Nach chinesischem Vorbild

Schutz vor ausländischen Attacken oder doch ein Instrument zur Zensur? Die Duma hat per Gesetz den Ausbau eines eigenständigen russischen Internetsegments beschlossen. Doch die Idee dazu kommt aus China. Warum sich Moskau schon seit Jahren an Peking orientiert.

Die Idee eines souveränen Internets stammt vom chinesischen Informatiker Fang Bingxing. / Foto: yandex.ru.images

Hunderte Webseiten werden täglich blockiert und Nutzer verbotener Messenger-Dienste auch schon mal von den Behörden gesucht: Die russischen Versuche zur Kontrolle des Internets dürften in China oft nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Denn viele der russischen Praktiken werden von Peking bereits seit Anfang der 2000er Jahre angewandt. Doch nun könnte der Schüler zum Meister werden. Denn Moskau plant den Ausbau eines eigenen russischen Intranets, das unabhängig vom Rest der Welt operieren können soll.

Datenströme sollen fließen – auch bei einem äußeren Angriff

Dies geht aus einem Gesetzes­entwurf vor, den die Duma Mitte Februar angenommen hat. Für den Fall eines äußeren Angriffs soll demnach der weitere Fluss der Datenströme im russischen Internet (RuNet) garantiert werden. Dafür soll bei einer Attacke das RuNet vom restlichen Netz abgetrennt werden. Russische Internetprovider müssten dafür den gesamten inländischen Datenverkehr über staatlich kontrollierte Knotenpunkte leiten. Entsprechende Tests sollen noch vor April durchgeführt werden. Experten äußerten erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Vorhabens.

Mit dem Vorstoß reagiere Russland „auf den aggressiven Charakter“ der amerikanischen Cybersicherheits-Strategie von 2018, heißt es in der Begründung des Gesetzes­entwurfes. Diese benenne Russland als Gefahrenherd und sehe auch präventive Cyber-Schläge gegen Moskau vor. Für einen solchen Fall müsse der weitere Datenfluss im Land garantiert werden.

Die Idee zum Gesetz kommt aus China

Während Journalisten, Blogger und Bürger kritisieren, dass das Gesetz die Kontroll- und Zensurmöglichkeiten ausweite, verweist der Sinologe Leonid Kowatschitsch auf die Ursprünge der Initiative. Denn die Idee zu dem Gesetz stamme aus China, schreibt der Spezialist in einer Analyse für die Moskauer Wirtschaftszeitung „Wedomosti“.

Das Konzept eines souveränen, nationalen Internets gehe auf den Informatiker Fang Bingxing zurück, den Schöpfer von Chinas sogenannter großer Firewall, einem breit aufgestellten System zur Überwachung und Zensur des Internets. Im Jahre 2011 hatte Bingxing das Konzept erstmals auf einer Konferenz für Informationssicherheit in der ostchinesischen Stadt Changsha vorgestellt.

Nationale Cybersouveränität beruhe demnach auf vier Säulen. Zum ersten solle jedes Land das eigene Internetsegment völlig kontrollieren können. Weiterhin müsse jeder Staat dazu in der Lage sein, seinen Netzbereich vor äußeren Attacken zu schützen. Grundlegend sei darüber hinaus die Gewährung gleicher Rechte bei der Nutzung der Internet-Ressourcen. Außerdem dürften andere Staaten in keinem Fall die sogenannten DNS-Server (Domain Name System) eines Landes kontrollieren, über welche der Zugang zum jeweiligen nationalen Internetsegment erfolgt.

Abkoppelung des Internets im Test

Drei Jahre später machte sich der chinesische Staats-und Parteichef Xi Jinping die Ideen zu Eigen und verkündete auf der ersten chinesischen Welt-Internet-Konferenz das Recht eines jeden Staates auf ein souveränes Internet.
In Russland trafen die Ideen aus dem Nachbarland auf offene Ohren. So habe das russische Ministerium für digitale Entwicklung postwendend die Abkoppelung des RuNets vom weltweiten Netz in Versuchen durchgespielt, schreibt Leonid Kowatschitsch.

Das Ergebnis habe die Beamten in Alarmbereitschaft versetzt. Denn das russische Internet erwies sich als äußerst verletzlich. Seit diesem Zeitpunkt habe die russische Debatte über ein souveränes Internet deutlich an Fahrt aufgenommen. Die Erfahrungen des großen Nachbarlandes habe Moskau dabei stets im Blick behalten.

Chinesische Gesetze, russische Praxis

Die Parallelen im Herangehen beider Staaten schlugen sich auch in zwei russisch-chinesischen Abkommen nieder. So unterzeichneten Peking und Moskau 2015 eine Übereinkunft zur Kooperation in Fragen der Informationssicherheit. Die Schrift erklärte die Internetsouveränität zu einer Erweiterung der staatlichen Unabhängigkeit. Ein Jahr später bekräftigen Wladimir Putin und Xi Jinping in einer Erklärung die Übereinstimmung beider Staaten bei grundsätzlichen Fragen der Cybersicherheit und der Kontrolle des Internets. Die Einmischung Dritter in nationale Cyberfragen sei unzulässig.

Auch bei der Gesetzgebung zur Internetsicherheit habe sich Russland an der chinesischen Praxis orientiert, führt Leonid Kowatschitsch in „Wedomosti“ aus. Praktiken wie das Sperren von Internetseiten, das Speichern von Userdaten auf nationalen Servern und die Fahndung nach Nutzern verbotener Chat-Dienste via Telefonnummer würden in China bereits seit Ende der 90er Jahre angewandt.

Moskau geht einen Schritt weiter

Technisch gehe Russland nun aber erstmals weiter als China, analysiert der Experte. Denn der verabschiedete Gesetzesentwurf sehe die Errichtung eines eigenen, vom Rest der Welt unabhängigen, Domain Name Systems (DNS) vor. DNS-Server weisen der über die Tastatur eingegeben Webseite die jeweils gültige IP-Adresse zu. Historisch bedingt befinden sich die meisten DNS-Server in den USA.

China wollte daher schon seit Langem unabhängiger von dem System werden, um im Fall einer Krise nicht auf amerikanische Infrastruktur angewiesen zu sein. Eine überzeugende technische Lösung des Problems blieb Peking bisher aber schuldig. Ideen eines geschlossenen Systems kamen aufgrund technischer Detailfragen nicht über das Planungsstadium hinaus. Russland hat die Umsetzung der losen Ideen mit seinem Gesetz nun erstmals verbindlich festgeschrieben. Das eigenständige russische DNS-System soll demnach in Konkurrenz zum amerikanischen System aufgebaut werden.

Vorbild Nordkorea?

Allerdings sei die technische Umsetzung des Vorhabens höchst fraglich, resümiert Leonid Kowatschitsch. Das Nebeneinander von einem weltweiten und einem alternativen DNS-System in einem Netz sei technisch nicht möglich. Die Vergabe der Domainnamen erfolge hierarchisch und könne nur über eines der beiden Systeme laufen.

Wirklich souverän und kontrollierbar könne daher nur ein eigenes geschlossenes Internet sein. Hier sei aber nicht China das Vorbild, sondern Nordkorea, dessen Internet ausschließlich innerhalb der eigenen Grenzen funktioniere.

Birger Schütz

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