Der Ausstellungssaal im Dachgeschoss des Gulag-Museums gleicht einer Gruft. Alle Wände sind mit schwarzem Stoff verhangen. Es gibt eine Menge Erde. In den Vitrinen – fast in der Erde – ein Dutzend Schwarz-Weiß-Fotos und Dokumente. Ein paar Gegenstände, die in einem Massengrab gefunden wurden – ein alter Schuh, eine Krücke, ein Kamm. Triebe, die aus der Erde kommen.
Aber hier ist es nicht totenstill. Ein Hund bellt laut. Man hört die Stimmen von Menschen. Zunächst ist nicht klar, woher all diese Geräusche kommen. Der Besucher sieht nicht sofort die Wand, auf der das Video ausgestrahlt wird. Es geht darum, wie auf einem Privatgrundstück im Dorf Scherschni im Ural beim Ausheben eines Abwasserkanals im Jahr 2021 ein Massengrab von Opfern des Stalinterrors entdeckt wurde. Dies ist ein Beispiel dafür, wie eine dunkle Geschichte aus der Vergangenheit in das alltägliche Leben eindringen kann.
Schreckliche Zahlen
Während des Großen Terrors in der UdSSR vom Sommer 1937 bis zum Herbst 1938 wurden mehr als 1,5 Millionen Menschen verhaftet. Mehr als 700.000 von ihnen wurden erschossen. Die übrigen wurden in Lager und Gefängnisse gebracht. Nur ein kleiner Teil der Erschossenen wurde eingeäschert. Die meisten Opfer liegen in der Erde. Viele Jahrzehnte lang wussten ihre Angehörigen jedoch nicht, wo genau sie begraben waren. Erst in den späten 1980er Jahren wurde damit begonnen, die Orte der Massengräber der politischen Opfer zu ermitteln. In den Archiven wurden jedoch keine Dokumente gefunden, die einen direkten Hinweis auf ihre Lage geben.
Diese Orte wurden im Laufe von Gesprächen mit Teilnehmern und Zeugen der Erschießungen, bei der Arbeit vor Ort und durch die Analyse von Dokumenten der staatlichen Sicherheitsbehörden identifiziert. Sie konnten auch zufällig entdeckt werden, wie in Scherschni geschehen. In den 1990er Jahren wurden die größten Massengräber in Moskau, Leningrad (heute St. Petersburg), Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), Tscheljabinsk, Medweschegorsk in der Republik Karelien und anderen Regionen gefunden. Die Ausstellung „Land 37“ erzählt, wie 10 Hinrichtungsstätten entdeckt wurden. Insgesamt sind mehr als 90 Grabstätten von Personen bekannt, die während des Großen Terrors in Russland erschossen wurden.
Hinrichtungsstätten heute
Bei einigen von ihnen werden heute Arbeiten zur Auffindung von Massengräbern durchgeführt. In der Ausstellung berichtet ein Audioguide über diese Arbeit in der ehemaligen NKWD-Sonderanlage „Kommunarka“ in Moskau und in der Gedenkstätte „Zwölfter Kilometer“ bei Jekaterinburg. Dort im Ural befinden sich nach neuen Angaben die Überreste von fast 21.000 Menschen. Die genauen Bestattungsorte sind aber noch nicht bekannt. In ihrer unmittelbaren Nähe wurde jedoch bereits mit dem Bau des Biathlon-Trainingszentrums Anton Schipulin begonnen.
Aber in manchen Orten ist die Erforschung der Grabstätten unmöglich. Zum Beispiel in Scherschni. Die Eigentümer des Hauses, neben dem man das Massengrab entdeckt hat, haben noch nicht ihre Zustimmung dazu gegeben. Schließlich müsste man dafür unter ihrem Haus graben.
Neues Leben
Die Erde in der Ausstellung im Museum (das russische Wort „semlja“ in ihrem Namen wird übrigens sowohl als Land als auch das Erde ins Deutsche übersetzt) wurde von 10 Hinrichtungsstätten mitgebracht. Aus dieser Erde sprießt bereits neues Leben.
Die Ausstellung läuft bis zum 3. November.
Olga Silantjewa