Der Blick des Diplomaten

Erklärungen dafür, weshalb sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland am Boden befindet, gibt es viele. In „Meine Jahre in Berlin“ versucht sich nun der einstige Auslandsvertreter Wladimir Grinin an einer Chronik der vertanen Chancen. Deutschland steht für ihn unter der Fuchtel des transatlantischen Partners.

Damals sah noch vieles anders aus: Im Juni 2010 berät sich der russische Botschafter Wladimir Grinin mit Präsident Dmitrij Medwedew. (Foto: Kremlin.ru)

Wenn Wladimir Grinin die Geschichte seiner Zeit in Deutschland erzählt, dann ist das die Geschichte zweier Länder auf dem Weg in die diplomatische Krise. Nur wenige dürften den Einzug der scharfen Töne näher und persönlicher miterlebt haben als er: Von 2010 bis 2018 vertrat der Russe sein Land als Botschafter in Berlin. Der Ausbruch des bis heute andauernden Ukraine-Kriegs im Jahr 2014 liegt genau in der Mitte seiner Amtszeit.

Als der heute 72-jährige Grinin seinen Dienst in Deutschland antrat, war er unlängst diplomatischer Profi. Wie sein späterer Chef, Russlands Außenminister Sergej Lawrow, hatte er eine Ausbildung beim renommierten Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) genossen. Seine Wege als Botschafter führten ihn anschließend nach Österreich, Finnland und Polen. „Neue, andere Erfahrungen, als ich in den Ländern zuvor hatte sammeln können“, seien Grinin jedoch allein in Deutschland begegnet.

Grinin lässt am Liebsten andere für sich sprechen

Grinin schreibt auch im Jahre 2020 noch als Diplomat: Es sind keine privaten Einblicke, die er liefert, keine tiefgehenden Beschreibungen des Alltags als Botschafter. Im Vordergrund steht stattdessen eine politische Forderung, die er bereits auf der ersten Seite, im Zitat von Matthias Platzeck, zum Ausdruck bringt: „Wir brauchen eine neue Ostpolitik und Russland als Partner“. Es ist die erste von unzähligen wörtlichen Wiedergaben im Buch. Grinin arbeitet sich durch alles mit Rang und Namen in der Bundesrepublik, rekapituliert diplomatische Treffen, öffentliche Stellungnahmen und Zeitungsartikel. Beliebte Zitatgeber neben Platzeck sind etwa Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel oder auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mal soll die Ignoranz des deutschen „Establishments“ offengelegt werden, mal lässt sich der Diplomat die eigene argumentative Schlagrichtung von Fürsprechern der Versöhnung unterfüttern.

„Nach meinem Eindruck existiert in der deutschen Gesellschaft ein weit verbreitetes Bedürfnis nach einer Vertiefung der Beziehungen und der Zusammenarbeit mit Russland“, erklärt Grinin. Immer wieder betont er das enge Verhältnis zwischen den Menschen beider Länder. Der gemeinsamen Kulturgeschichte sowie der wirtschaftlichen Kooperation widmet der Diplomat ganze Kapitel. Er lobt darin deutsche Unternehmen, die sich angesichts der Sanktionen gegen Russland „nicht ins Bockshorn jagen ließen“ und nennt deutsch-russische Erfolgsgeschichten aus seiner Zeit in Berlin.

Auf einer Linie mit der russischen Regierung

Das größte Hindernis auf dem einst eingeschlagenen Weg der deutsch-russischen Partnerschaft sieht Grinin in den USA, mit deren globalen Interessen sich die deutsche Politik „verflochten“ habe. Er beschreibt, wie Russland nach Ende des Kalten Krieges „auf ein international unbedeutendes Land am Rande Europas zurechtgestutzt und damit als Konkurrent ausgeschaltet werden“ sollte. Putins Vision eines eurasischen Wirtschaftsraums sei den Vereinigten Staaten ein Dorn im Auge gewesen, die auch deshalb den „Staatsstreich in Kiew“ mitunterstützten. Russland habe daraufhin „folgerichtig seine nationalen Interessen auf der Halbinsel Krim gewahrt“.

Hiermit befindet sich der ehemalige Botschafter Russlands – wenig überraschend – im harmonischen Einklang mit den Positionen des Kremls. Von ihnen liefert Grinin letztlich eine Zusammenfassung und plädiert an das Einfühlungsvermögen des Westens, indem er ein indisches Sprichwort zitiert: „Nur der Unwissende wird böse. Der Weise versteht.“ Wer in „Meine Jahre in Berlin“ allerdings auch von möglichen Fehlern der russischen Politik lesen will, wird vergeblich suchen.

Patrick Volknant

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