Erst kontrollieren, dann regieren

Sie wurde respektvoll die „eiserne Lady“ genannt: Anfang des Jahres trat Sardana Awxentjewa als Bürgermeisterin von Jakutsk zurück. Ihr Rückzug ist jedoch nur der prominenteste Fall einer Rücktrittswelle, die derzeit durch die rus­sischen Regionen rollt.

Sardana Awxentjewa, die abgetretene Bürgermeisterin von Jakutsk. (Foto: sakhalife.ru)

Sie schaffte den Fuhrpark mit den protzigen Geländewagen ab, stimmte demonstrativ gegen die Verfassungsreform des Präsidenten und wollte sogar ihren Amtssitz zugunsten der Stadtkasse vermieten: Als Bürgermeisterin von Jakutsk machte Sardana Awxentjewa mit ziemlich ungewöhnlichen Entscheidungen auf sich aufmerksam. Schon die Wahl der parteilosen Jakutin im Jahr 2018 sorgte landesweit für Aufsehen. Denn Awxentjewa stach im Wahlkampf um die Hauptstadt der fern­östlichen Republik Sacha (Jakutien) den als gesetzt geltenden Gegenkandidaten der Regierungspartei „Einiges Russland“ aus. Möglich wurde dies durch das in Jakutsk geltende Direktwahlrecht.

Volksbürgermeisterin geht wegen Gesundheitsproblemen

Anschließend reformierte Awxentjewa die schwerfällige Verwaltung, verpasste der Stadt einen strengen Sparkurs und erarbeitete sich schnell den Ruf einer populären Volksbürgermeisterin. Doch nach zwei Jahren an der Spitze der 320.000-Einwohner-Stadt ist nun Schluss. Anfang Januar trat die 50-Jährige zurück. Der offizielle Grund: Gesundheitsprobleme. In Jakutsk glauben jedoch nur wenige an diese Version und vermuten den Kreml hinter der Personalie. Awxentjewas Amtsgeschäfte wurden von einem Kandidaten von „Einiges Russland“ übernommen.

Der Rücktritt der beliebten Bürgermeisterin ist nur der prominenteste Fall eines Trends. In mehreren Landesteilen sind in den vergangenen Monaten allzu unabhängige Stadtoberhäupter unter Druck geraten. Vorangetrieben wird die Entwicklung von den Gouverneuren, welche die Kontrolle in den Regionen intensivieren und nur noch völlig loyale Kandidaten auf den Bürgermeisterposten akzeptieren. Politikwissenschaftler sprechen von einer Vereinheitlichung der Verwaltungshierarchie.

Machtkampf im Nordwesten

Ein Beispiel dafür ist die Republik Komi im Nordwesten Russlands. Seit Herbst des vergangenen Jahres verdichten sich in der Region Gerüchte um einen kurz bevorstehenden Rücktritt von Natalja Chosjainowa, der Bürgermeisterin der Regionalhauptstadt Syktywkar. Lokalen Presseberichten zufolge steht Chosjainowa unter massivem Druck von Gouverneur Wladimir Uba, der sich zu dem Fall öffentlich nicht äußert. Inoffizielle Stimmen berichten allerdings von einem Ultimatum für die Bürgermeisterin. Der Wechsel an der Führungsspitze der Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner stehe unmittelbar bevor.

Auch in Uchta und Usinsk, anderen wichtigen Zentren der Region, sollen die Verwaltungschefs demnach ausgetauscht werden. In allen Fällen handelt es sich um unverdächtige Technokraten aus der lokalen Verwaltung, denen keine eigenen politischen Ambitionen nachgesagt werden. Jedoch gehören sie nicht zur Entourage von Gouverneur Uba, der sich ihrer absoluten Loyalität offenbar nicht sicher ist.

Das Personalkarussell rast immer schneller

Wohl aus ähnlichen Gründen musste Ende 2020 Alexander Wysokinskij, der beliebte Bürgermeister der Industriemetropole Jekaterinburg, seinen Hut nehmen. Zwar zählt Wysokinskij zur regionalen Führung von „Einiges Russland“, ein Mitglied des engeren Kreises von Jewgenij Kujwaschew, dem Gouverneur des Gebietes Swerdlowsk, ist er jedoch nicht. Als sich Wysokinskij bei Auseinandersetzungen mit der Opposition im Stadtrat dann noch Schwäche leistete, galt seine Entlassung als ausgemachte Sache.

Auch im autonomen Kreis der Jamal-Nenzen raste das Personalkarussell. In dem Landstrich am nördlichen Eismeer tauschte Gouverneur Dmitrij Artjuchow bis Ende des vergangenen Jahres rund ein Drittel der Bürgermeister aus. Im selben Umfang setzten die erst im Herbst 2020 gewählten Gouverneure von Irkutsk, Igor Kobzew, und Tscheljabinsk, Alexej Teksler, neue Gemeindechefs ein.

Verlässlichkeit geht vor Kompetenz

Was steht hinter den Personalwechseln? Die „Nesawissimaja Gaseta“ vermutet einen Zusammenhang mit der anstehenden Duma-Wahl im September. Um dem Kreml ein hohes Abschneiden von „Einiges Russland“ zu garantieren, müssten die Gouverneure vor allem die Städte kontrollieren. In diesen wohnen die meisten Wahlberechtigten – und besteht auch das größte Protestpotential. Aus diesem Grund besetzten die Regionalchefs die Bürgermeisterämter verstärkt mit Gefolgsleuten – ohne Rücksicht auf deren Führungsqualitäten. Wichtiger ist bedingungslose politische Verlässlichkeit.

Der Trend käme der „Einebnung der politischen Landschaft durch das politische Zentrum“ gleich, urteilt der Politologe Konstantin Kalat­schow. Die Zeiten, in denen einzelne Städte von oppositionellen oder auch nur unabhängigen Bürgermeistern regiert würden, seien vorbei.

Birger Schütz

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