MAX: ein aufgezwungener Vorteil

Nach den ersten Schritten zu urteilen, zeigen sich die russischen Behörden entschlossen, einen nationalen Messenger zu schaffen. Ein Teil der Russen wartet auf den rasanten Aufstieg des MAX-Messengers von VK, der zum „Killer“ von Telegram und WhatsApp* werden soll, während der andere Teil das Scheitern dieser Initiative voraussieht. Wer wird am Ende mit einem Plus dastehen?

MAX
Die Super-App wird wissen, mit wem man spricht und trinkt. (Foto: Jaroslaw Tschingajew/AGN Moskwa)

Alles geht schnell

In anderen Ländern würde man den Staatsapparat vielleicht als träge bezeichnen. In Russland ist das jedoch nicht der Fall, insbesondere wenn es um Dinge geht, die der Staat selbst für wichtig hält. Am 4. Juni berichtete der Minister für digitale Entwicklung, Maksut Schadajew, dem russischen Staatschef Wladimir Putin vom Schaffen eines russischen nationalen Messengers. Nach Angaben des Ministers sind die beliebtesten digitalen Dienste der Russen ausländische Messenger, die täglich von mehr als 90 Millionen Menschen genutzt werden. Im Durchschnitt verbringt jeder Nutzer in Russland 50 Minuten pro Tag in den Chats.

Da der russische Präsident bekanntlich auf ein Smartphone verzichtet, dürfte er nichts von der Existenz einer inländischen Alternative von VK gewusst haben. Diese Alternative hat jedoch Maksut Schadajew dem Staatschef vorgestellt. Putin forderte sofort die Leiter aller Behörden auf, den einheimischen Messenger zu unterstützen. Und es ging los.

Bereits am 10. Juni nahm das russische Parlament in zweiter und dritter Lesung einstimmig einen Gesetzentwurf an, der die Schaffung eines nationalen multifunktionalen digitalen Dienstes vorsieht. Ab dem 1. September 2025 muss auf allen in Russland verkauften Smartphones und Tablets der MAX-Messenger von VK vorin­stalliert sein.

Russisches WeChat

Der MAX-Messenger soll diesen Sommer vorgestellt werden, bereits im März hat VK eine Beta-Version von MAX veröffentlicht. Sie ist für Android, iOS, Windows und macOS verfügbar. Die Version bietet Anrufdienste, den Messenger selbst, Mini-Apps und Chatbots. Zusammen mit der Beta-Version für Benutzer wurden auch Entwickler-Tools verfügbar. Mit ihrer Hilfe lassen sich Chatbots und Mini-Apps für den MAX-Messenger erstellen. Der Messenger muss dabei Diensleistungen des öffentlichen Portals Gosuslugi und des Einheitlichen Systems für Identifizierung und Authentifizierung sowie die Möglichkeit, elektronische Kopien von Dokumenten zu speichern und vorzulegen, die Unterzeichnung von Dokumenten mit einer elektronischen Signatur sowie die Einführung von Bildungsdiensten bieten. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber will ein russisches Pendant zum chinesischen WeChat schaffen.

Wovor man sich (nicht) fürchten muss

Einer der Verfasser des Gesetzentwurfs, Sergej Bojarskij, Leiter des IT-Ausschusses im Parlament, betonte in einem Interview mit „Fontanka“ die erhöhte Sicherheit des nationalen Messengers. Es wird nicht möglich sein, virtuelle oder Ersatznummern zu verwenden, um sich bei dem Dienst zu registrieren. „Indem wir einen so vertrauenswürdigen Kreis von Personen schaffen, die sich nicht scheuen, ihre Daten vor dem Staat und anderen Nutzern zu verbergen, erreichen wir meines Erachtens eine sehr ernstzunehmende Barriere zur Bekämpfung von Betrug, der immer mit einem Anruf von einer unbekannten Nummer beginnt“, so Bojarskij.

Dies ist die Hauptbefürchtung vieler Kritiker der Innovation. Auch ohne sie spüren die Russen den heißen Atem des Staates in ihrer unmittelbaren Umgebung. Aber mit einer solchen Super-App wird es für eine staatliche Behörde viel einfacher sein, buchstäblich alle Interaktionskanäle eines jeden Bürgers vollständig abzuschneiden: kommunikative, finanzielle und alle anderen Kanäle. Einwände, MAX sei kein staatliches Projekt (weil VK ein Privatunternehmen ist), klingen etwas naiv.

Telegram und die anderen

Tatsächlich könnte das gesamte russische Segment des Internets mit einem nationalen Messenger mit solcher Funktionalität zu einem einzigen großen staatlichen Dienst werden. Eine der interessanten Fragen ist, ob unter diesen Bedingungen andere gängige Systeme eine Chance haben, ihre Nutzer zu halten. Bojarskij versichert, dass die ausländischen Messenger weiterhin funktionieren und mit ihren russischen Pendants konkurrieren können. Er merkt jedoch an, dass die russischen Aufsichtsbehörden aufgrund des Fehlens einer Alternative nicht so streng mit WhatsApp* und Telegram umgingen, während sie „die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen, nämlich die Lokalisierung der Nutzerdaten auf dem Gebiet der Russischen Föderation, die Entfernung verbotener Inhalte usw.“ Wie schnell der Staat dieses Druckmittel gegen diejenigen einsetzen wird, die bei der Anonymisierung der Nutzer zu langsam sind, wird wahrscheinlich von der Wachstumsrate der MAX-Nutzerzahlen abhängen.

Es ist jedoch nicht sicher, dass der Wettbewerb fair sein wird. German Klimenko, Vorstandsvorsitzender der Stiftung für die Entwicklung der digitalen Wirtschaft, erklärte gegenüber „Solowjow Live“, wie er die Situation einschätzt: „Früher oder später werden alle zu MAX wechseln. Es ist eine Frage der Geschwindigkeit des Übergangs: gewaltsam schnell oder leise langsam.“

Was kann schiefgehen?

Mehrere Dinge könnten im Wege der Verwirklichung dieses Plans stehen. Schließlich sind russische Nutzer – zumindest der fortgeschrittene Teil von ihnen – daran gewöhnt, das zu bekommen, was sie haben wollen, selbst wenn staatliche Stellen diese Ressourcen blockieren. Die Geschichte eines anderen VK-Projekts, nämlich des VK-Videodienstes, ist eine klare Bestätigung dafür. Trotz der YouTube*-Sperrung und sehr attraktiver finanzieller Bedingungen für die Produzenten von Inhalten war es nicht möglich, sie und ihr Publikum zu ködern. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Gleiche mit den Messengern passieren.

Wenn außerdem alle Konkurrenten abgewürgt werden, haben die Entwickler weniger Anreiz, ihre Produkte zu verbessern. Und wenn die Qualität der Software-Systeme die Erwartungen der Nutzer enttäuscht, werden nicht nur diejenigen, die die Anonymität in den Vordergrund stellen, sie aufgeben.

Schließlich wird die Idee, ein russisches WeChat zu entwickeln, mit einer offensichtlichen Tatsache konfrontiert: Russland ist nicht China. Es handelt sich um unterschiedliche Märkte, und je größer der Markt ist, desto größer sind die Erfolgschancen. Ein System für anderthalb Milliarden potenzielle Nutzer wird eher überlebensfähig sein als eine Lösung für einige Hunderttausend Kunden. Oder die Einwohnerzahl des Landes muss dringend erhöht werden. Aber das ist bereits die Aufgabe einer anderen Abteilung.

*gehört Meta, die in Russland als extremistisch eingestuft und verboten ist.

Goscha Haimow

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