Gleichgewicht des Schreckens

Deutschland und Russland zwingen sich gegenseitig zur Minimierung ihrer Präsenz im jeweils anderen Land. Beide Seiten sind dabei auf Parität bedacht. Dass die Konsequenzen so oder so bitter sind, scheint diesen Kreislauf der „Gegenmaßnahmen“ nicht mehr aufhalten zu können.

Der Druschbär vor der deutschen Botschaft in Moskau, abgeleitet von Druschba, der Freundschaft (Foto: Tino Künzel)

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde in Russland ein Deutschlandjahr veranstaltet. 2020 und 2021 war das – und das Goethe-Institut dabei der Dreh- und Angelpunkt. Viele, die sich damals voller Herzblut engagierten, um den Russen ein modernes Deutschlandbild zu vermitteln, beide Nationen ein Stück näher zusammenzubringen und die Verständigung der Zivilgesellschaften mit ihren Projekten zu fördern, mussten jetzt die Kulturmittler-Organisation verlassen. Denn die sah sich gezwungen, ihre Mitarbeiterzahl in Russland zum 1. Juni radikal zu verkleinern, nach MDZ-Informationen von um die 200 auf 13.

Es trifft vor allem Ortskräfte

Vorausgegangen war die Festlegung einer Obergrenze von 350 Personen für das Personal deutscher Vertretungen durch das russische Außenministerium. Betroffen von dem damit verbundenen personellen Kahlschlag: die deutsche Botschaft und die Generalkonsulate im Land, die deutschen Schulen in Moskau und St. Petersburg, aber eben auch das Goethe-Institut. Leidtragende der Kürzungen sind zum ganz überwiegenden Teil russische Ortskräfte.

Beim Goethe-Institut sandte die Entwicklung, die sich mehr oder weniger von heute auf morgen vollzog, Schockwellen quer durch die Belegschaft. Aber auch für die Organisation selbst ist sie dramatisch. Die Sprachkurse – eine Kernkompetenz – sind eingestellt, öffentliche Veranstaltungen finden keine mehr statt. Die Bibliotheken, darunter am neuen Moskauer Standort in der früheren Schokoladenfabrik „Bolschewik“, bleiben zugänglich, allerdings mit stark reduzierten Öffnungszeiten. Es ist ein Jammer.

Auch die Deutsche Schule Moskau musste sich von knapp der Hälfte ihrer ungefähr 100 Beschäftigten trennen. Auf den Unterricht hat das offenbar keine nennenswerten Auswirkungen, zumal die Schülerzahl heute um ca. 30 Prozent niedriger ist als noch vor einem Jahr. Jedoch musste der Hort geschlossen werden. Und der Kindergarten kann nicht mehr so viele Kinder betreuen wie zuvor. Die nähere Zukunft ist gesichert, wobei die Aussichten insgesamt nicht rosig sind. Im deutschen Wohngebiet, auf dessen Gelände sich die Schule befindet, ist dem Vernehmen nach mittlerweile nur noch jede dritte Wohnung vermietet.

Schließung der meisten Konsulate

Die deutsche Botschaft hat unterdessen mitgeteilt, dass angesichts der gedeckelten Personalstärke die Generalkonsulate in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk nicht mehr aufrechterhalten werden können. Ihr Betrieb werde bis November sukzessive heruntergefahren. Die diplomatische und konsularische Präsenz beschränkt sich künftig auf die Botschaft in Moskau und das Generalkonsulat in St. Petersburg. Visa werden schon jetzt nur noch in Moskau ausgestellt. Die Bearbeitungszeit soll derzeit bei durchschnittlich drei Monaten liegen.

Die deutsche Botschaft an der Mosfilmowskaja (Foto: Tino Künzel)

Die russische Vorgabe zur Mitarbeiterzahl wird in einer Erklärung als „unbegründete Eskalation“ bezeichnet. Weiter heißt es: „Dies ist ein harter Schlag insbesondere gegen unsere diplomatischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen. Ein Schlag, der eine starke Reduktion des Personals an all unseren Einrichtungen erfordert und wir bedauern sehr, das viele lokal beschäftigte Russen, mit denen wir lange und gerne zusammengearbeitet haben, nun deshalb ihre Stellen verlieren mussten.“

Zwecks „Ausgewogenheit der beiderseitigen Präsenzen“ dürfe auch Russland ab dem kommenden Jahr „reziprok“ nur noch eine Botschaft und ein Generalkonsulat in Deutschland unterhalten. Nach russischen Angaben werden deshalb die Generalkonsulate in Hamburg, München, Frankfurt/Main und Leipzig zum Jahresende geschlossen. Nur die Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in Bonn setzen ihre Arbeit fort.

