Oma auf Zeit: Ein Moskauer Start-up vermittelt ältere Menschen als Babysitter

Seit zwei Jahren gibt es in Moskau den ungewöhnlichen Service „Oma für eine Stunde“. Ältere Menschen bieten hier ihre Dienste als Babysitter an. Und das stundenweise, tageweise oder gleich auf Dauer.

Oma

Alexander mit seinen „Enkelinnen“ Wiktorija und Jekaterina © privat

Die Idee zum Start-up kam Natalija Linkowa vor ein paar Jahren während ihres Studiums in Barcelona. Die Psychologin forschte dort zu den kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen. Dabei untersuchte sie die Auswirkungen von Beschäftigung, beziehungsweise fehlender Beschäftigung, auf die Psyche. Im Verlauf der Forschung stellte sich heraus, dass ältere Menschen sich besser fühlen, wenn sie die Möglichkeit erhalten, anderen zu helfen, sich um Kinder zu kümmern und mit ihnen zu spielen und ihre Erfahrung mit anderen zu teilen.

Aus den Forschungsergebnissen entwickelte Natalija anschließend ein Geschäftsmodell. Den Namen „Oma für eine Stunde“ wählte sie in Anlehnung an den in Russland beliebten Service „Ehemann für eine Stunde“, bei dem man für eine kurze Zeit einen Handwerker bestellen kann, um etwas im Haushalt ausbessern oder reparieren zu lassen.

Seit 2016 ist „Oma für eine Stunde“ in Moskau und dem Moskauer Gebiet aktiv. Es gibt aber schon Pläne, den Service auch in St. Petersburg und Jekaterinburg anzubieten. Rekrutiert werden die zukünftigen Babysitter über Internet, Fernsehen und Mundpropaganda. Trotz seiner sozialen Funktion ist „Oma für eine Stunde“ in erster Linie ein Geschäft.

Die Auswahl ist sehr streng

An die Bewerber werden besondere Anforderungen gestellt. Die Frauen und Männer müssen mindestens 45 Jahre alt sein und werden gründlich durchleuchtet. Neben dem obligatorischen polizeilichen Führungszeugnis müssen die zukünftigen Babysitter auch nachweisen, dass sie schuldenfrei sind. Ein Psychologe, der Oberst der Reserve des Inlandsgeheimdienstes FSB ist, versucht in einem Gespräch herauszufinden, ob der Bewerber nicht irgendwelche psychischen Krankheiten oder Süchte verheimlicht. Wenn die zukünftigen Auftraggeber es wünschen, wird auch ein Lügendetektortest durchgeführt. Es scheint einfacher zu sein, in einem Nachrichtendienst aufgenommen zu werden, als bei „Oma für eine Stunde“.

Diese Überprüfung dient aber auch der Sicherheit. „In Russland ist der Markt der Babysitter nicht reguliert, jeder kann seine Dienste anbieten. Offiziell gibt es diesen Beruf nicht. Nicht einmal eine freiwillige Zertifizierung. Wir tun alles dafür, um die Risiken für die Kinder und deren Familien zu senken. Im März habe ich, gemeinsam mit anderen Unternehmerinnen, mit Wladimir Putin gesprochen. Hoffentlich ändert sich bald etwas“, erklärt Natalija.

Bei all dem Aufwand ist der Preis für den Dienst relativ günstig. Eine Oma oder ein Opa kostet pro Stunde zwischen 300 und 500 Rubel. Für eine Vollzeitanstellung müssen die Kunden mindestens 50 000 Rubel bezahlen.

Ältere Menschen sind verantwortungsvoller

Auf die Frage, warum sich Eltern für „Oma für eine Stunde“ entscheiden, antwortet Natalija, dass diese davon überzeugt seien, dass ältere Menschen verantwortungsvoller und zuverlässiger sind. „Menschen im reifen Alter verstehen besser, welche Verantwortung sie gegenüber den Kindern tragen und lassen sich seltener von elektronischen Geräten ablenken.

Und sie sind eher bereit, sich nützlich zu machen. Sie haben selbst Kinder großgezogen, manche auch Enkel und jetzt wollen sie wieder gebraucht werden.“ Wer nicht über die nötigen medizinische oder pädagogische Grundkenntnisse verfügt, kann diese bei einem Training innerhalb von ein paar Tagen erlernen.

Einer der beliebtesten „Opas“ ist der 62-jährige Alexander Makarow. Seine Karriere als Babysitter begann vor elf Jahren. Seine Frau half damals im Haushalt einer Geschäftsfrau aus den USA, wo sie sich der Töchter Wiktorija und Jekaterina annahm. Alexander kam vorbei, um die beiden kennenzulernen. Aus der Bekanntschaft wurde eine Freundschaft und Alexander wurde zum „Opa“ der beiden Mädchen.

Mittlerweile leben Wiktorija und Jekaterina in den USA und Alexander fährt sie jedes Jahr besuchen. Die Mädchen sind für ihn „seine Enkelinnen“. Er selbst hat zwei erwachsene Söhne, aber keine Enkel. „Das ist sehr schade, auch wenn sie versprechen, dass sie irgendwann mal Kinder haben werden“, so Alexander.

Tatjana mit Alexandra auf Zypern © privat

Auf der Suche nach einem Neuanfang

Eine weitere Babysitterin ist die 47-järige Tatjana Kirsanowa. Sie ist seit langem mit Natalija Linkowa befreundet und half ihr, die Trainings zu organisieren. Eines Tages hat sie den Entschluss gefasst, sich auf der Homepage zu registrieren und schon bald bekam sie den ersten Auftrag. Mittlerweile kann sie sich keine andere Arbeit mehr vorstellen. „Ich bin zu dem Projekt gekommen, als sich mein Leben gerade im Umbruch befand.

Ich wollte meinen Job als Lehrerin an den Nagel hängen, wusste aber nicht, was ich danach tun sollte“, erzählt Tatjana. Sie ist studierte Kinderpsychologin und Grundschullehrerin, spricht Deutsch und Englisch. Der Zugang zu Kindern fällt ihr leicht. Und immer wieder reist sie mit ihnen durch die Welt. Vor ein paar Tagen erst ist sie aus Zypern zurückgekommen, wo sie auf die kleine Alexandra aufgepasst hat. „Ich versuche für die Kinder keine Lehrerin, sondern eine Freundin zu sein. Freundschaftliche Ratschläge sind angenehmer und effektiver als Anweisungen“, erklärt Tatjana.

Für Natalija Linkowa spielt das Alter ihrer Mitarbeiter keine Rolle. Sie beobachtet aber, dass die Babysitter immer jünger werden. „Oma und Opa sollte man daher nicht als Altersangabe, sondern als Symbol für Fürsorge und Wärme verstehen“, so Natalija.

Ljubawa Winokurowa

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