
Ausgerechnet in einer amerikanischen Küche wurden am 24. Juli 1959 einige der kühnsten Voraussagen über die Sowjetunion getroffen. Noch sieben Jahre, und sie werde mit den USA bei der Güterproduktion gleichziehen, verkündete ein kleiner, dicklicher und offenbar gutgelaunter älterer Herr, bevor er fröhlich und zufrieden mit sich selbst unter allgemeinem Gelächter hinzufügte: „Wenn wir euch dann auf der Straße überholen, grüßen wir freundlich. Wir können auch anhalten und auf euch warten, damit ihr uns folgt.“
Zugetragen hat sich die Szene mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow in der Hauptrolle auf einer Ausstellung im Moskauer Sokolniki-Park. Dort führten die USA gerade alle möglichen Errungenschaften ihrer Wirtschaft vor, vom Rasenmäher über Pepsi-Cola bis hin zum Modell eines Vorstadthauses. Praktisch in dessen Küche stehend, lieferten sich Chruschtschow und der zur Eröffnung der Ausstellung angereiste US-Vizepräsident Richard Nixon ein Rededuell, das als „Küchendebatte“ in die Geschichte eingegangen ist.
„Wer mehr Waren produziert …“
Der nur 1,60 Meter große Sowjetführer stellte sich rhetorisch gern mal auf die Zehenspitzen, so auch bei dieser Gelegenheit. Als Nixon jovial meinte, auch die Sowjetunion könne in einem Systemwettstreit durchaus hier und da die Nase vorn haben, etwa mit ihren Weltraumraketen, dafür würde dieses Gespräch aber mit einer Kamera für das Farbfernsehen aufgezeichnet, wieder so einer technischen Innovation made in USA, da winkte Chruschtschow ab: Man sei den Amerikanern in beiden Fällen überlegen.
Nixon lächelte die hemdsärmeligen Monologe seines Gegenübers mit dem Satz weg, das sei man ja von ihm gewohnt. Doch dann sagte Chruschtschow etwas, was rückblickend wie ein klassisches Eigentor klingt: „Lasst uns wetteifern! Wer mehr Waren für das Volk hervorbringt, dessen System ist besser und gewinnt.“
Wo Autos sind, braucht es Garagen
So ist es gewissermaßen 30 Jahre später auch gekommen, wobei sich Chruschtschow den Ausgang natürlich ganz anders vorgestellt hatte. 1961 prophezeite er der „heutigen Generation sowjetischer Menschen“, sie würden den Anbruch der kommunistischen Ära miterleben. Drei Jahre später wurde er von allen Ämtern entbunden. Die Große Sowjetische Enzyklopädie schrieb ihm „Elemente von Subjektivismus und Voluntarismus“ zu.
Unter seinem Nachfolger Leonid Breschnew wurden die großen Visionen mit der Zeit immer abstrakter. Dafür richteten sich die Menschen in ihrem kleinen Glück ein und zogen sich nach Möglichkeit ins Private zurück. Zu einem Attribut bescheidenen Wohlstands inmitten von notorischem Mangel wurde das eigene Auto – und damit die Garage.
Der Traum vom guten Leben
Dieser Kontext wird auch bei der Ausstellung „Ich kaufe eine Garage“ im Moskau-Museum ausführlich behandelt. Gleich im ersten Raum läuft die „Küchendebatte“ in Dauerschleife und erinnert daran, wie ein sowjetischer Spitzenpolitiker einst einräumte, dass sich die neue Ordnung an ihrer Konsumgüterfülle messen lassen müsse. Damit legitimierte er auch den Wunsch des gemeinen Sowjetbürgers, nicht nur die klassenlose Gesellschaft herbeisehnen zu sollen, sondern auch handfeste Insignien des Fortschritts sein Eigen zu nennen, vom Kühlschrank bis zur Waschmaschine und von der Wohnung bis zum Auto.
Doch die Planwirtschaft konnte solche Bedürfnisse nur zum Teil befriedigen, weshalb materielle Güter oft nur Auserwählten zur Verfügung standen und als Auszeichnung vergeben wurden, was sie erst recht zu Statussymbolen machte. Dennoch hatten im Verlaufe der 1960er und 1970er Jahre zunehmend größere Bevölkerungsschichten Zugang zu einem eigenen Pkw. 1970 waren in Moskau bereits mehr als 100.000 Autos gemeldet (heute sind es ca. vier Millionen).
Auch Museen waren früher Garagen
Damit gewann eine Frage immer mehr an Bedeutung: Wo sollen die Schigulis, Moskwitschs und Wolgas eigentlich übernachten? Garagen gab es zu diesem Zeitpunkt in Moskau schon lange. Doch gemeint waren damit meist ganze Gebäude zur Unterbringung eines institutionellen Fuhrparks.
Auch die an der Garagen-Ausstellung beteiligten Museen haben eine solche Vergangenheit. Das Moskau-Museum vis-à-vis der Metrostation Park Kultury entstand 1835 als Speicher für militärische Zwecke und wurde zu Sowjetzeiten zu einer Art Parkhaus umgebaut, was bis heute nicht zu verkennen ist: Ausstellungsbesucher laufen die alte Auffahrt hinauf. Das Moskauer Verkehrsmuseum bezieht im kommenden Jahr seinen künftigen Standort in der Nähe des Kasaner Bahnhofs – ein in den 1920er Jahren entworfenes Lkw- und späteres Busdepot.
