Das Centre Pompidou als Vorbild

Wasser tropft von der Decke, Pfützen auf dem Parkett – Videos aus der Neuen Tretjakow-Galerie sorgten im Sommer für Aufregung in sozialen Netzwerken. Dass der Koloss aus Sowjetzeiten marode ist, war bekannt. Star-Architekt Rem Koolhaas arbeitet schon länger an einem komplett neuen Outfit für den Museumsbau. Direktorin Selfira Tregulowa erzählt im Interview, wie die Pläne für die Zukunft aussehen.

Entwurf für die Neue Tretjakow-Galerie
Die Pläne von Rem Koolhaas sehen eine Bibliothek, einen Festsaal und ein Bildungszentrum vor. (Foto: Pressedienst der Tretjakow-Galerie)

Frau Tregulowa, der Wassereinbruch Ende August hat die Moskauer Öffentlichkeit bewegt. Kamen Kunstwerke dabei zu Schaden?

Die Lecks waren fast überall in der Mitte der Räume und die Gemälde sind in der Regel an den Wänden aufgehängt. Daher kann ich versichern, dass keines der Kunstwerke beschädigt wurde, auch wenn der Anblick des eindringenden Wassers wirklich beängstigend war. Der Baukonzern Krost, dessen Präsident Mitglied unseres Kuratoriums ist, hat uns glücklicherweise sofort Hilfe angeboten und ein Team von 50 Leuten geschickt. Sie kümmern sich um die Regenwasserleitungen in der Decke, aus denen das Wasser ausgetreten war. Der Regen war an diesem Tag so stark, dass diese Rohre dem Druck nicht mehr standgehalten haben. Sie werden nun ausgetauscht. Der Konzern stellt uns diese Kosten nicht in Rechnung, wofür wir überaus dankbar sind.

Selfira Tregulowa, Neue Tretjakow-Galerie
Selfira Tregulowa ist seit 2015 Direktorin der Tretjakow-Galerie. (Foto: Pressedienst der Tretjakow-Galerie)

Ein Teil des Museums ist wieder geöffnet. Was erwartet die Besucher in den kommenden Wochen?

Die Ausstellung „Nicht für immer“ ist seit dem 16. September wieder zu sehen. Wir baten die Firma Krost, in diesen Sälen mit dem Austausch der Rohre zu beginnen, die Arbeiten sind abgeschlossen. Dann gab es die Ausstellung „Meisterwerke aus Kasan“, die sich im obersten Stock befand. Die haben wir nach Rücksprache mit dem Museum in Kasan in den zweiten Stock verlegt. Außerdem eröffnet am 23. September die Ausstellung „Die Nikonows. Drei Künstler“. Sie zeigt Werke von Pawel Nikinow, einem der bedeutendsten Künstler der Tauwetter-Periode, sowie seines älteren Bruders und seiner Tochter, die leider beide nicht mehr unter uns sind. In der Zwischenzeit werden wir die Rohre dort tauschen, wo wir unsere Dauerausstellung hatten. Wir hoffen, dass wir in einigen Wochen einen Teil derselben wieder zeigen können.

Vor etwa zwölf Jahren gab es Pläne, das Gebäude am Krymskij Wal abzureißen und durch einen Neubau, die „Apfelsine“, zu ersetzen. Warum sind die Abbruchpläne nun vom Tisch?

Ich kann Ihnen nicht sagen, warum diese Pläne nicht umgesetzt wurden. Ich glaube das fiel mit dem Wechsel des Bürgermeisters zusammen. Als ich im Februar 2015 ans Museum kam, versuchte ich mir natürlich ein Bild von den größten Problemen hier zu machen. Dabei ging es unter anderem um den Zustand des Gebäudes. Die Schäden am Dach waren damals schon bekannt, doch das Budget reichte nicht unbedingt, die besten Firmen mit der Reparatur zu beauftragen. Also beriet ich mich mit meinen Kollegen und wir kamen zu dem Schluss, dass die Zeit für eine umfassende Sanierung gekommen sei – aber nicht für einen Abbruch.

Daher wandte ich mich an den weltberühmten Architekten Rem Koolhaas, den ich von früheren Projekten kannte. Ich fragte ihn, ob er interessiert sei, in einen Dialog mit dem Gebäude zu treten und hier in Moskau an dem Projekt zu arbeiten. Er war wahnsinnig enthusiastisch und präsentierte schon bald seine Ideen. Er hat die unglaubliche Fähigkeit, in zwei oder drei Minuten die komplexesten Dinge zu beschreiben. Es folgten Gespräche mit der Verwaltung und den Architekturbehörden der Stadt und wir begannen, die finanziellen Mittel für das Projekt zu beschaffen.

