Für den russischen Beobachter wird es allmählich zur Gewohnheit. Wann immer in den letzten Jahren regionale oder landesweite Wahlen anstanden, traten mehrere Gouverneure von ihren Posten zurück oder wurden vom Präsidenten aus ihrem Amt entlassen. Dabei scheint sich der Austauschprozess, der 2016 begann, immer mehr zu beschleunigen. So erhielten allein im März mehrere russische Regionen ein neues Oberhaupt. Insgesamt mussten sich seit 2016 die Einwohner von 49 der 85 russischen Regionen an einen neuen Gouverneur gewöhnen.
Dass die Gouverneure in den russischen Regionen ausgetauscht werden, ist, wenn auch nicht demokratisch, kein ungewöhnlicher Vorgang. Es ist die Häufigkeit, die auffällt. Die Stiftung „Liberale Mission“ spricht in einem Vortrag davon, dass es letztmalig in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als Michail Gorbatschow die Ämter rotierte, etwas ähnliches gegeben habe.
Die Elite von morgen
Die neu eingesetzten Gouverneure haben einiges gemeinsam. Sie sind jung (unter 50), gut ausgebildet und haben bereits Erfahrungen im Staatsapparat sammeln können. Zu den Auswahlkritieren erklärte Dmitrij Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, im März: „Sie gehören alle mehr oder weniger zu den Teilnehmern der letzten Wellen der allgemeinen Praxis der Formierung der Präsidentenreserve.“ Und weiter: „Selbstredend ist ein weiteres Kriterium die Berufserfahrung, auch in föderalen oder regionalen Machtorganen. Alle neu bestimmten Gouverneure erfüllen diesen Kriterien“, so der Kremlsprecher. Und die zukünftigen Elitebeamten haben in der Regel keine Verbindung zu der Region, die sie für mehrere Jahre leiten sollen.
Probleme vor Ort
Aus der Sicht des Kremls ist die fehlende Verwurzelung der Gouverneure vor Ort ein Vorteil. In den Regionen hingegen werden die aus Moskau gesandten Politiker als „technokratische Legionäre“ wahrgenommen, deren Loyalität einzig und allein Moskau gilt. Aufgrund des Rotationsprinzips (selten bleiben die „technokratischen Legionäre“ länger als eine Amtszeit) und des Bewusstseins, sich in der Provinz für höhere Aufgaben im zentralen Verwaltungsapparat zu empfehlen, fehlten den Gouverneuren die Anreize, sich für die langfristige Entwicklung der Regionen einzusetzen, schreibt Julia Mierau von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Analyse. Dies führe dann zu Problemen, wenn Gouverneure aus Angst, die Unterstützung aus Moskau zu verlieren, Probleme verschweigen, so Mierau weiter.
Der relativ häufige Austausch der Gouverneure wird zudem von den lokalen Eliten und Bürgern zunehmend als nervös und schwankend und somit als Zeichen der Schwäche des Zentralstaates wahrgenommen, meint die Stiftung „Liberales Denken“. Außerdem, so einige Politik-Experten, fördere der Kreml damit indirekt die Opposition.
Besonders deutlich wurde dies im September 2018, als in 22 Regionen ein neuer Gouverneur gewählt wurde. Überraschend verloren die Kanditaten der Regierungspartei „Einiges Russland“ in den Gebieten Wladimir und Chabarowsk gegen die Herausforderer der populistischen LDPR. Als auch in der Region Primorje eine Niederlage gegen die Kommunistische Partei drohte, annullierte die Zentrale Wahlkommission in Moskau die Auszählung im Fernen Osten. Mit einem offiziell keiner Partei angehörenden Interimsgouverneur konnte sich Moskau den Einfluss in der strategisch wichtigen Region sichern.
Neue Strategie
In Moskau scheint man Lehren aus den Wahldebakeln des letzten Herbstes gezogen zu haben. Im September stehen in 18 Regionen Wahlen an und der Austausch der Gouverneure hat bereits begonnen. Allerdings achtet man in Moskau bei der Auswahl jetzt darauf, dass die zukünftigen Gouverneure sich mit ihrer Region identifizieren können. So erhielt die Republik Kalmückien mit dem 38-jährigen mehrfachen Kickbox-Weltmeister Batu Chasikow einen Interimsgouverneur, der in der Region aufgewachsen und sehr beliebt ist.
Auch in der Republik Altai in Sibieren wurde mit dem 37-jährigen Oleg Chorochordin ein junger Interimsgouverneur ernannt, der aus dem Nachbargebiet stammt. Zu seinem Amtsantritt suchte er die Nähe zu den Einwohnern und schrieb auf seiner Seite, dass er froh sei, die Möglichkeit zu haben, in seiner Heimat all das zu verwirklichen, wovon er seit seiner Kindheit geträumt habe.
Daniel Säwert