Rat ohne Rechte?

Ein neuer Vorsitzender und vier Entlassungen: Umbesetzungen im Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten sorgen für Aufregung und Diskussionen. Doch wie funktioniert das Gremium eigentlich und wessen Interessen dient es? Ein Überblick über Geschichte und Einfluss des Organs.

Analysieren, beraten, Vorschläge für Gesetze unterbreiten: Der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten. /Foto: yandex.ru

Was ist geschehen?

Ende Oktober entließ der russische Präsident den bisherigen Vorsitzenden des Rates Michail Fedotow. Offizielle Begründung: Das Erreichen der Altersgrenze. Zum Nachfolger wurde der frühere Journalist Walerij Fadejew bestimmt, bis dahin in der Gesellschaftskammer tätig. Seine Rolle wurde zudem durch die Ernennung zum Präsidentenberater aufgewertet. Außerdem entband das Staatsoberhaupt die bekannte Politologin Jekaterina Schulmann sowie drei Menschenrechtler von der weiteren Mitarbeit in dem Organ.

Was sagen die Kritiker?

Viele Beobachter sehen in der Entscheidung eine Reaktion auf die Proteste in diesem Sommer. Unbequeme Stimmen und Kritik am Durchgreifen von Sicherheitskräften und Behörden seien nicht mehr erwünscht. Nach dieser Lesart soll das Gremium, in dem auch offen kritische Akteure institutionell eingebunden waren, auf Linie gebracht werden. Dazu passe auch die Personalie Walerij Fadejew. Der neue Vorsitzende war zuvor Sekretär in der oft als zahnlos beschriebenen russischen Gesellschaftskammer, welche ebenso die Einhaltung von Menschen- und Bürgerechten im Blick hat. Zudem bekleidet Fadejew führende Positionen in der Partei Einiges Russland. Widerspruch sei daher nicht zu erwarten.

Was sind die Aufgaben des Rates?

Das Gremium soll den Präsidenten bei der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Vollmachten unterstützen und speziell die Menschen- und Bürgerrechte im Blick behalten. Dazu informiert er das Staatsoberhaupt regelmäßig über aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich, erarbeitet Vorschläge zum Schutz der Grundfreiheiten der Bürger und analysiert die aktuelle Gesetzgebung. Außerdem koordinieren die Mitglieder des Rates die Tätigkeit der in Russland zugelassenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Wie kam es zur Gründung?

Die Anfänge des Menschenrechtsrates reichen bis in das Jahr 1993 zurück. Damals gründete Boris Jelzin eine Kommission für Menschenrechte beim Präsidenten. Das neuartige Organ wurde zunächst von dem früheren Dissidenten und geachteten Menschenrechtler Sergej Kowaljow geleitet. Ab 1996 übernahm der Völkerrechtsexperte Wladimir Kartaschkin für sechs Jahre die Führung. Besonders geprägt wurde der Rat aber vor allem durch die Tätigkeit von Ella Pamfilowa, die in Deutschland vor allem wegen ihrer späteren Arbeit als Chefin der zentralen Wahlkommission während der Moskauer Regionalwahlen 2019 bekannt wurde. Unter der Leitung der heute 65-Jährigen vernetzte sich das Organ auch zunehmend international und etablierte feste jährliche Treffen mit dem Präsidenten. Auf diesen unterbreiteten die Ratsmitglieder eine Vielzahl von Gesetzesinitiativen und Berichten. 2004 wurde aus der Kommission dann offiziell der Menschenrechtsrat. Seit 2010 leitete der Journalist und frühere Medienminister Michail Fedotow das Gremium.

Wie ist das Organ aufgebaut?

In seiner aktuellen Zusammensetzung verfügt das Gremium neben seinem Vorsitzenden über ein 19-köpfiges Präsidium mit bekannten Vertretern aus Medien, Politik und Wissenschaft. Die Mitglieder werden vom Präsidenten ernannt – und auch entlassen. Zudem gibt es 20 ständige Kommissionen, die sich mit Themenfeldern wie internationaler Zusammenarbeit, Ökologie oder Journalismus beschäftigen. Zu aktuellen Themen können jederzeit temporäre Arbeitsgruppen gegründet werden. Derzeit sind 13 aktiv und informieren unter anderem über den Stand der Menschenrechte auf der Krim.

Welche Vollmachten hat der Rat?

Im Prinzip keine. Denn im Kern ist das Gremium auf die Rolle eines kollektiven Ratgebers des Präsidenten festgelegt. So kann der Rat zwar Kritik üben, Vorschläge unterbreiten oder Empfehlungen aussprechen. Der Präsident muss diese jedoch nicht befolgen.

Was wurde schon erreicht?

Konkrete Ergebnisse sind überschaubar: So begleiteten Ratsmitglieder beispielsweise nicht genehmigte Protestdemos. Als Beobachter registrierten sie dabei unter anderem Verstöße bei Festnahmen in Moskau. Außerdem erreichte das Gremium eine Legalisierung von Flüchtlingen und anderen Menschen, die in den 90er Jahren aus verschiedenen Gründen ohne Pass kamen. Aktuell arbeitet der Rat an Vorschlägen für ein Gesetz gegen häusliche Gewalt, eine Reform der Betreuung psychisch kranker Menschen sowie an Vorschriften für die Altenpflege in Russland.

Birger Schütz

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