„Moskauer Gespräche“ in Halle

Warum hat die MDZ ihr Jubiläum in Halle begangen und was kann sie noch unter den heutigen Bedingungen leisten? Das war das Thema der „Moskauer Gespräche“.

"Moskauer Gespräche" im Lichthaus Halle
Die „Moskauer Gespräche“ im Lichthaus Halle (Foto: Juliana Martens)

Man muss seine Gedanken sehr genau formulieren. Als die Redaktion die Ankündigung, dass wir nach Halle (Saale) umziehen, in die sozialen Netzwerke stellte, führte das zu vielen Fragen bei unseren Lesern. Die „Moskauer Deutsche Zeitung“ ist jetzt keine „Moskauer“ mehr? Keine Bange, wir sind noch hier und wir sind die Alten. Auf jeden Fall bemühen wir uns darum.

Kein Platz für Moskowiter

Nach Halle an der Saale sind nur unsere „Moskauer Gespräche“ gezwungenermaßen umgezogen. Diese traditionelle Gesprächsrunde ist für uns sehr wichtig und gibt uns die Möglichkeit, den Lesern persönlich zu begegnen und über das, was auf der Seele liegt, zu sprechen. Welcher Ort könnte für die Treffen mit den Lesern zum Jubiläum besser sein als die Leipziger Buchmesse? Aber das hat nicht geklappt. Heutzutage ist es äußerst schwierig, für eine Veranstaltung mit solch einem Namen eine Location zu finden. Auch eine andere Einrichtung sagte uns nach vorheriger Zusage letztendlich ab. Das Lichthaus Halle hat uns aus der Patsche geholfen. Es nahm die „Moskauer Gespräche“ bei sich auf und auch unsere Fotowanderausstellung, die interessant und lebendig die Geschichte der Wolgadeutschen illustriert, von den ersten deutschen Siedlern bis zur Deportation 1941.

Das Problem, einen Veranstaltungsort zu finden, ist verständlich. In Deutschland sind viele sehr vorsichtig mit allem, was mit dem Wort „Moskauer“ zusammenhängt. So wie heute in Russland: Viele meiden Organisationen und Projekte, wo das Wort „Deutsche“ auftaucht. Deshalb ist es auch besonders wichtig zu erwähnen, dass das Deutsch-Russische Forum und die Sprach- und Partnerschaftsinitiative e.V. die „Moskauer Gespräche“ unterstützt haben. Eine solche Geste erfordert einen gewissen Mut.

Im Kreis der MDZ-Freunde in Halle

Die „Moskauer Deutsche Zeitung“ hat beide „gefährlichen“ Wörter in ihrem Namen. Und trotzdem setzt die Redaktion, nach dem 24. Februar 2022 in etwas minimiertem Personalbestand, ihre Arbeit fort. Darüber, wie das gelingt, sprachen die Teilnehmer der „Moskauer Gespräche“. Auf Grund der Ablehnung seines Visaantrages (darüber berichtete die MDZ im April) konnte der Chefredakteur der MDZ nur per Zoom an dem Gespräch teilnehmen, aber das Podium war keineswegs leer. Aus Berlin reiste der ehemalige Redakteur der MDZ Daniel Säwert an, der jetzt als Redakteur Russland/Osteuropa bei „nd“ arbeitet. Auch die langjährigen Freunde der MDZ, die ehemalige Stadtpräsidentin Flensburgs Swetlana Krätzschmar und Edwin Warkentin, Referent des Kulturreferates für Russlanddeutsche, nahmen die Einladung zur Teilnahme an den Gesprächen an.

