Konkurrenz dem Unschlagbaren machen

Am 10. September finden in der Hauptstadt Wahlen statt. Obwohl die Opposition keine Chancen bei diesem Urnengang hat, haben alle Parteien, mit einer Ausnahme, ihre Kandidaten registrieren lassen

Vorwärts, Genossen! Leonid Sjuganow (Zweiter v. r.) will Sobjanin bei der Wahl Konkurrenz machen. (Foto: Sergej Wedjaschkin /AGN Moskwa)

Anfang Juni hat das Moskauer Parlament das Datum der Bürgermeisterwahl festgelegt. Fast alle Abgeordneten haben für den 10. September gestimmt. Genauso einig waren sie in dem Punkt, dass es keine Konkurrenzwahl sein wird. Der Vorsitzende des hauptstädtischen Parlaments Alexej Schaposchnikow nannte diese Kampagne „offen, fair, aber konkurrenzlos“. Der Grund dafür sei der regierende Bürgermeister Sergej Sobjanin, dem heute niemand Konkurrenz machen könne. Die Opposition in der Stadtduma glaubt jedoch, dass das System an sich so konfiguriert ist, um allen unerwünschten potenziellen Kandidaten die Registrierung unmöglich zu machen.

Einiges Russland

Sergej Sobjanin hat selbstverständlich kein Problem bei der Qualifizierung für diesen Wahlkampf. Er ist der Kandidat der regierenden Partei „Einiges Russland“. Neben fast unbegrenzten Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, hat das Moskauer Stadtoberhaupt enorme Erfahrung gesammelt. Er kandidiert nicht zum ersten Mal. Wenn Sobjanin anfangs, im September 2010, vom damaligen Präsidenten Medwedew auf diesen Posten gesetzt wurde, trat er 2013 den Posten des Moskauer Bürgermeisters bereits nach der Wahl an. Mit 51,37 Prozent war er seinem Gegner überlegen: Kremlkritiker Alexej Nawalny (derzeit steht er auf der Liste der Extremisten und Terroristen) bekam 27,24 Prozent der Stimmen.

Die Bürgermeisterwahl 2018 wäre für Sobjanin die letzte gewesen, wie er selbst auch verlautbart hatte, wenn nicht ein 2021 verabschiedetes Gesetz die Begrenzung von zwei Amtszeiten für hochrangige Beamte in Russland außer Kraft gesetzt hätte. Das Programm des regierenden Bürgermeisters wurde im Bericht „Moskau. Bilanz und Entwicklungspläne bis 2030“ erfasst. Er verspricht den Moskauern den Umbau der Infrastruktur des Gesundheitssystems, 70 neue U-Bahn-Stationen und die Individualisierung der Schulbildung. Das Dokument umfasst 80 Seiten.

LDPR

Die großen Parteien haben Ende Juni auf ihren Parteikonferenzen ihre Kandidaten vorgestellt. Schließlich ist es eine der wenigen Möglichkeiten, Sobjanin und dem „Einigen Russland“ einen Stich zu versetzen. Auf eine besondere Weise hat der Kandidat der rechtspopulistischen LDPR die großen Bauprojekte eingeschätzt, auf die der regierende Bürgermeister äußerst stolz ist. Der 31-jährige Vize-Speaker des Staatsparlaments Boris Tschernyschew gab zu, dass in der Stadt neue Schulen, Straßen und Häuser gebaut werden, aber die Moskauer etwas anderes brauchen. „Menschen sind einsam, ihnen fehlt die Kommunikation mit den Nachbarn und den kommunalen Strukturen. Sie wollen keine Betonwände bauen, sie wollen diese Hürden überwinden. Wir müssen die Pandemie der Einsamkeit und des Hasses besiegen, die unsere Stadt und unser Land überflutet hat.“ Alles im Stile des 2022 verstorbenen LDPR-Chefs Schirinowski.

Allerdings hat Tschernyschew auch andere Probleme angesprochen. Als Bürgermeister wolle er die Interessen der Bewohner der Randbezirke vertreten, sich mit dem Verhalten der Taxifahrer und Mitarbeiter der Lieferdienste auf Elektrofahrrädern beschäftigen und vieles mehr, einschließlich Migranten.

Gerechtes Russland – Für die Wahrheit

Das Thema Migrantion war auch eines der wichtigsten bei der Parteikonferenz des „Gerechten Russland – Für die Wahrheit“. Der Kandidat dieser Partei Dmitri Gussew ist seit September 2021 Abgeordneter des russischen Parlaments. Als professioneller Politikberater weiß er ganz gut, was die Kandidaten den Wählern heute gut verkaufen können: Sicherheit. In seiner Rede erinnerte er an die Drohnen, die Moskau vor Kurzem angegriffen haben. Aber die größte Gefahr sind seiner Meinung nach die Migranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. „Diese Leute leben unter uns, aber sie leben nach ihren Regeln. Die meisten von ihnen können entweder überhaupt kein Wort Russisch oder sprechen sehr schlecht. Das ist erschreckend.“

Alle Konferenzteilnehmer waren mit dieser These einverstanden. Parteichef Mironow schenkte dem Kandidaten einen verstellbaren Schraubenschlüssel. Gussew bemerkte zudem, man könne ihn nicht nur für Bauarbeiten verwenden, sondern auch zur Selbstverteidigung.

