Eisgekühlt und nachgespült: Was ein Deutscher bei einem Fußballspiel in Sibirien erlebte

Manchmal ist Fußball eben doch Wintersport. Das Spiel SKA Chabarowsk gegen ZSKA Moskau (2:4) in Russlands Eliteliga fand kürzlich bei Temperaturen von minus 16 Grad statt. Als Zuschauer mit von der Partie im Lenin-Stadion von Chabarowsk: Markus Stapke, 37, Ingenieur und fußballerischer Globetrotter aus Sachsen. Hier erzählt er von einer denkwürdigen Reise, bei der ihm zumindest ums Herz warm war.

Es fehlt nicht viel zu Väterchen Frost: Markus Stapke in Chabarowsk. / Privat

Herr Stapke, Sie haben hoffentlich keine Erfrierungen als Andenken aus Russland mitgebracht?

Nein. Ich war nicht das erste Mal in Russland und wusste, wie ich mich anzuziehen habe, bis hin zu den Schafwollsocken, die meine Oma für mich gestrickt hat. Sie glauben ja gar nicht, wie oft ich den Wetterbericht für Chabarowsk gecheckt habe, denn es durfte zeitlich absolut nichts schiefgehen. Das Spiel war für Samstag um 19 Uhr angesetzt, Montagfrüh musste ich wieder in Leipzig an meinem Arbeitsplatz sein. Selbst bei einer Verlegung um nur einen Tag hätte ich mir den gesamten Weg umsonst gemacht.

Als sogenannter Groundhopper sammeln Sie Stadionbesuche und haben sicherlich schon viele „heiße“ Spiele erlebt. Aber so ein kaltes vermutlich noch nicht.

Stimmt, das war das mit Abstand kälteste. Ich habe mich schon etwas gewundert, dass es bei diesen äußeren Bedingungen überhaupt angepfiffen wurde. Das Stadion liegt direkt am Amur, weshalb sich die Kälte noch ungemütlicher anfühlte. Aber wenn ich ehrlich bin, haben die extremeren Temperaturen in dem Zug geherrscht, mit dem ich von Moskau nach Chabarowsk gefahren bin.

Wie das?

Der Platzkartnyj-Waggon war völlig überheizt. Aber ansonsten habe ich die Bahnfahrt sehr genossen. 8493 Kilometer, 132 Stunden – das ist schon was. Ich bin früher immer nur Teilstücke der Transsibirischen Eisenbahn gefahren, die ganz große Tour hatte ich mir für eine solche Gelegenheit aufgehoben.

Wieso musste es ausgerechnet Chabarowsk sein? Und ausgerechnet im November?

Es passte einfach alles zusammen. Das Stadion von Chabarowsk war das einzige von den 16 Stadien der russischen „Premier-Liga“, das mir in meiner Sammlung noch fehlte, wo ich also noch kein Spiel gesehen hatte. Und jetzt war dort ZSKA Moskau zu Gast. Da trafen also zwei „Armeeklubs“ aufeinander, besser ging es gar nicht. Um das zu erklären: Ich habe eine Schwäche für Partizan Belgrad, das ist auch ein Armeeklub. Dort unterhält man eine Fanfreundschaft zu ZSKA, wo ich mittlerweile auch schon einige Leute kenne. Ich war mit ZSKA beim Champions-League-Auswärtsspiel in Basel, demnächst geht es nach Manchester. Beim Spiel in Chabarowsk habe ich im Fanblock von ZSKA gestanden.

Wie viele Zuschauer waren trotz des strengen Frosts im Stadion?

Offiziell 5500. Aber das scheint mir eher noch zu hoch gegriffen zu sein. Das Stadion sah schon ziemlich leer aus. Aber Chabarowsk ist eben auch Tabellenletzter, außerdem haben die meisten am Samstagabend natürlich etwas anderes zu tun. Die, die gekommen sind, waren mit Sitzkissen und Decken ausgerüstet. Trotzdem ist für mich unvorstellbar, wie man die 90 Minuten im Sitzen aushalten konnte.

Das Lenin-Stadion von Chabarowsk, wo auch bei eisigen Temperaturen Fußball gespielt wird. / Wikipedia

Wie haben denn Sie sich warmgehalten?

Im Fanblock bleibt man ja in Bewegung. Ich habe einfach den ganzen Sport mitgemacht, mich neben den Trommler gestellt, die Schlachtgesänge mit angestimmt, so gut es ging. Irgendwann haben die Leute auch noch ihre Oberkörper freigemacht. Das ist dann eben Gruppendynamik. Allein wäre einem das zu blöd, aber in der Gruppe macht man mit. Mir war eigentlich überhaupt nicht kalt. Ich habe aber auch nicht wie ein Schneemann in der Ecke gestanden.

Sie haben nicht wenigstens mit dem Gedanken geliebäugelt, ein bisschen früher zu gehen und sich einen Tee zu genehmigen?

Keine Sekunde. Bei einem Spiel vor der eigenen Haustür wäre mir das Ganze vielleicht zu unwirtlich gewesen. Aber auf die Entfernung, bei dem ganzen Aufwand, den ich betrieben habe, haben die Wetterkapriolen das Erlebnis nur noch wertvoller gemacht. Für uns Groundhopper kann es beim Fußball gar nicht verrückt genug zugehen. Das wird in unserer Subkultur am meisten honoriert. Von mir aus hätte es auch noch schneien können.

Wie haben Sie den Abend ausklingen lassen?

Mein Gastgeber beim Couchsurfing hatte Geburtstag und hat eine Party geschmissen. Da war ich als Wildfremder, als „deutscher Spion“, natürlich der Stargast. Es wurde dann so alkohollastig, dass ich am Morgen auf dem Flughafen eingeschlafen bin und meinen Rückflug verpasst habe. Eigene Dummheit, anders kann man das nicht sagen. Beim nächsten Flug war nur noch die Business Class frei, das Ticket hat mich 1460 Euro gekostet. Aber das ist ja letztlich auch nur Geld. Mir ist nichts Schlimmes passiert. Man kann einfach nicht immer gewinnen. Als wir abgehoben haben, war ich bei dem wunderschönen Blick auf den Amur so gerührt, dass mir die Tränen gekommen sind. Und damit war dann auch alles gut.

Das Interview führte Tino Künzel.

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