Gagarin Superstar

Er wäre jetzt 87 Jahre alt. Was Juri Gagarin, dessen Weltraumflug sich am 12. April zum 60. Mal jährt, heute machen würde, wäre er noch am Leben, weiß man nicht. Wie ihm Menschen rund um den Erdball zujubelten und er auf einer Welttour für Frieden und Zusammenarbeit auch von der Queen empfangen wurde, dagegen schon.

Gagarin überlebensgroß in Moskau, April 2021 (Foto: Tino Künzel)

An dem Tag, als Juri Gagarin die Sowjetunion zum ersten Mal verließ, war er nach 108 Minuten wieder da. Seine, wenn man so will, kürzeste Auslandsreise führte ihn am 12. April 1961 einmal um den Erdball – in 300 Kilometern Höhe. Die Rede ist natürlich vom ersten bemannten Weltraumflug in der Geschichte der Menschheit, zu dem Gagarin als Nobody startete und nach dem er als Superstar landete, mit Auszeichnungen und Titeln überschüttet wurde und bald schon zu einer Welttour aufbrach, bei der ihn die Menschen in Ost und West feierten.

Patricia Paton aus Manchester erinnert sich bis heute an Gagarins Besuch in ihrer Stadt. Auch sie stand am Straßenrand, als ein offener Rolls-Royce mit dem Kosmonauten durch die Menge rollte, drei Monate nach dessen Flug ins All. Es sei ein „magischer Moment“ gewesen, den man nicht verpassen wollte, sagte sie der BBC. Und Gagarin, damals 27 Jahre alt, sei unglaublich attraktiv gewesen. „Ein Filmstar hätte nicht fantastischer aussehen können.“

Auch Ray Smith sieht die Szenen noch vor sich. „Die Mädchen sind dem Auto nachgelaufen, sie wollten seine Hand halten und haben vor Begeisterung geschrien, so als sei er ein großer Popstar“, zitiert die BBC den Mann, der 17 war, als Gagarin die gewohnte Weltordnung durcheinanderbrachte. Ein sowjetischer Offizier, im Westen gefeiert. Das klang verrückt. Aber auf einmal schien alles möglich: dass der Mensch den Kosmos erobert – und dass dieser kleine, nur 1,57 Meter große Russe in seiner olivgrünen Uniform den Kalten Krieg einfach weglächelt.

In London hatte man Gagarins Wirkung auf die Massen, seine Ausstrahlung und ja, sein Lächeln, maßlos unterschätzt. Als die sowjetische Botschaft sich um Visa für einen offiziellen Besuch bemühte, wurde zunächst nur der Besuch einer Technologie- und Wirtschaftsausstellung der Sowjet­union in Manchester genehmigt. Doch das Interview, das Gagarin am Rande der Veranstaltung britischen Journalisten gab, erreichte ein Millionenpublikum. Daraufhin wurde er doch noch nach London eingeladen, wo Premier Harold Macmillan ihn traf und Königin Elizabeth II. mit ihm zu Mittag speiste.

Dann kehrte der geschätzte Gast nach Manchester zurück. Diesmal war es die Gießer-Gewerkschaft, die eine Festveranstaltung mit ihm plante. Ehrensache für Gagarin, den gelernten Gießer, das Kind des Arbeiter- und Bauernstaats, die Einladung anzunehmen. Obwohl es regnete, stand er aufrecht im Rolls-Royce, winkte den Menschen zu – und lächelte. 25.000 bereiteten ihm einen warmen Empfang.

Titelseiten der Weltpresse im April 1961

Es gab in jenem Sommer 1961 auf der Welt niemanden, der bekannter und populärer gewesen wäre als Gagarin. Die Sowjetunion hätte sich keinen idealeren Fackelträger für ihre Sache wünschen können. Der erste Mensch im All war der beste Außenminister, den sie je hatte.

Von 1961 bis 1963 tourte Gagarin durch mehr als 25 Länder. Neben England gehörten die Tschecho­slowakei, Finnland, Indien, Brasilien, Kuba, Kanada und Afghanistan zu den ersten. In die DDR verschlug es Gagarin – mit Weltraumfliegerin Valentina Tereschkowa an seiner Seite – fast als Letztes, noch nach Japan und Ägypten. Doch auch hier, in Berlin, Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Suhl und Wolfen, kannte der Jubel keine Grenzen.

Selbstredend galt das auch für die Sowjetunion selbst. Gänzlich untypisch für einen Militärangehörigen, führte Gagarin ein Leben im Rampenlicht. Die Fotoarchive sind voll von privaten Aufnahmen: Gagarin beim Angeln, Gagarin mit Frau und Töchtern beim Urlaub auf der Krim, beim Wasserski, beim Eishockeyspielen, beim Frühsport mit Hanteln auf dem Balkon.

Am 14. April 1961 hatte er bei einem festlichem Empfang in Moskau direkt nach der Landung auf dem Flughafen Wnukowo vor Parteichef Nikita Chrusch­tschow gestanden und rapportiert, es gehe ihm gut und er werde jede erdenkliche neue Aufgabe übernehmen, die Partei und Regierung ihm stellten. Im Interview mit einem finnischen Reporter erklärte er später, nun sollten erst einmal andere ihre Chance bekommen, ins All zu fliegen. „Aber wenn wieder ich an der Reihe bin und man mir das Vertrauen schenkt, bin ich jederzeit bereit. Ob das nun ein Flug um den Erdball ist oder zum Mond, zum Mars, zur Venus oder vielleicht sogar in ein anderes Sternensystem.“ Ob er wirklich geglaubt hat, dass ein Flug etwa zum Mars unmittelbar bevorstehen könne? Oder sollte er das sagen, um die grenzenlosen Perspektiven der sowjetischen Raumfahrt zu betonen?

In den Kosmos geflogen ist Gagarin jedenfalls nie wieder. Am 27. März 1968 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Tino Künzel

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