Luftfahrt in der Krise

Die Bruchlandung eines Suchoi-Superjets mit Dutzenden Toten entfacht eine Debatte über die schwierige Lage der russischen Flugzeugindustrie. Wie werden die Flieger wieder konkurrenzfähiger und sicherer?

Inferno: Bei der Bruchlandung in Moskau kamen 41 Passagiere ums Leben. /Foto: telegraf.com.ua

Um 18:07 Uhr meldete sich der Kapitän von Linienflug SU 1492 zum letzten Mal. Gerade mal vier Minuten waren seit dem reibungslosen Start von Russlands größtem Flughafen Scheremetjewo in Moskau vergangen. Die Maschine der Fluggesellschaft Aeroflot mit 73 Passagieren und einer fünfköpfigen Crew an Bord war auf dem Weg in die nördliche Hafenstadt Murmansk. Schnell hatte der Jet eine Flughöhe von 3600 Meter erreicht und auf eine Geschwindigkeit von rund 650 Stundenkilometer beschleunigt. Doch dann begannen die Probleme, der Pilot bat um Erlaubnis zur Notlandung – und die Verbindung riss ab.

Landung unter schwierigen Bedingungen

Als die Maschine rund eine Viertelstunde später zur Landung auf der schleunigst freigeräumten Landebahn in Moskau ansetzte, hätten die Bedingungen nicht schwieriger sein können. Schlechtes, windiges Wetter, keine Verbindung zu den Fluglotsen, eine viel zu hohe Anfluggeschwindigkeit von rund 300 Stundenkilometern und bis zum Anschlag gefüllte Treibstofftanks. Ein Alptraum – auch für erfahrene Piloten.

Beim harten Aufsetzen zerbarst nach Informationen der Zeitung „Kommersant“ eines der Fahrwerke und bohrte sich in den Tank des Jets. Dieser fing augenblicklich Feuer und raste wie eine lodernde Fackel über die Landebahn. 41 Menschen, darunter mindestens zwei Kinder, verloren nach Angaben des staatlichen Ermittlungskomitees bei dem Unglück am 6. Mai ihr Leben.

Russische Medien bezeichneten die Katastrophe übereinstimmend als eines der schwersten Flugzeugunglücke seit Jahren. Präsident Wladimir Putin drückte den Familien der Toten sein Mitgefühl aus und ordnete eine strenge Untersuchung der Umstände der Katastrophe an. Experten untersuchten vor Ort die Absturzstelle.

Kränkelnder Hoffnungsträger

Doch neben der Bestürzung über die große Opferzahl verweisen Journalisten und Experten auch auf schwerwiegende Probleme, welche die zivile Luftfahrt in Russland beuteln. Denn bei der Unglücksmaschine handelt es sich um einen Suchoi Superjet-100 (SSJ-100), die erste Neuentwicklung russischer Konstrukteure nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Zusammen mit dem Passagierjet MS-21 zählt der Flieger zu den beiden großen Hoffnungsträgern der russischen Luftfahrt und soll eigentlich den Konkurrenten Airbus und Boeing Paroli bieten. Doch die Realität sieht anders aus. Während sich der Bau der MS-21 wegen amerikanischer Sanktionen verzögert, sorgt der Superjet immer wieder mit Pannen, Zwischenfällen und Unfällen für Schlagzeilen. So kamen 2012 bei einem Testflug in Indonesien 45 Menschen ums Leben.

Als problem- und reparaturanfällig gelten vor allem die Triebwerke des Liners. Aber auch die Geschwindigkeitsanzeiger sollen bei Eisbildung in größeren Höhen nur noch ungenau arbeiten, berichtete im vergangenen Jahr die „Deutsche Welle“. Mehrere Fluggesellschaften meldeten zudem Defekte an Heck, Fahr- und Leitwerk der Maschine. International tätige Fluglinien wie die mexikanische Interjet und die belgische Brussels Airlines stellten 2018 ihre Superjets daraufhin außer Dienst. Auch russische Anbieter wie Red Wings verabschiedeten sich von den Fliegern.

Gute Konstruktion – aber schlechter Service

Das Problem liege allerdings nicht in der Konstruktion der Maschinen, sind sich Spezialisten sicher. „Das Flugzeug ist gut“, zitiert die „Deutsche Welle“ den deutschen Luftfahrtexperten Ulrich Unger in einem Interview aus dem vergangenen Jahr. „Das weiß ich seit dem Beginn der Produktion!“ Die Schwäche liege vielmehr im schwachen Service. So biete der Konstrukteur Suchoi kaum Ersatzteile und Reparaturen nach dem Verkauf. Mehrere Linien mussten ihre Superjets für Reparaturen daher ausschlachten.

Doch nicht nur der problemanfällige Hoffnungsträger macht Kennern Sorgen. Denn in Russland kommt es in der Luftfahrt regelmäßig zu schweren Zwischenfällen mit vielen Toten. Hunderte Passagiere kamen bei Abstürzen in den vergangenen Jahren ums Leben, meldet die Presseagentur dpa. So starben zuletzt im Februar des vergangenen Jahres 71 Insassen beim Absturz einer Antonow-148 auf ein Feld vor Moskau. Im Dezember 2016 stürzte eine Militärmaschine kurz nach dem Start vor der Schwarzmeerküste von Sotschi ins Meer. An Bord: Sänger und Tänzer des berühmten Alexandrow-Armeechors. 92 Menschen kamen ums Leben.

Unfälle durch menschliches Versagen

Allein 2018 stieg die Zahl der bei Abstürzen in Russland umgekommenen Menschen um das Zweieinhalbfache. Dies meldete Ende März das Zwischenstaatliche Flugkomitee (MAK), welches die Flugsicherheit in zwölf postsowjetischen Staaten beobachtet und analysiert. Demnach verloren im vergangenen Jahr 128 Passagiere bei Abstürzen in Russland ihr Leben. 2017 waren es noch 51 Menschen. In 75 Prozent der Fälle seien die Unglücke auf menschliches Versagen zurückzuführen, so die Organisation. Es gebe immer wieder Piloten ohne gültige Flugerlaubnisse. Andere flögen betrunken oder seien nur ungenügend qualifiziert. Das MAK fordert daher strengere Kontrollen der notwendigen Lizenzen und eine striktere Personalpolitik.

Birger Schütz

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