Krise der Printmedien: Man sieht sich im Internet

Tabula rasa auf dem Pressemarkt: Immer mehr prominente Zeitungs- und Zeitschriftentitel verschwinden auf Nimmerwiedersehen, weil sie nicht mehr profitabel sind. Zuletzt stellte der „Kommersant“ seine Wochenzeitungen „Geld“ und „Macht“ nach über 20 Jahren ein. Sie werden nur noch im Internet fortgeführt. Was sich heutzutage verkauft und was nicht – eine Bestandsaufnahme.

Von allem ein bisschen: Zeitungskiosk in Moskau. / Tino Künzel

Von allem ein bisschen: Zeitungskiosk in Moskau. / Tino Künzel

Kannten Sie „Afischa“? Nein? Dann ist es nun leider auch zu spät. Das Moskauer Stadt- und Veranstaltungsmagazin war eine Institution und ein Trendsetter. Von 1999 bis 2015 erschien es alle zwei Wochen, eingepackt in Folie, was den hochwertigen Eindruck unterstrich. Und wer das dicke Journal bis zur nächsten Ausgabe durchgelesen haben wollte, der musste sich geradezu anstrengen. Vorbei! 2015 wurde das Heft nur noch im Monatsrhythmus herausgegeben. Ab 2016 sollte es vierteljährlich auf den Markt kommen. Diese Ankündigung war das Letzte, was von der Printausgabe zu hören war.

Der russische Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ist seit 2013 wenn nicht im freien Fall, so doch deutlich aus dem Tritt gekommen. Nach Angaben von ARPP, des Vertriebsverbandes der Druckpresse, sanken die Auflagen 2015 um 15 Prozent und 2016 um 14 Prozent. Vermutlich hat die Wirtschaftskrise dabei nur eine Entwicklung verstärkt, mit der Russland ohnehin konfrontiert gewesen wäre und die im Westen schon früher stattgefunden hat: Das Internet, mobile Apps und soziale Netzwerke haben die Lesegewohnheiten verändert. Die Werbekunden gehen dahin, wo das Publikum ist, also verstärkt ins Netz. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres büßten Zeitungen 13 Prozent und Zeitschriften 9 Prozent ihrer Werbeeinnahmen ein. Dass der Gesetzgeber ihnen ab 2017 gestattet, 45  Prozent ihrer Fläche mit Reklame zu füllen, dürfte kaum helfen. Denn auch die bisher 40 Prozent waren zuletzt meist unrealistisch.

Was die Situation noch zusätzlich verschärft hat, ist das Massensterben der Zeitungskioske: In Moskau hat sich ihre Zahl fast halbiert, seit die Stadt alle privaten Kioske schließen und von Neubauten in einem Einheitsdesign ersetzen ließ. In der Metro mit ihren täglich acht Millionen Passagieren wurden die populären Zeitungs­automaten im Frühjahr 2016 demontiert, nachdem ein entsprechender Vertrag ausgelaufen war.

Habe ein Durchschnittsleser früher fünf bis sechs Druckerzeugnisse regelmäßig gekauft, so seien es heute nur noch ein bis zwei, sagen Experten. Sogar der Kreml hat seine Abos zusammengestrichen. Bezog die Präsidialadministration 2015 noch 244 Titel, so sind es im laufenden Jahr nur noch 214.

Ruhet sanft: Diese Zeitungen und Zeitschriften fielen jüngst dem Rotstift zum Opfer und sind nicht mehr im Handel erhältlich.

Ruhet sanft: Diese Zeitungen und Zeitschriften fielen jüngst dem Rotstift zum Opfer und sind nicht mehr im Handel erhältlich.

Und so sind auf dem Friedhof der Printmedien regelmäßig Neuzugänge zu verzeichnen. Anfang des Jahres gab der „Kommersant“ bekannt, seine Wochenzeitungen „Dengi“ (Geld) und „Wlast“ (Macht) eingestellt zu haben. Sie waren seit Anfang der 90er Jahre erschienen und hatten zuletzt eine Auflage von je 60.000 Exemplaren. Grund für den Exodus: Die Einnahmen hätten gerade die Ausgaben gedeckt, so der Verlag.

Auf der Strecke blieben auch andere namhafte Titel: Die Zeitschrift „Interview“ wurde nach der Jubiläumsausgabe zum fünfjährigen Bestehen vom Markt genommen. Das Investigativmagazin „Russkij Reporter“ des „Expert“ kam zuletzt im Sommer 2016 heraus, seitdem herrscht Funkstille. Condé Nast verzichtet in Russland künftig auf die Hochglanzmagazine „Allure“ und „Traveller“. Die ehemalige Tageszeitung „Nowyje Iswestija“ ist wie die traditionsreiche „Moskowskaja Prawda“ ins Internet abgewandert. Diesen Schritt vollzog zuletzt auch „Russia Beyond The Headlines“, seit 2007 von der „Rossijskaja Gaseta“ herausgegeben. Die Beilagen in zahlreichen prominenten ausländischen Zeitungen werden aufgegeben.

Gegen den Trend sind im Vorjahr GEO und GEOlino auf den russischen Markt zurückgekehrt. Und auch an einzelnen Beispielen für gestiegene – oder nur leicht gefallene Auflagen – fehlte es nicht.  Gartenbau-, Blumen- und Kinderzeitschriften verkauften sich im Moment am besten, heißt es bei ARPP. Das Journal „Glückliche Eltern“ vermeldete ein Plus von 65.000 Lesern innerhalb der letzten drei Monate. Für den Gesamtmarkt ist dieser Nischenerfolg nicht mehr als ein kleiner Lichtblick, aber immerhin eine gute Nachricht in trüben Zeiten.

Tino Künzel

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