Dann wandten wir uns an das Moskauer Büro Reserve um den Architekten Wladimir Plotkin. Er arbeitet sehr gut mit Rem Koolhaas zusammen, hat ein gutes Gespür für dessen Visionen.

Wo steht das Projekt momentan?

Jetzt sind wir mit den Entwürfen fertig. Bei den Online-Konferenzen in den vergangenen Monaten war Rem jedes Mal persönlich dabei. Er ist sehr engagiert in diesem Projekt. Er liebt das Gebäude und die riesigen Räume darin. Doch er ist sich bewusst, dass es heute weder den Ansprüchen eines Museums noch denen des Publikums gerecht wird.

Er hat sich sehr auf die Bildungsfunktionen konzentriert. Wir schaffen eine große öffentliche Bibliothek und ein Medienzentrum. Es soll ein Gebäude für die Menschen werden, für ein breites Publikum. Ohne jetzt zu visionär klingen zu wollen, unser Vorbild ist ein wenig das Centre Georges-Pompidou in Paris. Auch für die Dauerausstellung hat Rem zusammen mit meinen Kuratoren ein sehr spannendes Konzept entwickelt. Wir wollen, dass es ein Ort für die Menschen wird, ein positiver Ort. Ich glaube, das brauchen wir zurzeit mehr denn je.

Was erwartet Museumsbesucher in der Zeit des Umbaus?

Bevor wir mit der Renovierung beginnen können, müssen wir das Gebäude räumen. Wir brauchen einen Ort für die Dauerausstellung, und ein Lager. Dieses wird derzeit in Kommunarka gebaut, übrigens ebenfalls mit Beteiligung von Wladimir Plotkin. Der Bau wird mehreren Museen des Bundes und der Stadt zur Verfügung stehen. Das ist eine große Hilfe seitens der Stadt und das Bürgermeisters Sergej Sobjanin – denn wir alle wissen, dass die Stadt Moskau viel schneller baut als wir das könnten. Wir hoffen, dass das Gebäude Ende 2023 fertiggestellt wird und wir im Frühjahr 2024 nach Kommunarka umziehen können. Ich würde sagen, wenn ich realistisch bin, dann werden wir fünf Jahre dort verbringen.

Es wird eine Bibliothek, Kinosäle, Räume für Bildungsprogramme und Ausstellungsräume geben, die wir uns mit anderen Museen teilen werden. Das wird sicher eine wichtige Kultureinrichtung in Neu-Moskau. Wenn wir zurück zum Krymskij Wal ziehen, wollen wir weiterhin dort aktiv sein. Schließlich entstehen dort riesige Wohngebiete mit derzeit noch kaum kulturellen Angeboten.

In der Innenstadt entsteht gerade an der Jakimanskaja Nabereschnaja ein neues Gebäude. Dort werden wir eine Auswahl unserer Dauerausstellung der Sammlung des 20. Jahrhunderts zeigen. Zudem wird dort Platz für die großen Sonderausstellungen sein.

Und zuletzt: Wie ist Ihr ganz persönliches Verhältnis zum Gebäude am Krymskij Wal?

Als ich 1972 mit meinem Studium begann, war das Projekt noch nicht sehr weit gediehen. Doch wir wussten, dass es für viele von uns der Arbeitsplatz werden würde. Ganz ehrlich, damals hasste ich dieses Gebäude. Obwohl ich erkannte, dass es viel mit der Architektur des russischen Konstruktivismus gemein hatte und zudem von Le Corbusier beeinflusst war, sah es für mich so groß aus, so lang und so eckig. Als ich dann vor fünfeinhalb Jahren als Direktorin hierherkam, schaute ich es mir aufmerksam an. Und ich begann es zu mögen.

Wir hatten von der Tochter des Architekten ein Archiv erhalten, das uns zeigte, wie an dem Bau gearbeitet wurde. Die ersten Skizzen wurden 1959 erstellt, fertig wurde das Gebäude 1985! Die Konstrukteure wurden in zehn verschiedene Länder geschickt, um sich die neuesten Museen anzusehen, Brasilien, Japan. Es ist wirklich gute Architektur. Nach den ersten Gesprächen mit Rem Koolhaas begann ich, das Gebäude mit seinen Augen zu sehen.

Die Fragen stellte Jiří Hönes.

60.000 Quadratmeter Sanierungsfall

Der Museumsbau am Ufer der Moskwa wurde ursprünglich für zwei Funktionen geplant, als Ausstellungszentrum des Künstlerbunds der Sowjetunion und als Standort der Tretjakow-Galerie. „Zentrales Künstlerhaus“ wurde das von Nikolaо Sukojan und Jurij Schewerdjajew im Stil der Sowjetischen Moderne entworfene Gebäude genannt. Die Arbeiten zogen sich von 1965 bis 1985 hin. Seither wurde an dem Koloss nur das Nötigste saniert.

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