Am 26. Februar zogen Tausende Menschen durch die Moskauer Innenstadt, um dem vor zwei Jahren ermordeten Oppositionellen und Vizepremier Boris Nemzow, zu gedenken. Ein Happening der russischen Regierungsgegner, die die Aktion mit aktuellen Losungen gegen Präsident Putin, die russische Krim, den Militäreinsatz in Syrien nutzten. Der „Marsch” gilt schon jetzt als größte Politaktion des Jahres, zumal der Glaube der Russen an den Sinn solcher Veranstaltungen stetig sinkt.
Sag‘, wie steht’s mit dem Protest?
Wie das Lewada-Zentrum in einer Januarstudie herausfand, unterstützt nur noch etwa ein Viertel der Befragten „Massenprotestaktionen”, über die Hälfte sind eher oder ganz dagegen. Vor fünf Jahren, nach den großen Demos am Bolotnaja-Platz, stand es noch 37 zu 44 Prozent. Noch deutlicher wird der Vertrauensverlust bei der gefühlten Effektivität solcher Aktionen: Im Januar 2017 glauben ganze 20 Prozent an die Macht des demonstrierenden Volkes, im Sommer 2012 waren es noch 52 Prozent der damals Befragten. Als wirkungslos sahen damals 40 Prozent der Befragten solche Aktionen, im Januar dieses Jahres sind es schon zwei Drittel, allein 29 Prozent halten sie für „völlig ineffektiv”.
Dass trotzdem 5000 (Polizeiangaben) bis 15 000 Menschen (Organisatoren) zum Nemzow-Gedenkmarsch kamen, dürfte als Achtungserfolg der oppositionellen Parteien gewertet werden, aber auch als Ausnahmeerscheinung, geschuldet der großen Medienpräsenz des Mordfalls Nemzow.
Die Menschen entfernen sich von dem politischen Leben, auch wenn die Alltagsthemen doch politisiert sind. Eigene Einflussmöglichkeiten sehen die Russen offenbar kaum.
Aber wer denn dann?
Vor allem die Staatsspitze und der Staatsdienst, sagen Lewada-Studien. Im Vergleich zu den Zahlen von vor fünf Jahren haben sich vor allem der Präsident, die Armee und der Inlandsgeheimdienst FSB in der öffentlichen Meinung verbessern können – immerhin um etwa eine Schulnote. Ein leichtes Vertrauensplus gab’s auch für Polizei und Staatsanwaltschaft. Wenig Hoffnung setzen die Russen aber nach wie vor in politische Parteien, das Parlament, die Medien und selbst die Kirche hat ihren Ruf kaum verbessern können.
Kurz: Hundert Jahre nach dem Revolutionsjahr 1917 herrscht in der russischen Gesellschaft passive Stille. Unter Politologen wächst die Sorge, denn ein „faules“ Elektorat ist keinesfalls ein gutes Zeichen für die Präsidentschaftswahlen in eineinhalb Jahren.
Peggy Lohse