Einsperren, ausweisen, töten: Duma-Abgeordnete und ihr Gedankengut

Ist es ein Verbrechen, wenn Sportler für ein anderes als ihr Heimatland an den Start gehen? Ein russischer Duma-Abgeordneter wüsste das gern als Landesverrat klassifiziert. Und das ist nur eine von vielen bizarren Ideen, die er und seine Kollegen regelmäßig öffentlich machen.

Im Stadtzentrum von Moskau: Das Gebäude mit der Fahne ist die Duma. (Foto: Tino Künzel)

Als Jelena Rybakina vor einem Monat das Finale von Wimbledon gewann, da freuten sich auch in Russland viele mit ihr. Die 23-Jährige Tennisspielerin tritt zwar für Kasachstan an, stammt aber aus Moskau. Seit 2018 hat sie die kasachische Staatsbürgerschaft. In Russlands südlichem Nachbarland fand sie nach eigenen Worten sehr viel bessere Bedingungen vor, ihren Sport professionell zu betreiben, als das in der Heimat der Fall war. Und während der russische Verbands­präsident Schamil Tarpischtschew noch versuchte, einen gewissen Anteil am Erfolg für Russland und die russische Tennisschule zu reklamieren („Sie ist unser Produkt“), dachte der Staatsduma-Abgeordnete Roman Terjuschkow in eine ganz andere Richtung.

Unter falscher Flagge

Wenige Tage nach dem Triumph von Rybkina in ihrem ersten Grand-Slam-Finale überhaupt schrieb der Parlamentarier auf seinem Telegram-Kanal: Der russische Präsident habe ein Gesetz unterzeichnet, dass das Überlaufen zum Feind in Zeiten militärischer Kampfhandlungen als Landesverrat bewerte. Er, Terjuschkow, finde, dass auch russische Sportler als Landesverräter verfolgt werden müssten, wenn sie unter falscher Flagge starten. Noch stelle das Gesetz die Interessen des Einzelnen über die Interessen der Gesellschaft und des Staates. Das hält der Abgeordnete offenbar für grundfalsch. Sportler, legte er später nach, hätten im Wettkampf nicht sich selbst, sondern ihr Land zu vertreten. Rybakina erwähnte er nicht explizit, der zeitliche Zusammenhang legt jedoch nahe, dass sie mit ihrem Wimbledon-Sieg den Stein ins Rollen gebracht hatte.

Terjuschkow sitzt seit 2021 für die Fraktion der Regierungspartei „Einiges Russland“ in der Duma. Er ist auch Mitglied im Sportausschuss. Die Reaktion auf seine Initiative dürfte ihm nicht gefallen haben. Die namhafte Ex-Eiskunstlauf-Trainerin und heutige TV-Kommentatorin Tatjana Tarassowa sagte gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, er gehöre ins „Irrenhaus“. Die Staatsbürgerschaft zu wechseln, sei das Recht jedes Einzelnen, das mit Landesverrat gleichzusetzen, das „Hirngespinst eines Geisteskranken“. Ex-Schachweltmeister Anatoli Karpow sprach von einer „Idee aus Stalinzeiten oder aus dem Mittelalter“.

Plädoyer für neue Sowjetunion

Doch dass Duma-Abgeordnete sich in der Öffentlichkeit mit Einfällen zu Wort melden, die sich so anhören, als könnten sie unmöglich ernst gemeint sein, ist dann auch wieder nichts Ungewöhnliches. Erst vor wenigen Wochen hat Jewgeni Fjodorow von „Einiges Russland“ sogar einen Gesetzentwurf in die Duma eingebracht, um Russlands Anerkennung der Unabhängigkeit Litauens rückgängig zu machen. Später sollten dann andere Ex-Sowjetrepubliken wie Estland, Lettland und die Ukraine folgen. Sie alle, so der Politiker, seien „gesetzwidrig aus der UdSSR ausgetreten“.

Seitdem kamen weitere bemerkenswerte Äußerungen hinzu. Der Abgeordnete Michail Scheremet (Einiges Russland) regte gegenüber RIA Nowosti die Gründung eines neuen Staatenbundes „nach dem Vorbild der großen und mächtigen Sowjetunion“ an. Die Existenz der Sowjetunion habe der Nato Einhalt geboten, deshalb sei eine Konföderation aus souveränen Staaten in Form eines „militärpolitischen und wirtschaftlichen Blocks“ sinnvoll, um der „westlichen Expansion und Aggression“ entgegenzutreten. Welche Staaten sich diesem Block anschließen könnten, sagte er nicht, meinte aber, das Territorium müsse sich nicht notwendigerweise auf das Gebiet der Ex-UdSSR beschränken.