Sein Vorgänger Luschkow trug eine Mütze, er erscheint vor der Kamera mit Helm. Sergej Sobjanin in einer neuen U-Bahn-Station. (Foto: AGN Moskwa)

Neue Leute

Man solle die IT-Branche in der Hauptstadt so entwickeln, dass es in Moskau „eine Million IT-Fachfrauen“ geben wird, die „nicht weniger als die Männer verdienen“. Das steht im Programm des 39-jährigen Vize-Vorsitzenden der Staatsduma Wladislaw Dawankow. Dass er als Kandidat an der Bürgermeisterwahl teilnehmen wird, wurde bereits Ende Mai bekannt. Die „Neuen Leute“ führten ihre Parteikonferenz unter freiem Himmel durch, Dawankow bereitete selber Schaschlik zu, und das war bis dahin der Höhepunkt seiner Wahlkampagne.

KPRF

In der letzten Zeit kommt die schärfste Kritik an der Regierung und insbesondere der Stadtverwaltung von links. Die KPRF war praktisch die einzige Partei, die der wahren Opposition eine Chance auf politischen Erfolg geben konnte. Das gilt in erster Linie für die kommunalen Abgeordneten, die weiterkommen wollten, und zwar ins Moskauer Parlament. Diese Abgeordneten kennen die Situation in der Stadt ganz gut. Die Kritik aus dem kommunistischen Lager betrifft vor allem die Entwicklungspolitik der Stadt und die Zerschlagung der hauptstädtischen Industrie.

Die Lösung wäre, den Bau von Wohnungen vorläufig einzustellen, bis die entsprechende soziale Infrastruktur errichtet wird. Außerdem dürfe die Stadtverwaltung es nicht mehr erlauben, Moskauer Betriebe in nichtproduzierende Objekte umzufunktionieren. Zudem solle man alle wissenschaftlichen Forschungsinstitute überprüfen und wesentlich mehr Geld für die Entwicklung der Industrie in der Stadt ausgeben. Die Kommunisten kritisierten auch die Änderungen in den Wahlregeln. Sie sind gegen die elektronische und gegen die mehrtägige Stimmabgabe. Als Kandidat der KPRF wird Leonid Sjuganow, der Enkel des Parteichefs Gennadi Sjuganow, bei der Bürgermeisterwahl ins Rennen gehen.

Jabloko

Die älteste demokratische Partei, die noch in der russischen politischen Szene aktiv ist, hat ebenfalls die Wahlregeln stark kritisiert. „Jabloko“ ist heute nicht in der Lage, auch nur theoretisch eine erfolgreiche Wahlkampagne zu führen. Die Position der Partei zum Thema Kriegshandlungen in der Ukraine ist bekannt. Viele Parteimitglieder glauben, dieses Thema sei derzeit viel wichtiger, als die Baupläne in der Hauptstadt. Diese Meinung teilt auch Sergej Mitrochin, der traditionell Sobjanin bei den Wahlen gegenübersteht. „Jabloko“ habe schon seit Langem ein Programm der Entwicklung der Hauptstadt und es brauche nicht korrigiert zu werden, so Mitrochin auf der Parteikonferenz.

Aber heute müsse man in erster Linie seinen Standpunkt zum Thema Ukraine äußern. Und in diesem Kontext wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, die für die Registrierung eines Kandidaten notwendigen Unterschriften der kommunalen Abgeordneten zu bekommen. „Das ist nicht mehr das Theater des Absurden, sondern der Zirkus des Absurden“, meinte der Politiker. Mitrochin hat beschlossen, nicht an der Bürgermeisterwahl teilzunehmen. Die meisten Parteimitglieder trugen diese Haltung auf der Konferenz mit.

(Un)bekannte Gesichter

Auf dem ersten Platz der Bekanntheitsskala liegt der amtierende Oberbürgermeister Moskaus Sergej Sobjanin
(96,8%), gefolgt vom Enkel des Parteichefs der KPRF Gennadi Sjuganow, Leonid Sjuganow (46,9%). Den Kandidaten der LDPR Boris Tschernyschew kennen 16,3% der Moskauer und Dmitri Gussew von „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ kennen 11,8% der Bewohner der Hauptstadt. Wladislaw Dawankow, der die Partei „Nowye Ljudi“ (Neue Leute) vertritt, erwies sich als der am wenigsten bekannte Bürgermeisterkandidat – von ihm hatten nur 6,8% der Moskauer etwas gehört. Die Umfrage wurde Mitte Mai unter 1000 Befragten durchgeführt.

Igor Beresin

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