
Sein erster Auslandseinsatz als Diplomat fiel für Andrej Dronow (62) denkwürdig aus. Die USA intervenierten auf der kleinen Karibikinsel Grenada militärisch, 1983 war das. Auch die Sowjetbotschaft, wo er arbeitete, sei damals beschossen und schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, sagt Dronow. Er selbst habe Splitterverletzungen in Brust und Gesicht davongetragen.
Schluss für das Konsulat und seinen Chef
So schlimm wird es 40 Jahre später auf seiner letzten Station nicht kommen. Der russische Generalkonsul in Leipzig muss derzeit „nur“ die kontrollierte Abwicklung seines Generalkonsulats moderieren. Das wird zum Jahresende geschlossen. Und Dronow kehrt nach sechs Jahren Leipzig ins russische Außenministerium zurück. Darum habe er schon lange ersucht. „Jetzt hat die deutsche Regierung meine Bitten erhört“, spottet er.
Denn es war die Bundesregierung, die den russischen Generalkonsulaten in Leipzig, Hamburg, Frankfurt/Main und München die Erlaubnis für den weiteren Betrieb über dieses Jahr hinaus entzogen hat. Dronow spricht wahlweise von einem „unfreundlichen“ oder „feindseligen“ Schritt. Vorausgegangen war eine russische Anweisung an die deutschen Auslandsvertretungen in Russland, ihre Personalstärke auf 350 Personen zu reduzieren, zwecks Parität der Mitarbeiterzahl, wie es hieß. Die deutsche Botschaft in Moskau nannte das eine „unbegründete Eskalation“. Mehrere hundert Menschen, vor allem Ortskräfte, mussten gehen, in besonderem Maße betroffen war das Goethe-Institut.
Berlin kündigte daraufhin die Schließung der deutschen Generalkonsulate in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk an, zu der man sich unter diesen Umständen gezwungen sehe. Bis November soll dort die Arbeit schrittweise heruntergefahren werden. Die diplomatische und konsularische Präsenz Deutschlands wird sich anschließend auf die Botschaft in Moskau und das Generalkonsulat in St. Petersburg beschränken. Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, so die Bundesregierung, müsse auch Russland künftig mit einer Botschaft und einem Generalkonsulat auskommen.
Tagtäglich lange Schlangen
Diese Nachricht scheint bei „unseren Landsleuten“ – wie sie Generalkonsul Dronow bezeichnet – in Deutschland und anderen Ländern auf ein lebhaftes Echo gestoßen zu sein. Die Rede ist von Russen und Russlanddeutschen, die zwar in Europa wohnhaft sind, aber weiter die russische Staatsbürgerschaft besitzen. Vor dem Konsulat in der Leipziger Turmgutstraße bildet sich schon seit mehreren Monaten jeden Morgen eine lange Schlange. Die Leute seien verunsichert, wie das alles weitergehen werde, und wollten lieber auf die Schnelle noch ihre Papiere in Ordnung bringen oder einen neuen Pass beantragen, so Dronow. Dafür kämen sie nicht nur aus dem Konsularbezirk, also Sachsen und Thüringen, sondern aus ganz Deutschland und sogar Ländern wie den Niederlanden, Irland oder Spanien.
Besonders zahlreich vertreten sind auch Besucher aus Tschechien. Prag hatte nach dem 24. Februar 2022 die Schließung der russischen Generalkonsulate in Brünn und Karlsbad verfügt. An der russischen Botschaft in Prag kümmert sich derzeit noch ein einziger Mitarbeiter um konsularische Angelegenheiten. Deshalb verlagert sich der Publikumsverkehr nach Leipzig, wo zudem keine elektronische Terminvergabe existiert. Nur beträgt die Wartezeit trotzdem – von dringenden Fällen abgesehen – etwa eine Woche, ist von den Freiwilligen zu erfahren. Die lösen sich auf dem Gehweg vor dem Konsulat rund um die Uhr ab, um für einen gesitteten Ablauf zu sorgen. Gedränge und Handgreiflichkeiten oder auch nächtliches Anstehen sollen vermieden werden, deshalb führen sie eine Warteliste.
