Macht der Sterne, Ohnmacht der Aufklärer

Für die einen ist sie ein Werkzeug, mit dem sich der Alltag besser bewältigen lässt. Andere lässt es fassungslos zurück, dass im 21. Jahrhundert noch immer Menschen an sie glauben. Die Astrologie steht allen Erkenntnissen der modernen Wissenschaft entgegen – und sucht dennoch langfristig die Versöhnung mit ihr. Kann das je gelingen?

Astrologie
Tierkreiszeichen, Darstellung um 1700 (Bild: Wikimedia Commons)

„Astrologie mag Sie sowohl als Werkzeug zur Harmonisierung Ihres Lebens interessieren, als auch als Möglichkeit, mit den Rhythmen des Kosmos in Resonanz zu gehen, denn es sind die Rhythmen des Kosmos, die diktieren, was auf unserem Planeten geschieht, was mit uns geschieht.“ Mit diesen Worten wurde im Januar ein Weiterbildungskurs zur Erstellung von Geburtshoroskopen beworben – an der Moskauer Universität der Völkerfreundschaft (RUDN). Für 19.900 Rubel (etwa 215 Euro) sollten Interessierte zwei Monate lang „die notwendigen Kompetenzen erwerben, um als Astrologe zu arbeiten“.

Noch am Tag der Veröffent­lichung ging eine Welle der Empörung durch die sozialen Medien, insbesondere in der Wissenschafts-Community. Astrologie an einer staatlichen Universität? Das war zu viel des Guten. Die Leitung der Uni reagierte schnell und nahm das Angebot noch am selben Tag von der Website. Rektor Oleg Jastrebow erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur „Tass“, der Kurs habe nicht die offiziellen Genehmigungsverfahren durchlaufen und kündigte eine Überprüfung aller Kurse des Weiterbildungsprogramms an. Astrologie sei nie ein Ausbildungsbereich an der Universität gewesen, erst recht kein wissenschaftlicher. Der Kurs sei angeboten worden, weil eine Auswertung der Suchanfragen ein hohes Interesse am Thema gezeigt hätte.

Doch sind die Russen wirklich so versessen auf die Sterndeutung? Ein Blick in die Umfragen zeigt, dass im modernen Russland etwa ein Drittel der Menschen der As­­trologie gegenüber aufgeschlossen sind, mit rückläufiger Tendenz. Das Lewada-Zentrum ermittelte 2018, dass 33 Prozent der Befragten Astrologie gar als eine Wissenschaft ansehen. Zwölf Jahre zuvor waren das noch über die Hälfte der Befragten.

Doch was sagen Experten zur Astrologie und zu ihrem Verhältnis zur Wissenschaft? Wir haben Vertreter verschiedener Disziplinen um ihre Standpunkte gebeten.

Karine Dilanjan, Astrologielehrerin und Publizistin

Karine Dilanjan betreibt eine Schule für Astrologie in Moskau und hat astrologische Schriften des deutschen Astronomen und Astrologen Johannes Kepler herausgegeben. Schon zu Sowjetzeiten hat sie sich mit Astrologie befasst, im Untergrund, wie sie sagt. „Es war nicht explizit verboten, aber auch nicht erlaubt – wie im Prinzip alles, was der marxistischen Philosophie widersprochen hat, etwa auch Magie oder Yoga. Über meinen Mann kam ich Mitte der 1980er Jahre zu einer Gruppe von Leuten, die sich mit Astrologie beschäftigten und versuchten, an entsprechende Literatur aus dem Ausland zu kommen. Die wurde dann übersetzt, kopiert und unter der Hand verkauft.“

Nach dem Ende der Sowjetunion und der Zensur stieg das Interesse an Astrologie enorm an, erinnert sie sich. „Wir sprachen oft in überfüllten Sälen mit 1200 Plätzen, es war sehr beliebt.“ Nach einer Weile, so Karine, sei der Hype abgeflacht. Momentan nehme sie etwa 30 Schüler pro Jahr auf, insgesamt sind es um die 100. „Unser Programm umfasst auch komplexere Themen, etwa hellenistische oder mittelalterliche Astrologie, während sich die meisten Leute eher für populäre Astrologie interessieren. Dafür gibt es ebenfalls genügend Angebote auf einfacherem Level.“