Gegenseitige Ausweisungen

Moskau hat die Festlegung der Obergrenze ebenfalls mit Parität begründet. Bei der Mitarbeiterzahl im jeweils anderen Land habe bisher nämlich eine „zweifache Disparität zugunsten Deutschlands“ bestanden, behauptet das russische Außenministerium. Und überhaupt habe die deutsche Seite mit „Massenausweisungen“ angefangen. „Unsere Gegenmaßnahmen wurden ausschließlich als Reaktion unternommen und beruhten auf dem Gegenseitigkeitsprinzip“, liest man in der Erklärung von Ende Mai.

Deutschland hatte im April vorigen Jahres 40 Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin zu „unerwünschten Personen“ erklärt. Sie hätten „hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock damals zur Begründung. Daraufhin mussten auch 40 deutsche Diplomaten Russland verlassen.

In diesem Frühjahr nun forderte Deutschland 20 Mitarbeiter russischer diplomatischer und konsularischer Einrichtungen zur Ausreise auf. Ihnen wurde mehr oder weniger offen Spionage vorgeworfen. Der offizielle Wortlaut: „Sie waren in Deutschland Tätigkeiten nachgegangen, die den Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen widersprechen.“ Im Gegenzug mussten 20 Deutsche in Russland die Koffer packen, obwohl sie sich, so die deutsche Botschaft, „hier nichts haben zu Schulden kommen lassen“.

Mit den nun getroffenen Maßnahmen und der „damit hergestellten personellen und strukturellen Parität der Präsenzen“ ist aus Sicht der Bundesregierung „diese Thematik abgeschlossen“. Doch das russische Außenministerium spricht im Zusammenhang mit den bevorstehenden Schließungen der meisten Generalkonsulate von einem „erneuten unfreundlichen Schritt, der auf eine weitere Zerstörung der russisch-deutschen Beziehungen, die im Laufe von Jahrzehnten durch vielfältige, intensive und gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit gekennzeichnet waren“, abziele. Eine „angemessene Reaktion“ werde nicht ausbleiben.

Tino Künzel

„Ort des Austauschs bleiben“

Das Goethe-Institut nahm zu den Vorgängen rund um den unfreiwilligen Personalabbau in einer Mail an die MDZ wie folgt Stellung.

Ja, der Handlungsspielraum des Goethe-Instituts in Russland ist sehr stark eingeschränkt worden. (…) Viele unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren seit Beginn der Tätigkeit der Goethe-Institute in Russland mit uns verbunden. Sie haben sich unermüdlich und mit umfassender Fachkenntnis für den kulturellen, den künstlerischen und den zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen Russland und Deutschland engagiert. Für sie alle ist die Auflösung der Beschäftigungsverhältnisse ein tiefer und bitterer Einschnitt in ihr Leben. Das Goethe-Institut hat mit Unterstützung der Auslandsvertretung und des Auswärtigen Amts bei der Auflösung der Arbeitsverträge so gut es ging und soweit es die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten erlauben, finanzielle Leistungen erbracht, die diesen Einschnitt etwas abmildern. Aber das ändert nichts daran, dass die Sache sehr, sehr bitter ist, für uns und ganz besonders für die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen.  

Das Goethe-Institut will – nun mit reduziertem Team – weiterhin ein Ort des Austauschs bleiben. Unsere Bibliotheken in St. Petersburg und Moskau sind zwei bzw. dreimal wöchentlich bis in die Abendstunden geöffnet. Außerdem steht allen Interessierten die digitale Bibliothek offen. Mit der Onleihe des Goethe-Instituts kann man sich eine große Bandbreite digitaler Medien (ePaper, Bücher, Filme etc.) ausleihen.

Die am Institut verbliebenen Kolleginnen und Kollegen werden sich vor allem um die Unterstützung des Netzwerkes an Sprachlernzentren und für die Aufrechterhaltung unserer digitalen Bildungsangebote kümmern. Dazu gehören vielfältige Lernangebote für Schülerinnen und Schüler.

Unsere Institute in Russland bieten derzeit keine Sprachkurse und Prüfungen mehr an. Stattdessen verweisen wir auf unserer Webseite auf die unabhängigen Sprachlernzentren und unsere zertifizierten Prüfungszentren, wo man Sprachkurse belegen und Prüfungen ablegen kann. Das Goethe-Institut hält eine enge Zusammenarbeit mit diesen Sprachlernzentren aufrecht und steht weiterhin für die Beratung und logistische Unterstützung ein. 

Es ist uns wichtig, die Beziehungen zu unseren langjährigen Partnern, darunter Übersetzer und Übersetzerinnen, Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Verleger und Kuratorinnen und andere Kulturschaffende des Landes aufrechtzuerhalten. Wir sind für sie alle weiterhin da als Ansprechpartner und immer mit einem offenen Ohr für die weiteren Entwicklungen und Hoffnungen auf einen neuen kulturellen Austausch. 

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