Mehr als „Danke“ und „Bitte“: So lernt man heutzutage Deutsch

Von der Wolga an die Spree: Die Russlanddeutsche Uljana Iljina (48), Lehrerin, Übersetzerin und Texterin, ist als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen. In ihrer MDZ-Kolumne „Deutschland-Tagebuch“ schreibt sie aus Berlin darüber, wie sie ihre neue Heimat – die Heimat ihrer Vorfahren – erlebt.

Vielleicht verstehen diese Sprachkursteilnehmerinnen eines Tages sogar Beamtendeutsch. (Foto: Privat)

In einer Rangliste der größten Probleme, die auf Emigranten, Flüchtlinge und Übersiedler am Zielort zukommen, stünden fehlende Kenntnisse der Landessprache ziemlich weit oben. Sämtliche Lebensbereiche, sei es der Gang zu allen möglichen Behörden, die Wohnungssuche oder die Registrierung auf obligatorischen Internetseiten, setzten Sprachkenntnisse voraus. In Deutschland wird die Lage noch dadurch erschwert, dass hier ein Großteil der Kommunikation mit den Ämtern per Post erfolgt. Das Beamtendeutsch ist relativ schwer verdaulich: Der gesamte Brief kann mehr oder weniger aus einem einzigen Satz bestehen, der vor Nebensätzen, Konjunktiven und Passivformen nur so strotzt.

Die Flüchtlingswelle der letzten anderthalb Jahre hat dazu geführt, dass sich viele Ämter aktiv um Russischsprecher aus Deutschland, Russland und der Ukraine bemüht haben. Sie sollen den Neuankömmlingen als Dolmetscher beistehen. Aber solche Leute sind nicht immer und überall verfügbar. Andererseits lehnen es viele Ämter ab, die Fälle in englischer Sprache zu bearbeiten. Es wird die Anwesenheit eines Deutsch-Dolmetschers verlangt.

Kurz- und Langzeiterfahrungen mit der Sprache

Ich habe selbst schon als Freiwillige Übersetzerdienste für Flüchtlinge aus der Ukraine oder deutsche Spätaussiedler geleistet, wenn die einen Termin beim Arzt, beim Bürger- oder Standesamt hatten oder einen Vertrag mit dem Vermieter abschließen mussten. Für mich war das einfach eine weitere willkommene Erfahrung im Umgang mit der deutschen Sprache. Doch für die Menschen, denen ich auf diesem Wege helfen konnte, ist das eine neue, unbekannte und besonders am Anfang schwierige Welt.

So mancher, der schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, verfügt trotzdem nur über ein Repertoire aus den einfachsten Sätzen, die im Laden oder im Café hilfreich sind. Sobald die Anforderungen schwieriger werden, müssen Bekannte oder Dolmetscher hinzugezogen werden. Doch mit so überschaubaren Sprachkenntnissen ist es schwierig, eine Arbeit zu finden, die anständig bezahlt wird und vielleicht sogar noch Freude bereitet. Deshalb versuchen viele mit allen Mitteln, die eigene Sprachkompetenz zu verbessern. Deutschland bietet dafür beste Voraussetzungen.

Intensiv Deutsch in der Willkommensklasse

Das fängt schon beim Kindergarten und bei der Schule an. Für Kinder, die kein Deutsch beherrschen, werden Willkommensklassen eingerichtet. In ihnen ist alles auf das Erlernen und den Gebrauch der deutschen Sprache ausgerichtet. 5 bis 6 Stunden am Tag sind reiner Sprachunterricht. Dazu kommt zur Auflockerung ein weiteres Fach: Mathematik, Englisch, Biologie oder Sport. Wobei dieses Fach weniger um des Faches willen, sondern ebenfalls zum Zwecke der Sprachpraxis in den Lehrplan aufgenommen wird.

Zumindest habe ich das so verstanden, denn auf meine Frage, was denn in Mathematik gerade so auf dem Programm steht, antworten meine jugendlichen Töchter lächelnd: „Prozentrechnung“. Lehrstoff für Fünftklässler an russischen Schulen wird hier also 14- bis 16-Jährigen vermittelt. Und in Biologie bestand zum Beispiel eine Hausaufgabe darin, das Rezept eines Nationalgerichts auf Deutsch zu erstellen. Aber wie dem auch sei, nach zwei Monaten Willkommensklasse können meine Kinder eine einfache Unterhaltung führen und lassen sich vom Klang der deutschen Sprache nicht mehr einschüchtern.

Kostenlose, aber obligatorische Sprachkurse

Auch für Erwachsene ist das Angebot durchaus vielfältig. Jedem Spätaussiedler oder Flüchtling stehen kostenlose Sprachkurse der Stufen A1 (Anfänger) bis B2 (Fortgeschrittene) an einer Sprachschule oder auch an der Volkshochschule zur Verfügung. Bei den Kursen liegt der Fokus auf der mündlichen Beherrschung der Sprache, die Lehrbücher „Schritte“, „Menschen“ und „Miteinander“ erfreuen sich auch in Russland großer Beliebtheit. Der Unterricht findet täglich im Verlauf von sechs bis sieben Monaten statt, die Teilnahme ist verpflichtend. Wer ohne triftige Gründe dem Kurs fernbleibt, der kann mit Strafen belegt werden, etwa einer Kürzung der Sozialhilfe oder anderer Leistungen. Nach bestandener Prüfung kann entweder eine berufliche Weiterbildung angestrebt werden oder gleich ein Job.

Wer schon gute Sprachkenntnisse auf Stufe B1 oder B2 mitbringt, der kann sich an Stufe C2 (muttersprachliches Niveau) versuchen. Es öffnet die Türen zu einem Hochschulstudium in Deutschland. Außerdem kann man damit unterrichten oder sich in der Forschung betätigen. Doch eine Schule zu finden, die solche Kurse anbietet, ist gar nicht so einfach. Zudem muss sie zertifiziert sein, damit das Jobcenter die Kosten übernimmt.

Doch die effektivste Art des Deutschlernens ist immer noch, sich der Sprache im Alltag auszusetzen. Ich profitiere davon, dass ich ständig alle mögliche Korrespondenz führe, mich mit Bekannten und Unbekannten auf den Weg durch die Instanzen mache, meine Kinder bei diversen Studios anmelde, wo sich unerwartete Gesprächssituationen ergeben und ich mir neue Lexik erschließe. Natürlich ist auch der Besuch von Kultur- und Bildungsveranstaltungen, die es in Berlin wie Sand am Meer gibt, äußerst hilfreich. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

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