Forum? Darum!

Es hat bereits Tradition: Einmal im Jahr wird an wechselnden Standorten das Kultur- und Geschäftsforum „Made by Deutschen aus Russland“ ausgerichtet. Dann geht es auch schon mal im Dialekt um Dialektiken im deutsch-russischen Kontext. Und es werden Netze geknüpft, ohne dass ein doppelter Boden existierte.

Namhafter Teilnehmer: Auch Ex-Präsidentschaftskandidat Pawel Grudinin trat in München ans Rednerpult. © Tengiz Dvalishvili

Aus der Taufe gehoben 2016 in Omsk, der westsibirischen Millionenstadt, und nach den jährlich folgenden Tagungsorten Bayreuth und Kaliningrad jetzt Ende des letzten Monats in München: Angereist waren mehr als 150  Teilnehmer, hochkarätige Experten für so dringliche Themen wie geschäftliche und technologische Entwicklungen in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen, in der Bauindustrie und im Sozialbereich, Kultur- und Wirtschaftsvertreter, Politiker und Staatsbeamte aus Deutschland und Russland. Zum nun schon 4. Kultur- und Geschäftsforum „Made by Deutschen aus Russland“, organisiert von fünf russlanddeutsch ausgerichteten Interessenverbänden wie dem Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVDK) und der „Moskauer Deutschen Zeitung“. Für den Ausbau von Kooperationen, insbesondere für eine stärkere Beteiligung von Firmen aus den deutschen Minderheiten. Das aufbauende Forum fand im Rahmen der 24. Sitzung der Deutsch-Russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen statt.

Agrarier Grudinin mit politischer Agenda

Unter dem Tagungsmotto „Vertrauen. Verantwortung. Entwicklung“ ging es gleich zu Anfang hochpolitisch her, als Pawel Grudinin, staatlich dekorierter Moskauer Landwirtschaftsfunktionär und Agrar-Millionär in Erdbeeren, behände aufs Podium sprang: Auch hier kämpfte er mit einiger Leidenschaft für die Wiederaufnahme sozialistischer Prinzipien zum Wohle der seiner Meinung nach kaum mehr überlebensfähigen Kleinbauernschaft und gegen die zunehmende, ungerechtfertigte Subventionsbevorzugung der immer schneller wachsenden Großbetriebe in Zeiten nicht enden wollender Sanktionen. Mit diesen und ähnlichen Reminiszenzen war er bei der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr als offizieller Kandidat der Kommunistischen Partei angetreten und hatte Wladimir Putin tatsächlich an die zwölf Prozent abgezwackt. Seine Argumente fanden allerdings außer Zustimmung mindestens genauso viele Zweifler.

Aufgelockert wurde die gewichtige Konferenzkost durch kulturelle Leckerbissen wie Lesungen aus neuer russischer und deutscher Literatur von ihren Autoren Alexander Fitz aus München und Frank Ebbecke aus Moskau, ein kreativ-anreizendes Tango-Konzert unter Leitung des preisgekrönten, deutschstämmigen Musikakademie-Professors Friedrich Lips. Und zu guter Letzt bei einem so an- wie aufregenden Theaterabend unter dem beziehungsreichen Titel „Die Zeit wird es schon richten“, bewegend, aber auch humorvoll dargeboten von Maria Warketin, „Verdiente Künstlerin der Republik Kasachstan“, und dem über 80-jährigen Theater- und Filmschauspieler Georgij Still, beliebter „Volkskünstler der Russischen Föderation“.

Drei lange Tage herrschte an den verschiedenen Tagungs- und Eventstätten ein buntgemischtes Stimmengewirr aus Russisch, Deutsch, von den meisten in Hochdeutsch, aber von einigen auch mit leicht schwäbischer Sprachfärbung von Generationen russlanddeutscher „Babuschkas“ weitervererbt. So klingt es eben, wenn sich Russen, Deutsche und Russlanddeutsche auf Augenhöhe begegnen, eingedenk ihres kulturellen Erbes und ihrer Familientraditionen Meinungen und Erfahrungen austauschen.

