Petersburger Dialog: „Beide Seiten müssten sich bewegen“

Zum 16. Mal treffen sich Deutsche und Russen heute und morgen zum Petersburger Dialog, erstmals in Berlin. Das diesjährige Motto lautet „Gesellschaftliche Teilhabe als Chance zur deutsch-russischen Verständigung“. Erwartet werden rund 250 Teilnehmer. Die MDZ hat vier namhafte Protagonisten zu ihren Erwartungen an die Veranstaltung befragt.

„Überwiegende Mehrheit will gute Beziehungen“

Gabriele Krone-Schmalz
Historikerin, Journalistin, von 1987 bis 1991 ARD-Korrespondentin in Moskau

Ich erwarte, dass sich alle Seiten nicht nur ernsthaft Gedanken machen, wie wir aus der augenblicklichen Sackgasse wieder herausfinden, sondern – zumindest ist das meine Hoffnung – dass am Ende ein substantieller gemeinsamer Appell steht, um zu konkreten vertrauensbildenden Maßnahmen zurückzufinden. Warum nicht ein Fünf- oder Zehn-Punkte-Plan, den es abzuarbeiten gilt?

Sowohl in der deutschen als auch in der russischen Gesellschaft will eine überwiegende Mehrheit gute Beziehungen zum jeweils Anderen. Es wäre keine schlechte Idee, das zivilgesellschaftliche Forum Petersburger Dialog zu nutzen, um darauf hinzuweisen, dass sich in Demokratien in der Regel Mehrheiten durchsetzen sollten.

Jeder Dialog hat in Zeiten, in denen das gegenseitige Vertrauen auf dem Nullpunkt angekommen ist, große Bedeutung. Es gibt andere Dialogforen – zum Beispiel den Nato-Russland-Rat –, die ihre Arbeit ausgerechnet dann eingestellt haben, als sie aufgrund von Krisen und Problemen besonders nötig gewesen wäre. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg.

 

„Jetzt viel mehr Zeit zum Reden und Streiten“

Alexander Rahr
Politologe, Programmdirektor des Deutsch-Russischen Forums

Wichtig ist, dass der Petersburger Dialog überhaupt wieder funktioniert. 2014, auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise, sah es noch so aus, als ob dieses einzigartige zivilgesellschaftliche Forum überhaupt nicht mehr zusammenkommen würde. Deutschland hat als einziges EU-Land eine solche Dialogplattform mit Russland, andere EU-Länder beneiden uns um sie, deshalb müssen wir verantwortungsvoll und konstruktiv mit ihr umgehen. Ich bin sicher, dass es im Roten Rathaus in Berlin zu einem hochspannenden Informations- und Meinungsaustausch kommen wird.

Die wichtigste Veränderung der letzten Zeit bei dieser Veranstaltung ist das Fehlen der Staatsoberhäupter, die früher die Teilnehmer zum Abschluss der Debatten mit ihren Impulsreferaten beglückten. Deshalb ist der Dialog jetzt weniger offiziell geworden. Sicherlich: Er hat an Attraktion eingebüßt, diejenigen, die sich nur im Licht der Großköpfigen sonnen wollten, kommen jetzt nicht mehr. Auch für die Medien ist er nicht mehr so interessant ohne Merkel und Putin. Das Niveau der Wirtschaftsdelegationen ist gesunken. Aber: Es gibt jetzt viel mehr Zeit zum Reden und Streiten. Der Petersburger Dialog hat praktisch alle wichtigen deutschen NGOs aufgenommen, die sich um die Beziehungen zu Russland kümmern. Und die russische Teilnehmergruppe ist ebenfalls viel bunter geworden.

Die Vorstände des Petersburger Dialogs wollen im Grunde stets dasselbe: die Vertreter der Zivilgesellschaften beider Länder über spezielle Fachthemen, aber auch aktuelle politische Fragen diskutieren lassen. Die eigentliche Musik spielt dabei nicht in den Plenarsitzungen, sondern in den zehn Arbeitsgruppen, wo Themenvielfalt triumphiert.

Aus den Medien ist nicht allzu viel über das derzeitige „Innenleben“ der russischen Bürgergesellschaft zu erfahren. Beim Petersburger Dialog bekommt man einen Eindruck davon, was die Russen bewegt. Außerdem beginnt in Russland der Präsidentenwahlkampf. Ich erwarte eine neue Modernisierungsagenda. Darüber werden uns die Russen, die es wissen, hoffentlich berichten.

