
Wie du und ich
Meine tiefsitzende Affäre mit dieser Mega-Kapitale hat schon vor 47 Jahren begonnen. Eigentlich sogar schon vor 62 Jahren, mit 14. Da war ich Gymnasiast in Duisburg, unweit der niederländischen Grenze. Viel weiter westlich geht es in Deutschland kaum, nicht nur geografisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich.
Das allgemein gesellschaftliche, schulerzieherisch geprägte Bild der damaligen Sowjetunion und seiner Menschen – kaltherzig, grob, gefährlich, obrigkeitsgeknüppelt, bemitleidenswert ärmlich, ohne je ein Lächeln im bleichen Gesicht – kam mir irgendwie verdächtig und unvorstellbar verzerrt vor. In mir wuchs der Wunsch, mir den mysteriösen Osten unseres Kontinents persönlich zu erschließen
1978 war es endlich soweit. Inzwischen war ich schon ein paar Jahre junger Reporter des damals größten illustrierten Wochenmagazins, dem „Stern“. Das machte das Erlangen eines Touristen-Visums ins gelobte Land des allgemein verhassten Kommunismus nicht gerade einfach. Es hat ein volles halbes Jahr gedauert, bis man mir im SU-Konsulat Glauben schenkte, dass es eine persönlich-private Entdeckungsreise werden sollte. Nach fünf empathischen Tagen Moskau und fünf Tagen ebensolcher Leningrad, war ein zarter Kern für mein mittlerweile wohl lebenslang angelegtes Sympathie-Abenteuer gepflanzt. Das tiefgraue, feindselig gemalte Bild der territorial größten Nation unseres Planeten hatte reichlich an Farbe gewonnen. Letztlich entscheidend waren die vielen anrührenden menschlichen Begegnungen. Russen sind doch schlicht Menschen „wie du und ich“. Nur für mich längst warmherziger, gegenseitig hilfreicher, gastfreundlicher, lebenslustiger als so manch andere Mentalitäten. Wer hätte das gedacht? Der nächste „touch down“ in Scheremetjewo war dann genau am 11. November 1995 – im beruflichen Auftrag als Marketingkommunikations-Experte der russischen Niederlassung eines US-amerikanischen Automobilunternehmens. Aber die unstillbare journalistische Neugier hat mich nie verlassen: Ich werde immer schreiben – auch für die MDZ. Mein enger deutscher Freund Perry, längst mit wachsender russischer Familie, hat mich so anrührend und treffend zu einem meiner schon vielen Geburtstage beglückwünscht: „Du bist der lebende Beweis, dass man auch mit deutschem Pass, russischer Seele und permanentem Jetlag aus den letzten Jahrzehnten als Kosmopolit ausgerechnet auf dem Roten Platz sesshaft werden kann!“ So ist es. Und so wird es bleiben.