Haft wegen schlechter Erziehung

Die Abgeordnete Maria Butina (Einiges Russland) sprach sich in einer Talkshow dafür aus, Eltern von schlecht erzogenen Kindern einzusperren. Wobei in dem diskutierten Fall von schlechter Erziehung zeugte, dass sich Studenten der Jekaterinburger Architekturhochschule im Frühjahr mittels einer Petition dafür eingesetzt hatten, ein Transparent mit dem Buchstaben Z von der Fassade ihrer Uni zu entfernen. Dass Butina auf eine entsprechende Frage antwortete, deren Eltern gehörten „natürlich“ hinter Gitter, ging sogar dem berühmt-berüchtigten Moderator Wladimir Solowjow zu weit. „Wir handeln uns eine Diktatur von solchem Ausmaß ein, wie es sie nirgendwo auf der Welt gibt“, sagte er.

Der Abgeordnete Sultan Chamsajew (Einiges Russland) wird von RIA Nowosti mit den Worten zitiert, in Russland lebende Ausländer sollten für „russophobe Äußerungen“ unverzüglich aus dem Land geworfen werden. Russland, so Chamsajew, sei immer offen für Gäste, doch müssten sie „höflich und anständig“ sein. Zuvor hatte sich eine norwegische Konsularbeamtin in einem Hotel im nordrussischen Murmansk eine wahre Schimpfkanonade geleistet. Weil sie warten musste, bis ihr Zimmer bezugsfertig ist, verlor sie völlig die Beherrschung. „Wissen Sie, ich hasse Russen“ und „Dieses Hotel ist eine Schande und ihr Leute im Allgemeinen seid auch eine Schande“ ist auf einem Video zu hören, das ins Netz gelangte.

Der Abgeordnete Wassili Wlassow (LDPR) hat unterdessen die Umbenennung des Kiewer Bahnhofs in Moskau ins Spiel gebracht. Dieser könne ja wieder so heißen wie einst bei seiner Fertigstellung 1918: Brjansker Bahnhof. Brjansk ist eine russische Stadt, etwa auf halber Strecke zwischen Moskau und Kiew.

„Wir bringen euch alle um“

Mit einer sehr speziellen Absichtserklärung hat zuletzt auch Alexej Schurawljow auf sich aufmerksam gemacht. Der Chef einer nicht in der Duma vertretenen Partei namens „Rodina“ (Heimat) gehört dem Parlament seit 2011 als Mitglied wechselnder Fraktionen an und ist Stammgast in den Talkshows des russischen Staatsfernsehens, wo er offenbar für seine markigen Worte geschätzt wird. Jetzt hatte Schurawljow in der Sendung „60 Minuten“ wieder einen denkwürdigen Auftritt. Als ein Beitrag von Bild TV eingespielt wurde, in dem es um den Einsatz der deutschen Panzerhaubitze 2000 in der Ukraine ging, geriet er in Rage und fuchtelte in Richtung des Reporters Björn Stritzel: „Ich möchte diesem Nazi sagen: Wir kommen und bringen euch alle um.“ Als der Moderator Jewgeni Popow ihn ermahnte, er drohe Leuten vor laufenden Kameras, entgegnete Schurawljow: „Genau! Na und?“

Dem Online-Magazin „Podjom“ sagte er nach der Sendung, die Zeiten, als Russland in diplomatischer Form seine „Besorgnis“ zum Ausdruck gebracht habe, seien vorbei. „Die sollen ihre Siebensachen packen und nach Berlin abdampfen und ihre Homoflagge auf dem Reichstag aufstellen“, giftete Schurawljow, offenbar auf deutsche Journalisten in der Ukraine bezogen. Die besagten Haubitzen bezeichnete er als „nazistisch“. Er habe nicht vor, sich einer diplomatischen Sprache zu bedienen. „Sagt die Wahrheit. Wir kommen und bringen euch alle um. Das ist keine Drohung, sondern die Lebenswirklichkeit.“

Tino Künzel

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