Zweites Wohnzimmer für die Männer
Der Bau privater Garagen wurde in Moskau 1960 verboten. Nahezu gleichzeitig erlaubte die Russische Sowjetrepublik aber die Schaffung sogenannter Garagenkollektive. Deren Erbe ist bis heute überall in Russland an den Rändern von Wohngebieten in Form von langen Garagenreihen zu sehen. Mitglieder beschlossen sämtliche Vorhaben gemeinsam und waren nicht berechtigt, ihre Garage zu veräußern, denn streng genommen handelte es sich nicht um Eigentum. Über die Komplikationen, die sich aus diesem kollektiven Charakter ergaben, hat Kultregisseur Eldar Rjasanow 1979 sogar eine herrlich schräge Komödie unter dem lakonischen Titel „Die Garage“ gedreht.

Dem Phänomen der Garagenkultur, die sich nach und nach entwickelte, widmet sich die Ausstellung mit großer Sympathie. In einer Gesellschaft, die von viel Gleichförmigkeit geprägt war, boten die äußerlich ebenfalls immer gleichen Garagen einen seltenen Freiraum für Individualität und wurden zu einem zweiten Wohnzimmer für „echte Männer“. Hier wurde mit Lust und Liebe gebastelt und geschraubt. Hier richtete man sich halbwegs häuslich ein, umgeben von diversem Krempel, der in den meist beengten Wohnverhältnissen keinen Platz mehr hatte, aber zu schade zum Wegwerfen war. Auch nicht vorhandene Keller mussten von den Garagen ersetzt werden.
Nichts ist mehr, wie es war
Vieles hat sich seitdem geändert, angefangen von den Autos, die nicht mehr selbst repariert und getunt werden wollen, bis hin zum Lebensrhythmus und Freizeitverhalten. Auch die Allzeitverfügbarkeit der Dinge macht die Garage als Aufbewahrungs- und Vorsorgeort für alle Fälle entbehrlich. Und zur Individualisierung wird sie erst recht nicht mehr gebraucht. In den Garagenkolonien trifft man oft genug keine Menschenseele an, es sei denn, dort ist die eine oder andere Autowerkstatt eingezogen.
Und so erzählt „Ich kaufe eine Garage“ vor allem von der Vergangenheit und von denen, die diesen verschwundenen Mikrokosmos bevölkerten oder fast schon dazugehörten, nur noch nicht alt genug waren. Der Enge des Innenhofs entwachsen, entdeckten Halbwüchsige das Umfeld der Garagen für sich. Es war nämlich den Blicken der Erwachsenen entzogen, vor allem der Klatschtanten auf der Bank vor dem Hauseingang, die Mama petzen konnten. „Hier“, heißt es auf einer der Schautafeln in der Ausstellung, „sprangen sie mit Regenschirmen (oder auch ohne) vom Garagendach, rauchten, machten Feuer, rösteten Kartoffeln, bauten sich Katapulte und Armbrüste, lernten, wie man küsst, rüsteten Fahrräder mit Motoren auf, hörten Musik, die gegen die offizielle Tonlage verstieß, und klärten, wer stärker und cooler ist. Es war eine gefährliche und anziehende Welt.“
Die Ausstellung im MoskauMuseum ist noch bis zum 10. März 2024 täglich außer montags von 11 bis 22 Uhr geöffnet. Für Erwachsene kostet der Eintritt 500 Rubel, für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre die Hälfte.
Tino Künzel
Zitat aus der Ausstellung: 18 Quadratmeter Seelenheil
Eine Normgarage für den Pkw war 18 Quadratmeter groß. Das Auto belegte ungefähr die Hälfte davon. Den Rest teilten sich Einweckgläser und Vorräte, Fahrräder und Angelruten. Hierher wanderten aus den Wohnungen, Schränken und Anrichten jene Sachen, die den Anschluss an die Zeit verloren hatten – Zeugnisse jugendlicher Werte, früherer Siege und versteckter Potenziale. Ihres praktischen Nutzens beraubt, stand jeder solche Gegenstand aber für eine Geschichte. Die erste Krawatte, geschenkt vom Vater, eine Münze, gemeinsam geprägt mit Opa, die Abzeichen- oder Briefmarkensammlung – auch wenn die Leidenschaft vergangen sein mag, so hat sie doch ein warmes Gefühl hinterlassen. „Mensch, so war das damals.“
Spielzeug, von dem man sich nicht trennen mag, das kaputte Bügeleisen, das du irgendwann reparieren wirst (von wegen), der ausgeleierte, aber doch so bequeme Pullover: Solche „Schätze“ zogen aus der Stadtwohnung in den geschützten Raum der Garage um. Sie verwandelten diesen schmucklosen Kasten aus Metall oder Ziegeln in einen Zufluchtsort für die Seele, wo unsere Vergangenheit nicht endgültig vergeht.