Moskau dreht am Rad

Keine tausend Kilometer weiter südlich wird auf dem Schlachtfeld gekämpft, aber Moskau lässt sich davon nichts anmerken. Dieses Wochenende liefert ein weiteres Beispiel für den eigenartigen Alltag in der russischen Metropole. Ihr 875. Stadtgeburtstag wird in großem Stil gefeiert. Eines der Highlights: die Eröffnung von Europas höchstem Riesenrad.

Das Riesenrad im WDNCh ist im wahrsten Sinne des Wortes überragend. (Foto: Pressedienst der Stadt Moskau)

Zum Selbstverständnis von Moskau als Stadt von Welt gehörten schon immer Höhenrekorde. Die Lomonossow-Universität auf den Sperlingsbergen (240 m) war nach ihrer Fertigstellung 37 Jahre lang – von 1953 bis 1990 – das höchste Gebäude Europas. Heute befindet sich von den zehn höchsten Wolkenkratzern auf dem europäischen Kontinent acht in Moskau. Der 1967 errichtete Fernsehturm (537 m) ist bis heute das höchste Bauwerk in Europa. Und nun hat Moskau auch Europas höchstes Riesenrad.

140 m Höhe – fünf mehr als „London Eye“

Der Stahlkoloss im Park- und Messegelände WDNCh hört auf den Namen „Sonne von Moskau“ und ist mit 140 Metern fünf Meter höher als das berühmte „London Eye“, das zum Millennium gebaut wurde. Wann es seine ersten Runden dreht, war lange offen. Auf der offiziellen Webseite hieß es über Monate, Eröffnung sei „in Kürze“. Nun war es heute Nachmittag beim Stadtfest so weit.

An dem Giganten seiner Zunft sind 30 (geschlossene) Kabinen befestigt – und zwar nach außen hin abgespreizt, als stünden ihm die Haare zu Berge. Das sorgt für freie Sicht, ohne dass Streben des Gerüsts im Weg sind. Jede Kabine fasst bis zu 15 Personen. Einige haben für die Extraportion Nervenkitzel einen transparenten Boden.

Für Durchblick sorgen nicht nur die Fenster, sondern auch der gläserne Boden. (Foto: Sergej Kisseljow/AGN Moskwa)

18 Minuten und 40 Sekunden dauert eine vollständige Umdrehung. Von ganz oben sollen Adleraugen je nach Wetter bis zu 50 Kilometer weit schauen können. Vollzahler kostet der Spaß in der Woche 950 Rubel (ca. 15 Euro) und am Wochenende 1150 Rubel (19 Euro). Betrieben werden kann die Attraktion sommers wie winters. Wer sich schon vor der Eröffnung einen Eindruck verschaffen möchte, was man davon wohl zu halten hat, der kann im Internet nach „The Wheel at Icon Park“ suchen. Das Riesenrad in einem der Vergnügungsparks von Orlando, Florida, könnte ein Zwilling des Moskauer Neulings sein, nur ist es schon seit 2015 in Betrieb und ein wenig kleiner. Für die Fahrt müssen dort übrigens 29 US-Dollar berappt werden.

Vorgänger war havarieanfällig

Sechs Jahre war Moskau riesenradmäßig nicht besonders riesig unterwegs gewesen. Ein Vorgänger im WDNCh, errichtet zum 850. Stadtjubiläum 1997, wurde 2016 geschlossen. Mit 73 Metern Höhe auch nicht von schlechten Eltern, hatten Pannen an seinem Ruf gekratzt. 2009 hielt das Rad plötzlich an, 57 Passagiere steckten fest, die Feuerwehr musste anrücken. 2013 waren bei einem ähnlichen Vorfall zehn Menschen vorübergehend in dem Ungetüm gefangen. Mit dem Vertrauen in die Technik war es danach dahin. Im WDNCh wurde nicht nur das Riesenrad abgebaut, sondern gleich der gesamte Vergnügungspark mit seinen in die Jahre gekommenen zweit- und drittklassigen Fahrgeschäften.

Zuvor hatte schon der Gorki-Park bei sich aufgeräumt. Allerlei ergrautes Jahrmarktsvergnügen musste das Feld räumen, darunter auch das nicht mehr zeitgemäße Riesenrad. 2011 kam das Aus für den Veteranen.

Derzeit ist in Moskau eine Handvoll Riesenräder in Betrieb. Als Klassiker kann dabei die 50 Meter hohe Konstruktion im Park Ismailowo gelten. Einweihung war nämlich bereits 1957 anlässlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Bekannt sind auch die Riesenräder im Park Sokolniki und im Vergnügungspark „Skaska“ in Krylatskoje.

Höher hinaus ging es in den letzten Jahren nur in der Provinz. Russlands höchstes Riesenrad stand zuletzt mit 83 Metern im Badeort Lasarewskoje bei Sotschi. Immerhin 73 Meter hoch ist das Riesenrad „360 Grad“ in Tscheljabinsk. Aber nun setzt sich Moskau wieder ganz eigene Maßstäbe.

Der Standort des Riesenrads ist links vom Haupteingang des WDNCh. Dort stellt es benachbarte Wohnhochhäuser klar in den Schatten. (Foto: moscow-sun.ru)

Tino Künzel

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