Rund eine Woche Wartezeit
Pjotr ist einer dieser Freiwilligen, die sich auf Telegram unter der ironischen Bezeichnung „Krieger der heiligen Liste“ zusammengeschlossen haben. Man wird ja wohl noch seinen Spaß haben dürfen, wenn schon die Lage ansonsten wenig Anlass dazu gibt. An einem Mittwochnachmittag im Juli sitzt Pjotr auf seinem Klappstuhl vor dem Eingang zum Generalkonsulat in der Sonne, mit einem großzügigen Vorrat an Mineralwasser kommt er sicher von 13 bis 17 Uhr über die Runden. So lange dauert seine Schicht.
Der Russlanddeutsche berichtet, dass aktuell 254 Namen auf der Warteliste stünden, darunter auch seiner. Mit jedem Tag rücke die Schlange ungefähr 50 Namen vor. Sich eintragen zu lassen und dann erst wieder zu erscheinen, wenn eine Chance besteht, zum Schalter vorzudringen, ist keine Option. Wer seinen Platz in der Schlange nicht einmal am Tag durch Anwesenheit bekräftigt, fliegt raus. Deshalb fährt auch Pjotr tagtäglich die 100 Kilometer von Magdeburg nach Leipzig und zurück.
Liest man die Namen der Antragsteller in der Telegram-Gruppe, so scheint es sich zumindest bei einem großen, wenn nicht dem größten Teil um russlanddeutsche Spätaussiedler zu handeln. Die Familie von Pjotr beispielsweise stammt ursprünglich aus der Ukraine. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie ausgerechnet nach Zerbst verschleppt. Das ist die Heimat von Katharina der Großen, die als Zarin später mit ihrem Manifest um Deutsche werben sollte, damit sie entlegene Regionen des russischen Reiches urbar machen. Nach dem Krieg ging es für Pjotrs Familie nicht etwa in die sowjetische Ukraine zurück: Der Zug fuhr stattdessen ins Vorland des Nordurals, bis zur Industriestadt Beresniki, wo Arbeitskräfte gebraucht wurden. Dort ist Pjotr geboren. 2003 kam er nach Deutschland, arbeitet heute bei der Deutschen Bahn.
Personal geht nach Berlin
Auch das Konsulat in Leipzig geht auf einen Beschluss von Katharina zurück. 1783 wurde es eröffnet, es ist das älteste russische Konsulat in Deutschland. Ausschlaggebend soll damals die Rolle von Leipzig als Messestandort und seine Lage am Schnittpunkt von Handelsrouten zwischen Ost und West gewesen sein.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Konsulat je nach geopolitischer Lage mehrfach geschlossen und wiedereröffnet. Seit 2005 befindet es sich in einer alten Villa in Gohlis-Süd, einem der schönsten Stadtviertel von Leipzig. In unmittelbarer Nachbarschaft: der Auwald, der Leipziger Zoo, das Gohliser Schlösschen, Gründerzeitbauten und prächtige Villen. „Wem’s zu wohl ist, der zieht nach Gohlis“, hat der Volksmund gedichtet. Aber der Spruch soll schon älter sein und eine andere Bedeutung haben, als man heute vermuten würde.

Das Konsulatsgrundstück mit den Gebäuden darauf bleibe auf jeden Fall im Besitz des russischen Staates, sagt Andrej Dronow. Ansonsten will Russland offenbar kein Personal abziehen, sondern es von den zu schließenden Konsulaten auf die Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in Bonn verteilen und so zusätzliche Kapazitäten schaffen. In Berlin solle ein weiteres Gebäude für konsularische Angelegenheiten zur Verfügung stehen, um den zu erwartenden Andrang aufzufangen, so Dronow. Außerdem wolle man die schon bisher gängige Praxis von Auswärtsterminen in den Regionen stark ausbauen, um denen entgegenzukommen, für die weite Wege nach Berlin oder Bonn nicht zu machen seien, oder auch bettlägerige Menschen zu Hause aufzusuchen.
Aber das wird schon ohne Dronow stattfinden. Er werde Leipzig in guter Erinnerung behalten, sagt er. Und auf bessere Zeiten für die deutsch-russischen Beziehungen hoffen.
Tino Künzel