Zwischenzeitlich hat Karine einen Master in Astronomie und Astrologie in der Kultur an der Universität von Wales gemacht. „Wir studierten nicht Astrologie als Technik, sondern die Kulturgeschichte der Astrologie. Ich würde sagen, dass etwa 80 Prozent der Studierenden dort Astrologen aus aller Welt sind, die einen akademischen Zugang zu ihrem Fach suchen.“

Wenn es jedoch um Astrologie an sich als akademische Lehre geht, ist Karine skeptisch. „Ich glaube nicht, dass es momentan oder in der nahen Zukunft möglich und angemessen sein wird, Astrologie als Technik an Universitäten zu lehren“, sagt sie. Das würde zu Kontroversen und Anfeindungen führen. „Die Astrologie ist momentan noch nicht reif dafür, das sehe ich selbst als Astrologin so.“

Man müsse zuerst daran arbeiten, dass der Begriff Astrologie seinen Schrecken verliere und wieder als Teil der europäischen Kultur anerkannt werde. Denn auch wenn die Astrologie nicht dem modernen Weltbild entspräche, handele es sich um sehr tiefes Wissen. „Aber auch die Astrologie muss sich dem modernen Weltbild annähern“, sagt sie.

Außerdem werde vielleicht die Wissenschaft Entdeckungen machen, die den Einfluss der Energie anderer Himmelskörper auf die Erde belegen werden. Die Heliobiologie, die den Einfluss der Sonne auf Organismen untersuche, sei da ein guter Ansatz. Eines Tages könne man Wissenschaft und Astrologie sicher wieder versöhnen. „Aber ich glaube nicht, dass in dieser Hinsicht Eile geboten ist“, sagt Karine.

Alexander Sergejew, wissenschaftlicher Redakteur

Alexander Sergejew ist Mitglied der Kommission gegen Pseudowissenschaften an der Russischen Akademie der Wissenschaften und betreibt deren Website. Die Affäre um den Kurs an der Universität der Völkerfreundschaft sieht er vor allem kritisch, weil sie kein Einzelfall an der Hochschule sei. Dort sei nämlich erst vor Kurzem eine Dissertation über Homöopathie verteidigt worden, obwohl sie auf zahlreiche Artikel verwiesen hatte, die aus wissenschaftlichen Zeitschriften zurückgezogen worden seien. Zudem habe die Universität erst kürzlich das Recht erhalten, akademische Grade unter Umgehung der Höheren Attestierungskommission (WAK) zu verleihen. „Zusammengenommen entsteht der Eindruck, dass dort ein gravierendes Loch entstanden ist, durch das alle Arten von Pseudowissenschaft legitimiert werden können“, sagt Alexander.

Gemeinhin sei die Neigung der Menschen in Russland zu Astrologie vergleichbar mit der in den USA und Deutschland. Etwa 30 Prozent würden ihr Glauben schenken.

Mit Blick auf die Sowjetzeiten sagt er, die Astrologie habe damals „zurecht als pseudowissenschaftliche Wahnvorstellung und Aberglaube“ gegolten. Es sei jedoch ein Fehler gewesen, dass gegen die As­­trologie weniger vonseiten der Aufklärung als von der Zensur vorgegangen worden sei. „Infolgedessen wurden astrologische Publikationen und Horoskope im Untergrund zusammen mit Büchern von Dissidenten und verbotenen Autoren verbreitet“, so Alexander. Das habe den Astrologen ermöglicht, sich als Opfer des Sowjetregimes zu inszenieren und sich in eine Reihe mit Wissenschaften zu stellen, die tatsächlich zu Unrecht als „falsch“ erklärt worden waren, wie die Genetik und die Kybernetik.

