Gute Nacht: Hostels in Russland bieten viel für wenig Geld

In russischen Hostels lässt es sich aushalten. Meist sind sie neu, freundlich eingerichtet – und dazu spottbillig. Auch ein unlängst in Kraft getretenes Gesetz, dem von Kritikern verheerende Folgen prophezeit wurden, scheint der Branche nichts anhaben zu können.

Hostels haben in Russland keinen ganz leichten Stand. Manche hören „Hospiz“, wenn der Name fällt. Andere denken an Obdach­losenasyle, wie eine aktuelle Umfrage des Touristikportals Tourdom.ru ergab, bei der immerhin 47 Prozent der Befragten bekannten, auf Reisen genau aus diesem Grund nie in Hostels zu übernachten. Manchmal werden die Billigherbergen auch mit Wohnheimen aus der Sowjetzeit oder mit Unterkünften für Wanderarbeiter gleichgesetzt. „Bei uns herrschen da die seltsamsten Vorstellungen vor“, weiß Irina Boiko, Geschäftsführerin des Hostels Kljukwa (Moosbeere) in der nordrussischen Provinzstadt Syktywkar.

Wo „Hostel“ draufsteht, ist in Russland meist alles für einen angenehmen Aufenthalt vorhanden. © Tino Künzel

Hostels sind eben noch ein relativ junges Phänomen für Russland. Mit dem St. Petersburg International Hostel wurde das erste 1992 eröffnet. So richtig Fahrt nahm die Entwicklung aber erst im laufenden Jahrzehnt auf. Seitdem ist viel passiert. Wer beim Buchungsportal Booking.com nach einer Übernachtungsmöglichkeit Ende November sucht, dem werden in Moskau über 400 Hostels angezeigt, in St. Petersburg über 200. In Berlin sind es weniger als 70.

Das russische Wirtschaftsministerium führt in seinem Register landesweit rund 1250 Hostels. Nach Angaben des Internetdienstleisters 2GIS hat sich die Zahl in den 16 Millionenstädten des Landes zwischen März 2017 und März 2019 um 23 Prozent erhöht. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos Comcon entfiel im ersten Halbjahr 2018 fast jede vierte Übernachtung im Binnentourismus auf Hostels.

Fast geschenkt: Preise ab drei Euro

Die Chancen, positive Erfahrungen mit dieser Art von Unterkünften zu machen, stehen dabei gut. Meist sind die Hostels höchstens ein paar Jahre alt, haben neues Mobiliar, farbenfrohes Interieur und gemütliche Aufenthaltsräume zu bieten. Dass die Steckdosen am richtigen Fleck sind und die Küchen voll ausgestattet, versteht sich praktisch von selbst. Die Preise sind ohnehin unschlagbar. Für die Nacht im Mehrbettzimmer (mit vier bis zehn Betten) beginnen sie bei ca. drei Euro, selten sind es mehr als zehn. Üblicherweise erfolgt die Unterbringung nach Geschlechtern getrennt, häufig sind aber auch gemischte Schlafräume verfügbar.

Viele Hostels können bequem über spezialisierte Webseiten gebucht und ebenso bequem per Kreditkarte bezahlt werden. Bei der Privatsphäre müssen naturgemäß Abstriche gemacht werden, es gibt jedoch oft Rückzugsorte, an denen man ungestört ist – und sei es das eigene Bett, das bei Etagenbetten in der Regel über einen Vorhang verfügt. Bei niedriger Auslastung kommt es auch gar nicht so selten vor, dass man ein Zimmer für sich hat. Dem Autor ist das jedenfalls schon mehrfach widerfahren.

Während Hostels im traditionellen Verständnis das Revier von Rucksacktouristen sind, ist das Publikum in Russland ein sehr gemischtes, gerade in den Regionen, wo der Tourismus eine geringere Rolle spielt. Oft werden die Herbergen dort als preiswerte Langzeitunterkünfte genutzt, etwa von Arbeitern und Studenten. Das ebenfalls erst im Januar eröffnete Hostel Kljukwa liegt direkt am Flughafen von Syktywkar, aber Reisende sind klar in der Minderheit. „Unsere Region ist sehr groß“, sagt Geschäftsführerin Boiko, „die wichtigsten Krankenhäuser befinden sich jedoch alle hier. Ein Großteil unserer Gäste sind deshalb Menschen aus entlegenen Orten, die sich in Syktywkar untersuchen und behandeln lassen.“ Das sorgt auch für viele ältere Semester unter den Hostelinsassen, neben einer bunten Schar anderer Gäste. Während Boiko in der Küche von ihrem Hostel erzählt, sitzen drei Ägypter am Nebentisch. Sie studieren in Syktywkar und schauen etwas unsicher, als sie angesprochen werden. „English?“, fragt einer hilfesuchend zurück.  

Hostels in Mehrfamilienhäusern verboten

Für viel Aufruhr in der Branche sorgte zuletzt ein Gesetz, das die Staatsduma im März annahm und das nun zum 1. Oktober in Kraft trat. Es verbietet Hostels in Mehrfamilienhäusern, sofern sie sich nicht im ohnehin für kommerzielle Zwecke vorgesehenen Erdgeschoss befinden und über einen separaten Eingang verfügen. Jahrelang soll es massive Klagen anderer Hausbewohner über Lärm und Schmutz gegeben haben, hieß es zur Begründung für das Gesetz. Weil der Anteil von Hostels in dafür umfunktionierten Wohnungen jedoch etwa in St.  Petersburg bei über 70 Prozent lag, war von einer Zäsur die Rede. Kritiker sprachen von einem schweren Schlag gegen den Fremdenverkehr und sagten Preissteigerungen voraus. Zumindest bisher ist es dazu nicht gekommen. Dabei sei in Moskau in diesem Jahr die Hälfte der Hostels geschlossen worden, berichteten russische Medien unter Berufung auf den Leiter des Amtes für das Hotelwesen beim Tourismuskomitee der Stadt, Alexej Tichnenko. Ein Mangel an preiswerten Unterkünften bestehe deshalb aber nicht.

Das Gesetz sei „gut und richtig“, findet Irina Boiko. Hostels dürften Nachbarn nicht das Leben schwer machen. Das Kljukwa mit seinen 75 Betten in 16 Zimmern befindet sich in einem alleinstehenden Gebäude. Dafür wurde ein zweistöckiger Altbau aus Sowjetzeiten aufgemöbelt. Dem Haus mit seinem Karomuster in verschiedenen Rottönen sieht man das allerdings nicht an.

Tino Künzel

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