Seit in Russland „traditionelle Werte“ Staatsräson sind, macht auch das Frauenbild einen Wandel durch. Das wurde bei einem internationalen Frauenforum in Jekaterinburg Anfang Juni erneut deutlich. Es stand unter dem Motto „Eine starke Familie ist das Fundament des Staates“. Nach Medienberichten kamen die rund 4000 Teilnehmerinnen aus 16 Ländern, darunter China, die Türkei und Serbien.
„Welthauptstadt der Frauen“
Die bekannte TV-Moderatorin und Medienmanagerin Tina Kandelaki (48) freute sich auf Telegram darüber, dass Jekaterinburg „im Augenblick die Welthauptstadt der Frauen ist“. Das Forum bezeichnete Kandelaki als „anschauliches Beispiel für russische Soft Power“. Weiter schrieb sie: „Bei solchen Treffen geht es immer um aktuelle Themen: die Arbeit von Frauen auf den verschiedensten Gebieten, Schönheit und Gesundheit, familiäres Glück.“
Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von der Regionalregierung in Jekaterinburg und der Regionalabteilung der Frauen-Union Russlands. Diese Organisation hat unlängst eine „Charta der Solidarität für die Erneuerung, Bewahrung und Verteidigung traditioneller familiärer Werte“ initiiert, als deren Unterstützer unter anderem der russische Journalistenverband genannt wird. Darin heißt es: „Nein zur aggressiven Propaganda ,neuer Werte – der Gendervielfalt‘ und von Ideen der Kinderlosigkeit, zur destruktiven Ideologie, Russophobie, zu Neonazismus und zur Zerstörung geistig-moralischer und traditioneller Eckpfeiler des Lebens in der russischen Gesellschaft. Ja zu den gemeinsamen Werten der großen, freundschaftlich verbundenen Völkerfamilie Russlands.“
Erstes Kind mit 18
Vorsitzende der Frauen-Union in Jekaterinburg ist Irina Tschemesowa (37). Sie ruft junge Frauen dazu auf, am besten schon mit 18 Jahren ihr erstes Kind zu bekommen. Familien sollten „möglichst früh“ gegründet werden, im Alter von 18 bis 19 Jahren, „wie früher“, sagte Tschemesowa zuletzt im Lokalfernsehen. Im Jekaterinburger Internetportal E1 wurde die Aussage rege kommentiert. Zustimmung gab es kaum.
Aber Tschemesowa, die Ex-Frau des Jekaterinburger Vize-Gouverneurs Oleg Tschemesow, ging noch weiter. „Ich sage immer: Was ist eine Frau ohne Mann? Glücklich ist eine Familie dann, wenn sie vollwertig ist und es Mama und Papa gibt. Eine Frau darf sich noch nicht einmal ohne Mann denken.“
Der Metropolit spricht
Der wohl bemerkenswerteste und zumindest meistzitierte Auftritt beim Frauenforum gehörte einem Mann. Weil die russisch-orthodoxe Kirche eine feste Meinung zu Familienfragen hat und sich als wichtiger Garant des staatlichen Fundaments versteht, war auch der Jekaterinburger Metropolit Jewgeni (51) unter den Rednern. Er sprach über die „wahren Interessen und Rechte“ von Frauen. Als solche nannte er „zu lieben und geliebt zu werden, Kinder zu gebären, sie großzuziehen und zu erziehen und zu wissen, dass ihre Zukunft gesichert ist“.
Ein aufgezwungenes Rollenmodell sei es dagegen, eine „schlechte Kopie“ von Männern zu sein, mit ihnen „konkurrieren“ zu wollen, die einzigartige eigene Weiblichkeit, das Anderssein nicht zur Geltung zu bringen.
Hollywood und die Demografie
Auch auf die Frauenbewegung kam Jewgeni zu sprechen. Es sei paradox, dass die Frauen geglaubt hätten, erfolgreich für ihre Rechte zu kämpfen. In Wirklichkeit hätten sie „die Träume lüsterner Männer“ erfüllt, denn die hätten Frauen gern genau so: „sexuell freizügig und verfügbar jenseits von Familie und ehelichen Verpflichtungen“.
Erst kürzlich hatte der Metropolit die demografischen Probleme Russlands mit Hollywood in Verbindung gebracht. Unter dem Einfluss der Klischees aus Hollywood-Filmen und generell des Westens gebe es in vielen Familien nur ein Kind. „Und einige haben sich die Idee des Geschlechtswechsels und der nicht-traditionellen Beziehungen zu eigen gemacht.“ Wenn dieses „Modell“ weiter wirke, werde auch die Bevölkerung Russlands zurückgehen.
Ausländische Agentinnen
Der Pressedienst der Eparchie des Metropoliten empfahl der Internetzeitung „Podjom“, die Rede des Geistlichen beim Frauenforum „aufmerksam und besonnen“ zu studieren. Viele Teilnehmerinnen hätten Jewgeni ausdrücklich gedankt für seine „tiefgründigen Gedanken zu Problemen unserer Zeit wie der Krise der Familie, den traditionellen Werten sowie von Verhaltensmustern, die Frauen fremd sind“.
Was unter Letzterem nach Auffassung des russischen Justizministeriums zu verstehen ist, lässt sich der Liste neuer „ausländischer Agenten“ von Ende Mai entnehmen. Sie enthält fast nur Frauennamen. Gelistet sind dort unter anderem Jekaterina Dunzowa, die sich bei den Präsidentschaftswahlen vom März bewerben wollte, und die Soldatenfrauen-Gruppierung „Put domoi“.
Tino Künzel