Im Sommer gehört Nardy in Russland fast schon zum Straßenbild. Die Protagonisten sind dabei meist Männer mit südlichem Aussehen, bevorzugt aus dem Kaukasus, wo sich der Zeitvertreib besonders großer Beliebtheit erfreut. Auch im Schwarzmeer-Badeort Anapa waren diesen Herbst noch kurz vor Saisonende armenische Straßenhändler zu beobachten, die sich in der Fußgängerzone stundenlang dem geliebten Brettspiel hingaben, dessen Geschichte bis in vorchristliche Zeit zurückreicht. Weil es ja kaum noch Kunden zu bedienen gab, lenkte sich auch der Armenier Gor, schon vor Jahrzehnten nach Russland übergesiedelt und wohnhaft in der südrussischen Stadt Mineralnyje Wody, nur zu gern mit Nardy ab, das auf Außenstehende geheimnis- und anspruchsvoll wirkt, und beantwortete nebenbei Fragen dazu.
Wie lange würden Sie wohl brauchen, um mir das Spiel beizubringen?
Wenn Sie zählen können – zwei Minuten.
Ich habe gerade eine Partie verfolgt und nichts verstanden. Vielleicht eher zwei Jahre?
Nach zwei Minuten können Sie anfangen, selbstständig zu spielen. Nach einer Stunde kennen Sie sämtliche Regeln. Das heißt natürlich nicht, dass Sie sich sofort mit alten Hasen messen können. Aber Sie werden die Grundzüge des Spiels beherrschen.
Wie haben Sie es selbst erlernt?
Ich habe zu Hause in Armenien meinem Vater über die Schulter geschaut. Bei uns wurde ja überall gespielt: im Hof oder wenn Besuch kam. Keiner hat sich extra hingesetzt, um mir etwas zu erklären.
Wie alt waren Sie da?
Fünf. Mit sechs konnte ich Schach spielen. Auch das hat mich niemand gelehrt.
Was gefällt Ihnen an Nardy?
Das ist ein Spiel für Jedermann. Es stellt keine großen Ansprüche an den Ort und die Zeit, eine Partie dauert im Schnitt vielleicht sieben, acht Minuten. Viel hängt auch vom Würfelglück ab. Das ist kein Schach, wo man still sitzen, seine grauen Zellen anstrengen und sich konzentrieren muss.
Der beste Spieler, von dem Sie je gehört haben?
In Eriwan gab es noch zu Sowjetzeiten einen Invaliden, der sein Spielbrett im Freien aufgebaut hatte. Jeder konnte gegen ihn antreten und ging sogar mit einem Vorsprung von 2:0 ins Rennen. Gespielt wurde bis fünf. Man erzählte sich, er habe nie verloren.
Das Interview führte Tino Künzel.