Er resümiert: „Die höchst unbefriedigte Nachfrage nach dem Paranormalen hat ein explosives Geschäft damit hervorgebracht, das aktiv begonnen hat, paranormale Ideen im Fernsehen unter dem Deckmantel populärwissenschaftlicher Sendungen zu bewerben. Wie sich in letzter Zeit gezeigt hat, untergraben solche Programme effektiv das rationale Weltbild eines großen Teils der Bevölkerung, machen die Menschen weniger kritisch und anfälliger für politische Propaganda.“

Auch unter Wissenschaftlern gebe es übrigens Anhänger der Astrologie. Das seien Menschen, die eigentlich unvereinbare ideologische Konstruktionen in ihrem Bewusstsein verankert hätten, quasi isoliert voneinander. „Bei der Arbeit im Labor verwenden sie nur solche Denkmuster, die sich auf die Wissenschaft beziehen. Und zuhause wechseln sie ins Metaphysische und werden gläubig – an Religion, Astrologie, Reptiloide oder was auch immer.“ Solange diese Trennung eingehalten werde, habe dies keinen negativen Einfluss auf die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit. Wenn jedoch das Metaphysische anfange, die wissenschaftliche Arbeit zu beeinflussen, sei es der Weg zur beruflichen Disqualifikation.

Natalja, Medizinerin und Hobbyastrologin

Die Physiologin Natalja hat zunächst in einer Klinik gearbeitet und lehrt heute an einer Moskauer Universität. Ihren vollen Namen will sie lieber nicht nennen. Sie erstellt Geburtshoroskope selbst, allerdings nur für Freunde und Bekannte. Von solchem „Unsinn“ wie Horoskopen in Zeitschriften und im Radio distanziert sie sich ausdrücklich.

Zwischen Astrologie und Wissenschaft dagegen sieht sie keinen Widerspruch. „Beides steht für Uranus, und Uranus steht für das Neue, das Bahnbrechende, das Unkonventionelle, ja manchmal das Schockierende“, sagt sie. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der As­­trologie wolle man über den Horizont hinausschauen. „Astrologie ist natürlich keine Wissenschaft, aber sie funktioniert irgendwie“, fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

„Astrologie ist auch keine Religion. Sie ist nur ein Werkzeug, so wie ein Taschenrechner keine Wissenschaft ist, sondern ein Werkzeug. Sie müssen weder an sie glauben noch sie verstehen, einfach nutzen. So wie Sie auch nicht wissen, wie der Taschenrechner funktioniert, ihn aber benutzen.“

Sergej Talanow, Soziologieprofessor

Sergej Talanow ist außerordent­licher Professor am Zentrum für die Erforschung von Anpassungsprozessen in einer sich verändernden Gesellschaft am Institut für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er forscht dort in der Abteilung für Soziologie des abweichenden Verhaltens. Er verweist auf soziolo­gische Studien, die darauf hindeuten, dass vor allem Menschen in prekären Situationen dazu neigen, an Vorhersagen zu glauben und der Astrologie zugeneigt sind. „Sie wollen darin einen Sinn finden. Es sind zum Beispiel Arbeitslose und schlecht ausgebildete Menschen.“

Beim gebildeteren Teil der Bevölkerung, etwa bei Studenten, beobachtet Sergej Talanow einen gewissen Widerspruch. „Nach soziologischen Umfragen glaubt etwa die Hälfte von ihnen an Horoskope, also daran, dass Himmelskörper das Schicksal eines Menschen beeinflussen.“ Wenn man allerdings genauer nachfrage, zeige sich meist, dass kein ernstes Interesse bestehe. Man erhalte oft die Antwort, dass sie guten Horoskopen glauben, schlechten eher nicht.

Tendenziell seien in Russland eher Frauen der Astrologie zugeneigt. „Sie glauben eher an Wahrsager und lesen mehr Horoskope. Es hängt mit ihrer Emotionalität sowie ihren Interessen, Werten und Bedürfnissen zusammen“, so Sergej Talanow. Betrachte man jedoch die gebildeteren Schichten, so verschwimme der Geschlechter­unterschied. „In dieser Bevölkerungsgruppe glauben nicht viele Menschen an Astrologie.“

Was das Verhältnis von Sterndeutung und Wissenschaft angehe, so habe ein Großteil der Wissenschaftler mit Astrologie nichts am Hut. „Ich würde sogar sagen, dass ein Wissenschaftler sich prinzipiell nicht ernsthaft mit Astrologie beschäftigen kann. Es sei denn, man interessiert sich aus Langeweile oder zum Spaß für Horoskope“, so Sergej Talanow.

Jiří Hönes

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