Nukleare Expansion

Atomenergie galt einst als Energiequelle der Zukunft. Doch katastrophale Unfälle und Diskussionen um die Lagerung der Abfälle führten dazu, dass Kernkraft in vielen Teilen der Welt zunehmend kritisch gesehen wird. Russland hingegen glaubt weiter an Strom aus Atom und baut den Sektor weiter aus.

Atom

Schöne neue Atomwelt: In Rostow am Don ging 2018 ein neuer Reaktor ans Netz. © wikicommons

Atomenergie spaltet die Menschen wie kaum ein anderer Energieträger. Dem hohen Wirkungsgrad steht die ständige Gefahr einer großflächigen Verseuchung von Landschaften durch eine Reaktorkatastrophe gegenüber. Wie real diese Gefahr ist, wurde zuletzt im März 2011 deutlich, als sich im japanischen Fukushima in Folge eines Erdbebens die zweitgrößte nukleare Havarie der Geschichte ereignete. Als Reaktion auf die Katastrophe beschloss die Bundesregierung den geplanten Atomausstieg zu beschleunigen und die Reaktorlaufzeiten in Deutschland zu verkürzen.

In Russland hält man dagegen an der umstrittenen Technologie fest. „Wir werden unsere Pläne nicht ändern, aber natürlich unsere Schlüsse daraus ziehen.“, erklärte Präsident Wladimir Putin nach der Katastrophe von Fukushima. „Zu Öl und Gas gibt es nur eine starke Alternative. Das ist die Atomenergie.“ Alle anderen Möglichkeiten der Energiegewinnung seien nur „Spielereien“.

Atomstrom wird in Russland in 35 Reaktoren an zehn Standorten produziert. Nach Angaben der Föderalen Agentur für Atomenergie Russlands Rosatom  erzeugten die russischen Meiler 2018 eine Gesamtleistung von 204,2 Terrawatt. Das waren nicht nur 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr, sondern auch die höchste Produktion seit dem Ende der Sowjetunion.

Um das angestrebte Ziel von 25 Prozent am russischen Energiemix zu erreichen, hat Rosatom seine Investitionen seit 2011 massiv hochgefahren. Einer 2018 veröffentlichte Studie der Bellona-Stiftung zufolge waren es bis 2018 20 Prozent. Investiert wird das Geld in die Reaktoren. So sollen sowohl ältere Meiler überholt und zusätzlich neue gebaut werden. Im vergangenen Jahr ging im südrussischen Rostow am Don ein vierter Reaktorblock ans Netz. Aktuell errichtet Rosatom drei Reaktoren in St. Petersburg, Woronesch und im Kursker Gebiet.  Außerdem sind zehn zusätzliche Meiler in Planung, von denen der Großteil 2030 in Betrieb gehen soll.

Neue Meiler an Land und zur See

Weitere Pläne untermauern das Vertrauen in die Kernenergie. Ende April stach der weltweit erste mobile Kernkraftreaktor „Akademik Lomonossow“ von Murmansk aus in See. Der auf einem Schiffsrumpf montierte Energieerzeuger wird momentan noch für die geplante Inbetriebnahme im Dezember dieses Jahres vorbereitet. Als Vorbild bei der Konstruktion diente die bereits etablierte Eisbrecher-Flotte. Das Ziel des schwimmenden Meilers ist die mobile und flexible Stromversorgung abgelegener Regionen. 

Ende des Jahres soll das Schiff die nördlichste Stadt Russlands, Pewek im Autonomen Kreis der Tschuktschen im äußersten Nordosten Russlands, anlaufen und den 5000-Einwohner-Ort mit Energie versorgen Laut Betreiber Rosenergoatom, einer Tochterfirma von Rosatom, könne das Schiff Strom für bis zu 200 000 Menschen erzeugen. Während Umweltverbände den mobilen Reaktor kritisch sehen und gar von einem „Tschernobyl auf Eis“ sprechen, möchte Rosatom der „Akademik Lomonossow“ weitere Schiffe folgen lassen.

Expansion auch im Ausland

Russische Kernenergietechnik ist auch im Ausland zunehmend gefragt. 37 Prozent aller neuen Atomreaktoren weltweit kommen aus Russland. Rosatom ist damit der international größte Exporteur von Nukleartechnologie, nachdem die Konkurrenten Westinghouse aus den USA und die französische Areva in den letzten Jahren mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten. Die Auftragsbücher der Agentur sind voll. In der Türkei, Weißrussland, Indien, Bangladesch und China stehen von Rosatom gebaute Kraftwerke kurz vor der Vollendung. 19 weitere Projekte befinden sich im Planungsstatus. Zudem verhandelt Rosatom aktuell über 14 weitere Meiler. Hinzu kommen Beteiligungen an Neubauprojekten in Finnland und Ungarn. Nach Angaben von Rosatom betrug der Wert aller ausländischen Aufträge im vergangenen Jahr 134 Milliarden Dollar.

Spätestens seit der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl 1986 gilt die russische Atomtechnik in vielen Teilen der Welt als unzuverlässig und gefährlich. Rosatom investiert deshalb verstärkt in die Sicherheit: Eine neue Technologie soll auch in Zukunft für Vertrauen in die umstrittene Kerntechnik sorgen. Das für die Herstellung von Brennstäben zuständige Tochterunternehmen Twel kündigte Anfang des Jahres an, einen Durchbruch in der Sicherheitstechnologie geschafft zu haben, an dem bereits mehrere Unternehmen forschen.

Dabei geht es um den sogenannten „toleranten Brennstoff“ – eine Beschichtung der Brennstoffelemente und neue Zusammensetzungen des Materials. Bei schweren Unfällen soll so das Entstehen von Wasserstoff verhindert werden, was bei einer Reaktorüberhitzung zu starken Explosionen führen kann – so auch geschehen in Tschernobyl. Der russische Monopolist ist weltweit aktuell die Nummer drei in Produktion und Lieferung von Nuklearbrennstoffen. Mit der erfolgreichen Markteinführung  könnte der Lieferant seine Marktposition noch deutlich ausbauen.

Fiete Lembeck

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