In Russland steht der August im Ruf, ein Katastrophenmonat zu sein. Dafür kann er natürlich nichts, aber der Putsch von 1991, der Rubelabsturz von 1998, der Untergang des U-Boots „Kursk“ von 2000 oder auch eine Serie von Terroranschlägen im Jahr 2004 – speziell in jüngerer Vergangenheit fielen traumatische Ereignisse in diese Zeit. Jetzt erlebt Russland den ersten Angriff auf sein Territorium seit 1941. Ukrainische Truppen haben in der Region Kursk mehrere Dutzend Ortschaften in ihre Gewalt gebracht. Zehntausende flüchteten oder wurden evakuiert.
Lew Schlossberg ist ein namhafter russischer Oppositionspolitiker und von offiziellen russischen Stellen als „ausländischer Agent“ gelistet. Im Gegensatz zu vielen anderen Oppositionellen hat der 61-Jährige nicht das Land verlassen. Er lebt weiter in seiner Heimatstadt Pskow und ist stellvertretender Vorsitzender der liberalen Jabloko-Partei. Die wurde in den 1990er Jahren drei Mal in die Staatsduma gewählt. Im Russland von Wladimir Putin ist sie jedoch in der Bedeutungslosigkeit versunken und stellt derzeit nur noch elf Abgeordnete in Regionalparlamenten.
„Partei des fremden Bluts“
Schlossberg wurde kürzlich wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun hat er sich zu der Frage geäußert, wie es wohl aus Sicht eines Gegners der herrschenden Verhältnisse zu bewerten sei, dass die Front nicht mehr nur in der Ostukraine verläuft, sondern auch in Westrussland. Auf X griff er die „Partei des fremden Bluts“ scharf an. Wer sich darüber freue, dass jetzt auch in der Kursker Region gekämpft werde und es Opfer unter Soldaten und der Zivilbevölkerung gebe, hoffe offenbar, „unter dem Schutz fremder Panzer“ nach Russland zurückzukehren. Doch solche Leute dürften in einer „friedlichen und menschlichen Zukunft“ keinerlei politische Ämter bekleiden.
Der Post zielte auf russische Politemigranten. Wen er allerdings genau gemeint hatte, ließ Schlossberg offen. Neben begeisterter Zustimmung erntete er auch wütende Kritik aus dem eigenen Lager, die sich nicht auf die sozialen Medien beschränkte. Häufigstes Argument: Niemand freue sich über menschliches Leid – das gelte allerdings für beide Seiten der Grenze.
Tino Künzel