Petersburger Dialog

Ein Bild aus anderen Zeiten: Beim 12. Petersburger Dialog saßen Putin und Merkel 2012 gemeinsam auf der Bühne im Großen Kremlpalast in Moskau. / RIA Novosti

„Es bringt nichts, Gräben aufzureißen“

Stefanie Schiffer
Geschäftsführerin beim Europäischen Austausch in Berlin

Die Rahmenbedingungen für gesellschaftliche Aktivität waren in Russland seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr so schlecht wie heute. Es verlangt viel Mut, in Russland heute gesellschaftlich aktiv zu sein. Im Petersburger Dialog versuchen wir, einen Spielraum für gesellschaftliche Teilhabe zu erhalten.

In den russischen Staatsmedien werden Misstrauen und Vorbehalte gegenüber Westeuropa und Amerika angeheizt. Das führt natürlich zu einer Verunsicherung und Desorientierung in der russischen Bevölkerung. Wir haben dadurch einen extrem angespannten und schwierigen Gesprächskontext. Wir müssen im Petersburger Dialog deutlich machen, dass es nichts bringt, Gräben aufzureißen, Misstrauen zu säen und die russische Bevölkerung weiter von den europäischen Diskussionen und Entwicklungen abzuschneiden. Russland ist ein europäisches Land, die russische Gesellschaft ist vielfältig mit der europäischen Gesellschaft verbunden und verwoben. Der Petersburger Dialog kann und soll diese Verbundenheit bestärken und erhalten.

Seit 2014 sind eine Reihe neuer Mitglieder in den deutschen Verein und den Vorstand des Petersburger Dialog e.V. aufgenommen worden, Ronald Pofalla hat den Vorsitz von Lothar de Maizière übernommen. Dadurch ist die Auseinandersetzung offener und das Meinungsbild im Verein vielfältiger geworden.

„Erfahren, was die andere Seite wirklich bewegt“

Anne Hofinga
Mitgründerin und Leiterin des Deutsch-Russischen Sozialforums

Seit der tiefgreifenden Umgestaltung des Petersburger Dialogs auf deutscher Seite, also seit 2015, haben Russen und Deutsche bei den großen Treffen hauptsächlich aneinander vorbeigeredet. Die Deutschen haben versucht, durch Belehrung und Kritik die Russen zum Ändern der im Westen als problematisch gesehenen Erscheinungen der russischen Politik zu bewegen. Im Mittelpunkt der russischen Reaktionen stand in vielen Variationen die Mitteilung, dass Russland ein großes Land sei, das selbst über seine Politik entscheide. Kurz gesagt, seit 2015 waren die großen Treffen, insbesondere die Plena des PD ziemlich unfruchtbar und haben die Beziehungen nicht vorangebracht.

Damit sich etwas ändert, müssten sich beide Seiten bewegen: Die Deutschen sollten sich endlich daran erinnern, dass der Petersburger Dialog von zwei gleichberechtigten Partnern gegründet wurde und getragen wird. Es kann nicht sein, dass man seinen Partner ständig erzieht. Und von der russischen Seite wünschte ich mir, dass sie die deutschen Oberlehrer mit Humor und Souveränität von ihrem hohen Ross herunterholte, statt mit Trotz zu reagieren. Vielleicht kommen wir ja dieses Mal hier weiter.

Vom Treffen in Berlin erhoffe ich mir sehr viel. Das Deutsch-Russische Sozialforum, das ich leite, konnte das Thema „Gesellschaftliche Teilhabe“ als Leitthema für den gesamten Petersburger Dialog verankern. Teilhabe bedeutet die Einbeziehung Aller in gesellschaftliche Prozesse, ohne Einschränkungen, wo nötig mit Unterstützung, auf Augenhöhe, gleichberechtigt. Ich hoffe, dass dieses Leitmotiv alle Teilnehmer daran erinnert, dass sie Partner und nicht Besserwisser und Unbelehrbare sind. Dann könnte auch im Petersburger Dialog wieder ein echter Dialog zwischen Partnern stattfinden. Brennende Themen gibt es zwischen unseren Ländern genug.

Gerade in so gefährlichen Zeiten, wo man immer wieder den Eindruck bekommen kann, dass West und Ost auf einen neuen Krieg vorbereitet werden, muss jede Möglichkeit, miteinander zu sprechen, genutzt werden. Ohne Dialog werden wir aus der Vertrauenskrise nicht herausfinden. Außerdem findet das Wesentliche wie so oft in den Pausen statt. Da treffen sich informell diejenigen Geister, die an einer echten Verbesserung der Beziehungen unserer Länder interessiert sind. Hier reißen die Gesprächsfäden nicht ab und der Austausch, der hier stattfindet, ist immer konstruktiv und weiterführend. Man erfährt, was die andere Seite wirklich bewegt, vielleicht ärgert oder verunsichert. Es gibt im Petersburger Dialog eine ganze Reihe von Menschen, die mehr im Hintergrund versuchen, auf eine Verbesserung der Beziehungen hinzuarbeiten.

Zusammengestellt von Ludmilla Kolina.

 

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