„In Russland sind wir die Deutschen, in Deutschland sind wir die Russen.“ Eine häufig ausgesprochene heutige Standortbestimmung vieler persönlich Betroffener. Aber weniger als Ausdruck von Unmut und Resignation, mehr als entschlossener Aufruf zum Zusammenhalt und zur Zusammenarbeit. Aus der Not eine Tugend machen, mit Vertrauen und Verantwortung unter- und füreinander eigene Werte pflegen und ein lebenswertes Morgen selbstbewusst entwickeln. Bei diesen Begegnungen treffen sich hier in keinster Weise die sogenannten „Ewiggestrigen“. Ganz im Gegenteil: in der Mehrheit so ehrgeizige wie dynamische junge Leute, die gerade in der wieder abgekühlten Atmosphäre der großen Geopolitik dem beidseitig propagandistisch geförderten Imagedefizit doppelt so energisch entgegenwirken und es sich und allen anderen beweisen wollen.

Konstantin Schamber, selbst Russlanddeutscher mit Wurzeln im einst Königsberger Kaliningrad, Gründer und Organisator von Business Innovation Congress vornehmlich in Asien, da, wo die wirtschaftliche Zukunftsmusik besonders laut spielt, bestätigt aus bereits sechsjähriger Erfahrung in seinem Geschäft und bei seiner zweiten Forumsteilnahme: „Die Teilnahme an einer Business-Konferenz dieser Art ermöglicht den Zugang zu Entscheidungsträgern aus Geschäft und Kultur, Gesellschaft und Politik, fördert den informellen Informationsaustausch und legt einen soliden Grundstein für eine Beziehung zu prospektiven Partnern, potenziellen Kunden und Auftraggebern. Denn trotz kontinuierlich fortschreitender Globalisierung und Digitalisierung bleiben Menschen auf direkten, persönlichen Kontakt angewiesen, weil sie eigenen Empfindungen und der Intuition mehr vertrauen als virtueller Kommunikation im globalen Netzwerk.“ Folgerichtig hat er im passenden Rahmen des Forums einen strategischen Partner auf gleicher Wellenlänge für die Weiterentwicklung seiner Aktivitäten gefunden.

Kooperation auf Forum angebahnt

Professor Wladimir Baitinger, aus einer deutschen Familie, die bereits 1817 im Osten eine neue Heimat fand, ist eine international anerkannte Kapazität auf dem medizinischen Fachgebiet der Mikrochirurgie mit klinischem Forschungslabor einschließlich medizintechnischer Lösungen in Tomsk. Das aktuelle Innovationsprojekt seines privatwirtschaftlich organisierten Instituts hat er „Katjuscha“ getauft. Nein, es ist natürlich keine Waffe, vielmehr die Idee für einen Roboter zur computergesteuerten Unterstützung bei operativen Eingriffen im feinstgliedrigen, menschlichen Nervensystem, dann, wenn die Gefahr besteht, dass auch erfahrene Arzthände nicht mehr fehlerfrei mitmachen können. Den verlässlichen Partner zur Realisierung dieser ambitionierten Technologie hat er schon auf dem letztjährigen Forum in Kaliningrad kennengelernt: Waldemar Weiz, Anfang der 1990er Jahre aus Kasachstan nach Deutschland ausgereist, hat in nur wenigen Jahren seine Firma für Industrie- und Robotertechnik in Kürten bei Köln erfolgreich aufgebaut.

Einer der Schlusspunkte im vielseitigen Programm war gleichzeitig ein Höhepunkt: die feierliche Unterzeichnung eines Abkommens zur Ausbildung von Fachkräften für soziale Einrichtungen in Russland und Deutschland zwischen dem Institut für ethnokulturelle Bildung (BiZ) in Moskau und der gemeinnützigen Gesellschaft Dr. Wiesent Fachoberschulen in Eggolsheim.

Für Olga Martens, russlanddeutscher Herkunft und in Kasachstan aufgewachsen, erste stellvertretende Vorsitzende des IVDK, Heraus­geberin der „Moskauer Deutschen Zeitung“, vor allem aber eine der Hauptinitiatoren, bedeutet die Idee der alljährlichen Kultur- und Geschäftsforen weit mehr als eine rein wirtschaftlich orientierte Kooperationsplattform mit unterhaltsamen, kulturellen Blitzern. Sie sind zu ihrer persönlichen Mission geworden – mit sicht- und spürbarer Hingabe.

Frank Ebbecke

Deutsch-Russische Regierungskommission: Hilfe zur Selbsthilfe

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