Für Rechtspopulisten zu pragmatisch

Europa wählt ein neues Parlament. Und es wird befürchtet, dass populistische Parteien mit Unterstützung Russlands an Macht gewinnen. Experten sehen das unterschiedlich. Jedoch meinen sie, dass Europa als ganzes für Moskau nicht interessant sei.

Das Europaparlament fürchtet sich vor russischer Einmischung © Edda Dietrich/ flickr.com

Am letzten Maiwochenende wählt Europa ein neues Parlament. Doch kurz vor dem Urnengang erschüttert eine politische Krise Österreich. Nach der Veröffentlichung des skandalösen Ibiza-Videos löst der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ auf. Ein schwerer Rückschlag für die europäische Rechtsallianz, könnte man glauben. Dem widerspricht Dmitri Stratievski. Der Politologe und stellvertretende Vorsitzende des Berliner Osteuropa-Zentrums meint, dass sich die lokale Krise in Österreich kaum auf die Wählerpräferenzen außerhalb des Landes auswirke. Diese würden doch nicht einem Einzelfall, sondern einem längeren populistischen Trend unterliegen.

Stratievski geht davon aus, dass die Rechtspopulisten und die Ultrarechten wie die Lega Nord Matteo Salvinis, die Rassemblement National Marine Le Pens und die Alternative für Deutschland (AfD), aber auch die Parteien links von den Sozialdemokraten und die Grünen bei den Wahlen besser abschneiden werden. Sie könnten sogar bis zu 300 der 705 Sitze gewinnen, glaubt der Leiter des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexey Gromyko. Die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten werden laut Gromyko die Mehrheit der Stimmen verlieren. Auch der demoskopische Befund des ARD-Deutschlandtrends zur Europawahl zeigte den beschleunigten Verfall der Volksparteien im Vergleich zu 2014. Gromyko weist darauf hin, dass die Allianz der Liberalen, nun auch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verbündet, mit ungefähr 100 Sitzen rechne.

Furcht vor Moskau unbegründet

Ende April hatte die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF-Interview zum Zusammenhalten und „Deutlichmachen“ der Unterstützung von Populisten durch Russland aufgerufen. Auch der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte gegenüber der Funke Mediengruppe an, er wolle entschlossen „gegen Lügen im Europawahlkampf“ sowie Manipulationsversuche in und außerhalb der EU vorgehen. Auf die Frage, ob Moskau wirklich an der ihm unterstellten Unterstützung der Rechtspopulisten interessiert ist, erwidert Gromyko: „Die Moskauer Außenpolitik ist zu pragmatisch, um sich an den Rechts- oder Linkspopulisten auszurichten. Jedoch ist für Moskau jedes beliebige Kräfteverhältnis vorteilhaft, das den Kluft in den Beziehungen verringern und die Basis für deren Entspannung aufbauen würde“. Stratievski meint, der Kreml neige nicht zur Treue gegenüber einer bestimmten Ideologie. Als sympathisch werden aus seiner Sicht jegliche freundliche Gesten gegenüber Russland behandelt, sowie die Aufrufe zur Milderung der Sanktionspolitik.

„Es ist auch üblicher und bequemer für Moskau, mit den einzelnen Hauptstädten als mit einer einheitlichen EU zu sprechen“, so Stratievski. Es sei nur so, dass die Rechtspopulisten den Wirtschaftsfaktor und dessen Profite den Werten der liberalen Demokratie eher vorziehen würden, was manche staatlichen Konzerne, Großunternehmen oder auch Oligarchen in Russland ebenso als vorteilhaft sehen würden. Trotzdem hänge das neue Kräfteverhältnis in der EU nicht von Moskau, sondern von den Wählern ab, merkt Gromyko an. Dass der große Russland-Kritiker und Nord Stream 2-Gegner, der Spitzenkandidat der EVP Manfred Weber im Herbst dann zum Nachfolger Junckers gewählt wird, hält er jedoch nicht für selbstverständlich. Und auch die Favoriten des Wahlkampfs, werden über die Verteilung der anderen mitbestimmen, sagt der Experte.

Wahlbeteiligung könnte wieder steigen

Seit der ersten Europawahl 1979 schrumpfte die Wahlbeteiligung 2014 von rund 62 auf 41 Prozent. Gromyko vermutet, dass die Wahlbeteiligung diesmal leicht steigen wird, weil „mehr Menschen Veränderung anstreben“. Aber welche Veränderungen wollen sie? In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung sagte der Ex-Chefstratege von US-Präsident Donald Trump, Steve Bannon, kürzlich „nach der Wahl wird jeder Tag in Brüssel Stalingrad sein“. 2017 hatte er die NGO „Bewegung“ mitgegründet, die Europas Nationalisten unterstützen will. Er verheimlicht auch nicht, dass er seit Monaten auf „Europatour“ ist und auch die AfD berät.

Dass nicht nur die Rechtsextremen und Verschwörungstheoretiker, aber auch die gemäßigten Euroskeptiker glauben würden, die AfD vertrete sie im Wahlkampf, findet Stratievski äußerst gefährlich. „Die Rechtspopulisten bieten eine nicht durchsetzbare emotionalisierte Lösung ‚jetzt und sofort‘ und betrügen damit die Leute“, meint er. Jedoch würde er die Zukunft der EU nicht auf die Wahlergebnisse zurückführen, denn die Schlüsselentscheidungen werden weiterhin nicht im EU-Parlament getroffen, sondern in der EU-Kommission oder dem Europarat.

Liudmila Kotlyarova

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