Geschichte und Gegenwart

Das Hauptthema der „Moskauer Gespräche“ im Jubiläumsjahr der MDZ war Geschichte und Erinnerungskultur in dem Land, wo diesem Thema eine besondere Bedeutung innewohnt. Für die MDZ ist dieses Thema doppelt wichtig. Historische Parallelen werden in Russland ständig zur Begründung von innen- und außenpolitischen Entscheidungen herangezogen. Die Geschichte war immer ein Instrument der Manipulation und ist es auch heute. Andererseits bleibt das Thema Russlanddeutsche eines der wichtigsten und angestammtesten für die Zeitung. Ihr historisches Erbe ist ein Teil ihrer Identität und die Fähigkeit seiner Bewahrung in der heute sehr kosmopolitischen Gesellschaft. Darüber lohnt es sich, detaillierter zu sprechen, aber jetzt ist offensichtlich nicht die Zeit dafür.

Ziemlich schnell wandte sich das Auditorium dem Heute zu, und die Moderatorin Gemma Pörzgen unterstützte dies. Als erfahrene Journalistin stellte sie schnell fest, was jetzt wichtig ist und welche Fragen die Teilnehmer wirklich interessieren. Eine davon lautete: „Wie geht es Euch jetzt dort?“

Keine Klage

Darüber, wie es uns jetzt hier geht, berichtete der Chefredakteur der MDZ von der großen Leinwand im Konferenzsaal des Lichthauses Halle herab. Wir sind jetzt weniger Leute. Wir verfolgen aufmerksam die sich ständig verändernde russische Gesetzgebung, was die Presse und überhaupt alle öffentlichen Meinungsäußerungen angeht. Ebenso studieren wir die Listen der ausländischen Agenten und der nach Ansicht der russischen Regierung unerwünschten Organisationen. Sie müssen in allen Publikationen unbedingt sichtbar gekennzeichnet sein. Unsere Manövrierfähigkeit ist merklich eingeschränkt. Aber das bedeutet keinesfalls, dass es keine Themen und Möglichkeiten zu arbeiten gibt. Wir bemühen uns, für unsere Leser interessant zu bleiben. Und: Wir haben keinen Grund zur Klage, zumindest vor dem Hintergrund des Blutvergießens in Bachmut nicht.

Viel interessanter war die Diskussion darüber, wer denn die Leser der MDZ sind und was die Zeitung ihnen geben kann. Klar, dass der deutsch-russische Dialog, über den in der Vergangenheit so viel gesprochen wurde, heute praktisch zum Erliegen gekommen ist. Aber die Kontakte werden bewahrt, sie sind wichtig. Keiner weiß das besser als Swetlana Krätzschmar. Und solche Kontakte hat die „Moskauer Deutsche Zeitung“ immer begrüßt und unterstützt.

Professionell über ein wichtiges Thema

Aber auch in Deutschland selbst ist ungeachtet aller Schwierigkeiten das Interesse an glaubwürdigen Medien aus Russland gewachsen. Ja, es gibt solche, die nichts hören wollen, was aus Russland kommt. Aber es gibt auch andere. Man hört auf die Stimme der MDZ in Deutschland. Daniel Säwert erinnerte sich, wie die MDZ einem bekannten Journalisten, der sich abfällig über die Russlanddeutschen geäußert hatte, geantwortet hat. Diese Geschichte wurde publik, danach folgten öffentliche Entschuldigungen.

Über die Wichtigkeit des Themas der Russlanddeutschen wies Edwin Warkentin hin. Seine Meinung nach hat Deutschland ein Defizit an Journalisten, die sich mit diesem Thema auskennen. Nebenbei gesagt, leben über 5 Millionen Zugewanderte aus dem postsowjetischen Raum in Deutschland. Warkentin ist der Meinung, dass die MDZ diejenigen professionell unterstützen sollte, die über die Deutschen mit einem russischen Background berichten.

Es war ein interessantes Gespräch. Die Teilnehmer setzten es bei einem kleinen Empfang im Lichthaus Halle fort. Und der in Moskau gebliebene Chefredakteur ging Tee trinken. Mit Zitrone. Aus einem Teeglas mit typischem Teeglasuntersat.

Igor Beresin

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