinstituts – und eigentlich eines gesamten Stadtteils: In dieser totalitären Kulisse wurde „Dau“ im ukrainischen Charkow gedreht. © Gruber

Im Mittelpunkt steht ein Filmprojekt des russischen Filme­machers Ilja Chrschanowskij, der selbst nicht mit den Medien spricht. Unter dem Titel „Dau“ ging der 43-jährige Moskauer von 2009 bis 2011 in eigens nachgebauten Kulissen in der Ukraine auf Zeitreise in die Sowjetunion der Jahre 1938 bis 1968. Dafür lebten 400 Menschen in einer abgeschotteten Parallelwelt, ohne Drehbuch. Darunter waren Straßenreiniger, Kellner, Famil­ien, Wissenschaftler, Schamanen und nur eine Schauspielerin. „Wir waren überall dabei“, erzählte der deutsche Kameramann Jürgen Jürges, der auch schon mit Größen wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder drehte, vor der Presse. Den Namen „Dau“ hat das Projekt von dem sowjetischen Atomphysiker und Nobelpreisträger Lew Landau (1908-1968), an dessen Institut die Handlung spielte.

Das Ergebnis von über 700  Stunden Material sind 13 Filme, Se­rien und eine digitale Filmplattform. Mitgewirkt haben Musiker wie Brian Eno und Massive Attack. Für die Uraufführung ist nun keine klassische Filmpremiere geplant, sondern ein Großevent mit Kunst.

Der Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt“) berät das auch vom Medienboard Berlin-Brandenburg unterstützte Projekt. Tykwer spricht von dem „Mythos“, das es umgibt. Es sei etwas, das man erleben und nicht konsumieren werde. „Ich bin auch auf sehr liebevolle Weise vor Neid erblasst.“ Die Kuratorin des ebenfalls beteiligten Schinkel Pavillons, Nina Pohl, freut sich angesichts der Debatte über den „Skandal im Sperrbezirk“ und fühlt sich an Kunst von Joseph Beuys und Christoph Schlingensief erinnert.

Nachdem das Projekt in den Vorjahren aus verschiedenen Gründen an der Volksbühne nicht zustande kam, ist nun das Kronprinzenpalais am Boulevard Unter den Linden zentraler Ort für die Filmvorführungen. Die Kunststadt soll das Gelände von der Bertelsmann-Repräsentanz bis zur Staatsoper umfassen, mit Bauakademie und Schinkelplatz. Veranstaltungen sind an mehreren Orten geplant, auch ein Shakespeare Theatre wird aufgebaut. Über die Mauer soll man mit Aussichtsplattformen nach draußen gucken können.

Die Besucher melden sich online an und tauschen ihr Handy am Eingang gegen ein Smartphone ohne Netz. Das Gerät schickt jeden Gast auf eine personalisierte Reise: zu Kunstperformances mit Marina Abramovic oder Carsten Höller, zu Konferenzen mit Wissenschaftlern oder zu Konzerten. Auch Pianist Igor Levit soll dabei sein. Über eine Beteiligung von Streetart-Legende Banksy wird noch gemunkelt.

Die Anwohner seien eingebunden worden, so Produzentin Susanne Marian von der Filmgesellschaft Phenomen Films, die Chrschanowskij mitbegründet hat. Der Alltag im Viertel soll demnach für die Nachbarn so stressfrei wie möglich weitergehen. Opern- und Konzertbesucher haben Extra-Eingänge.

Finanziert wird „Dau“ von der in London ansässigen Stiftung Phenomen Trust, die von dem russischen IT-Unternehmer Sergej Adonjew gegründet wurde. Russisches Fördergeld habe man zurückgezahlt.

Angelegt ist das Projekt als Trilogie. Auf Berlin (Freiheit) sollen im November Paris (Gleichheit) und Anfang 2019 London (Brüderlichkeit) folgen. In Berlin ist die Weltpremiere für den 12. Oktober geplant. Am 9. November, dem 29. Jahrestag des Mauerfalls, soll die Fake-Mauer wieder fallen. „Mauerspechte“ dürfen Andenken klopfen.

Caroline Bock, dpa

Kontroverse Resonanz

Das Projekt hat begeisterte Befürworter, aber auch entschiedene Gegner. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), spricht von einem „gewagten Experiment“, von dem sie „höchst überzeugt“ sei und das zum „Weltereignis“ werden könne. Kritik kam unter anderem vom früheren DDR-Bürgerrechtler Konrad Weiß, der in einem offenen Brief vor einer Banalisierung kommunistischer Verbrechen „unter dem Deckmantel der Kunst“ warnt. Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, warf den Organisatoren einen Mangel an Sensibilität im Umgang mit der deutschen Geschichte vor.

Einige Presselinks zum Thema:

https://www.zeit.de/kultur/kunst/2018-08/dau-freiheit-installation-berliner-mauer-ilya-khrzhanovsky
https://www.tagesspiegel.de/kultur/umstrittenes-dau-projekt-in-berlin-mit-der-mauer-beruehren-wir-die-wunde/23006476.html
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/aerger-um–dau–projekt-kommt-die-mauer-nun-vielleicht-doch-nicht–31217396
https://www.monopol-magazin.de/wer-ist-ilya-khrzhanovsky
https://www.welt.de/kultur/article181512168/Kunstprojekt-Dau-Warum-man-in-Berlin-wieder-eine-Mauer-bauen-sollte.html

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