Mit Fäusten und Fäkalien

Sie prügeln, randalieren und bewerfen Journalisten mit Kot: Die Anhänger der radikal-natio­nalistischen SERB-Bewegung sorgen in Moskau regelmäßig für Schlagzeilen. Was wollen die Ex­tremisten mit ihren medial inszenierten Attacken bewirken und warum haben sie Angst vor einer Revolution?

Igor Beketow ist Anführer der radikalen SERB-Bewegung. /Foto: Mona Tarrey

Es ist kalt auf dem Lubjanka-Platz. Vor den Mündern der Menschen, die sich am Sitz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB versammelt haben, bilden sich weiße Wölkchen. Doch trotz der niedrigen Temperaturen ist die Stimmung ziemlich aufgeheizt. „Und du bist selber kein Hetzer?“, ruft ein Mann und baut sich vor einem der Demonstranten auf, der ein Schild in den Händen hält. „Putin nach Den Haag!“ steht darauf mit schwarzer Schrift. (Anm. d. Red.: Den Haag ist der Sitz des Internationalen Gerichtshofs der UN). „Du selbst bist ein Hetzer!“, zetert der Mann und versucht, seinem Gegenüber das Transparent zu entreißen. Dann fällt der erste Faust­hieb, dann der zweite, der dritte. Schnell weichen die Leute ringsum zurück, bringen sich in Sicherheit. Nur einer bleibt stehen.

Hetzen vor der Lubjanka

„Nehmt den Hetzer fest!“, schreit Goscha Tarasewitsch. Der Name ist nur ein Pseudonym, das sich der 41-Jährige gegeben hat. Denn eigentlich heißt der hochgewachsene Mann mit dem Rollkragenpulli Igor Beketow. Seit vier Jahren leitet der gelernte Schauspieler SERB, den sogenannten South East Radical Block. Die radikale Gruppe ist vor allem durch gewalttätige Übergriffe bekannt geworden. Worum geht es den SERB-Anhängern, die an diesem Oktobertag eine Demonstration für die Rechte politischer Gefangener stören?

SERB kämpfe für die „russische Welt und ihre traditionellen Werte“, heißt es im Auftritt der Bewegung im sozialen Netzwerk VKontakte. Man wolle Russland „vor den schändlichen Sitten“, die ihm der Westen angeblich aufdränge, schützen. Um welche Sitten es sich dabei genau handeln soll, lässt die selbsternannte russische Befreiungsbewegung allerdings offen. „Wir zeigen der Gesellschaft die Krebsgeschwüre auf dem Körper Russlands“, verkündet SERB stattdessen vollmundig.

Klein aber radikal

Es ist eine kleine, dafür umso lautere Gruppe. Bei Aktionen sind immer wieder die gleichen fünf bis zehn Gesichter zu sehen. Auf VKontakte folgen über 1500 Menschen der Bewegung. Die genaue Zahl der Mitglieder ist allerdings nicht bekannt.

Das erste Mal greifen SERB-Aktivisten während der Maidan-Revolution in der Ukraine zu Gewalt. Im März 2014 stürmt ein Teil der Gruppe, zu der nach eigenen Angaben damals rund 300 Anhänger gehören, ein Regierungsgebäude in der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkow. Das Haus wurde zuvor von Maidan-Befürwortern besetzt. Auf beiden Seiten gibt es Verletzte. Nach dem brutalen Auftakt beteiligt sich die Gruppe etwas weniger blutig an politischen Aufmärschen. Auf diesen pöbeln sie gegen die MaidanBewegung und die neue ukrainische Regierung. Als der ukrainische Inlandsgeheimdienst ein Strafverfahren gegen Beketow beantragt, flieht er im Juni nach Moskau.

Gegen Linke, Journalisten und Künstler

In der russischen Hauptstadt versucht SERB seitdem um jeden Preis, eine Revolution nach Vorbild des Euromaidans zu verhindern. „In Moskau bereitet sich ein ukrainisches Szenario vor. Staat und Einheit der russischen Welt sind in Gefahr“, behauptet der Geflüchtete. Für besonders gefährlich hält die Gruppe dabei die sogenannten „Liberasten“. Mit dem abfälligen Schimpfwort meinen rechte und nationalistische Gruppen die Anhänger liberaler Ideen.

Bei SERB sind damit kritische Journalisten, Regisseure, Menschenrechtler und Künstler gemeint. Oder politische Aktivisten, für welche die Krim weiterhin ein Teil der Ukraine bleibt. Die Verunglimpften würden sich antirussisch verhalten, das gesamte russische Volk, seine Helden und den Präsidenten beleidigen. Sie seien Feiglinge oder westliche Agenten, poltert die radikale Gruppe weiter, oder sie würden die Homosexualität bewerben. Für SERB alles Verbrechen, die „nicht vergeben und nicht zugelassen werden“, wie im Abspann ihrer Videos zu lesen ist.

Gewalt und Zerstörung

Dass den Drohungen auch Taten folgen, zeigt SERB auf eben jenen Internet-Clips. Schlägereien, zerstörte Kunstobjekte, beschädigte Kinoleinwände, unterbrochene Theatervoführungen: Auf den selbstgedrehten Aufnahmen ist das ganze Ausmaß der Radikalität zu erkennen. Je medienwirksamer, desto besser. Selbst vor dem Bewerfen von Journalisten mit Exkrementen schrecken Beketow und seine Komplizen nicht zurück.

Die meiste mediale Aufmerksamkeit brachte Serb indessen ein Säureangriff auf Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vom Mai 2017 ein. Allerdings ist die Schuld der Gruppe nicht vollends belegt. Auf einem Video der Tat ist jedoch der Angreifer zu sehen, welcher einem führenden SERB-Mitglied zum Verwechseln ähnlich sieht. Jedoch konnte die Identität des Angreifers nie zweifelsfrei festgestellt werden. Der Beschuldigte streitet die Tat ab. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Übergriffe bleiben meist unbestraft

Dieser Ausgang kann fast schon als symptomatisch gelten. Denn bis auf wenige Ausnahmen blieben die Übergriffe der SERB-Anhänger bisher meist unbestraft. Länger als sieben Tage musste bis jetzt kein Aktivist hinter Gitter. Dies sorgte in einigen Zeitungen und Radiosendern für Spekulationen, die sich auf ein Interview des russischen Fernsehsenders Doschd mit dem SERB-Aussteiger Oleg Tschursin stützen. Seinen Worten nach habe Beketow Kontakt zu einem Mitarbeiter aus der Abteilung zur Extremismusbekämpfung des Innenministeriums. Eine solche Verbindung konnte bislang jedoch nicht verlässlich nachgewiesen werden.

„Aus irgendeinem Grund lässt der Staat SERB mit seinen Randalen immer davonkommen“, kommentierte Alexander Werchowskij, Direktor des Informations- und Analysezentrums „Sowa“ im Gespräch mit Radio Swoboda Anfang des Jahres. „Das ist sehr gefährlich.“

Die Polizei hat das Handgemenge am Lubjanka-Platz inzwischen aufgelöst. Der als Hetzer verunglimpfte Demonstrant wird abgeführt. Auch der Angreifer von SERB wird festgenommen. Die beiden Männer werden in einen Polizeibus gesetzt. Zurück bleiben die restlichen vier Mitglieder von SERB, umringt von einer Schar aus Menschen, Handys und Kameras.

Lena-Marie Euba

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