„Einfach Menschen“: Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen

Die Stiftung „Einfach Menschen“ unterstützt seit vielen Jahren Menschen mit psychischen Problemen. Im MDZ-Interview spricht die Fundraiserin Anastasija Orlowa über die vielfältige Arbeit der Stiftung, was es heißt, sich ehrenamtlich zu engagieren und wie sich die aktuelle Lage auf die Zukunft der Organisation auswirkt.

EInfach Menschen
Schulung von zukünftigen Ehrenamtlichen (Foto: Prosto ljudi)

Du bist schon lange in Wohltätigkeitsorganisationen aktiv. Wie bist du in diese Welt hineingeraten?
Meine erste Begegnung mit der Wohltätigkeit hatte ich mit 16. Damals bat mich eine Bekannte, in einem Moskauer Hospiz beim Blumenarrangement zu helfen. Ich habe damals eine Ausbildung zur Floristin gemacht. Dort habe ich das erste Mal Ehrenamtliche gesehen. Ihre Arbeit, ihre Gespräche und ihre Begeisterung waren für mich eine Offenbarung. Ich wollte mehr über ehrenamtliche Arbeit und Wohltätigkeit allgemein wissen.


Die Organisation, für die du arbeitest, heißt „Einfach Menschen“ („Prosto ljudi“). Was macht ihr genau?
Ich bin noch nicht so lange bei der Stiftung. Vorher habe ich mit Kindern gearbeitet und jetzt helfe ich Erwachsenen. In Russland gibt es kaum Stiftungen, die Erwachsenen helfen. Das trifft auch für Stiftungen im Bereich mentale Gesundheit zu. Ich halte die Arbeit von „Einfach Menschen“ deswegen für strategisch wichtig.

Einfach Menschen“ hilft Menschen mit verschiedenen psychischen Problemen, von elementaren Problemen bis zu schwerer geistiger Behinderung. Unsere „Begünstigten“ kann man grob in drei Gruppen teilen. Die erste Gruppe sind Menschen mit psychischen Problemen, die sich über die Hotline für psychologische Hilfe an uns gewandt haben.

Die zweite Gruppe sind Menschen mit psychischen Erkrankungen, für die wir ein Rehabilitationsprogramm erstellen: von der Inanspruchnahme eines Psychiaters bis zur regelmäßigen Psychotherapie und den Besuch von Gruppensitzungen.

Das Programm „Mit einfachen Worten“ ist ein kulturelles Bildungsprojekt, das die Lebensqualität verbessert und der dritten Gruppe unserer „Begünstigten“ hilft, den Kontakt zur Welt aufrechtzuerhalten. Diese dritte Gruppe sind Menschen mit geistiger Behinderung, die sich zumeist in Einrichtungen befinden. Dazu gehören psychoneurologische Internate und geschlossene psychi­atrische Kliniken.

Wie finanziert ihr eure Arbeit? Gibt es in der aktuellen Situation noch Unterstützung aus dem Ausland? Und wie wirkt sich das alles auf das Fundraising aus?
Momentan hat die Stiftung keine Sponsoren. Diejenigen, die es gab, können uns aktuell nicht unterstützen. Staatliche Mittel haben wir auch nicht. Die Stiftung lebt gerade einzig von einer früheren Zuwendung von der Stiftung „Absolute Hilfe“.

Die Situation ist nicht einfach. Wie andere Stiftungen auch wollen wir weitermachen. Aber in der aktuellen Situation funktionieren die früheren Instrumente und Strategien nicht.

Die Projekte der Stiftung lösen wichtige Probleme. Wir verhindern die Verschärfung psychischer Erkrankungen, die in naher Zukunft auftreten werden.

Sicher wird es staatliche Unterstützung geben. Wir verstehen, dass unsere Arbeitsrichtung nicht ganz oben auf der Tagesordnung steht, wenn man sich auf die Unterstützung von Geflüchteten konzentriert. Unsere Aussichten sind deshalb erst einmal nebulös.

Wie ist eure Arbeit organisiert? Welche Projekte sind deiner Meinung nach die interessantesten und effektivsten?
Wir arbeiten in verschiedene Richtungen. Jedes Projekt hat sein Team, seine Aufgaben und Ziele.

Da ist etwa das Projekt „Psychologische Aufklärung“, bei dem es um psychologische Bildungsarbeit in den sozialen Medien für ein breites Publikum und das Erstellen einer Homepage geht. Artikel, Webinare und andere Informationen zum Thema psychische Gesundheit, die wir auf die Seite stellen, sind für jeden nützlich.

Beim Projekt „Hotline“ nimmt ein Team aus zehn Psychologen Anrufe aus ganz Russland entgegen. In der Regel sind das Ehrenamtliche mit einer Fachausbildung, die vor Arbeitsbeginn Praktika und Trainings durchlaufen. Sie helfen Menschen mit jeglichen Formen psychischer Probleme.

Dann gibt es noch unser Support Team. Das besteht aus Psychologen und verschiedenen Beratern, also Menschen, die Erfahrung mit psychischen Krankheiten haben und bereit sind, diese mit anderen zu teilen. Das Support Team arbeitet in Moskau und online in ganz Russland.
Das Projekt „Mit einfachen Worten“ wird von einer gesonderten Gruppe von Organisatoren und Psychotherapeuten gemacht.

Das ist eine große und schwere Arbeit, die unter anderem die Koordination von ungefähr 40 psychoneurologischen Internaten und psychiatrischen Krankenhäusern sowie circa 40 Museen und anderen Kultureinrichtungen einschließt. Das Team muss all diese Leute zusammenbringen und Museums-Kunstprogramme in psychoneurologischen Internaten durchführen. Das sind momentan um die 100 Veranstaltungen im Monat.

Was macht ihr im Sommer und welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Im Sommer kehrt in den Projekten in der Regel ein wenig Ruhe ein. Viele unserer „Begünstigten“ und Einrichtungen, mit denen wir arbeiten, haben Urlaub und die Zusammenarbeit wird schwerer.

Das Projekt „Mit einfachen Worten“ wird deswegen ausgesetzt und die Support Teams kommen seltener zusammen. Die Hotline arbeitet aber weiter. Im Sommer können wir unsere Entwicklungsstrategie überdenken, zusätzliche Finanzierungsquellen suchen und Förderanträge schreiben.
Momentan schließen wir nicht aus, dass die Stiftung wegen fehlender Finanzierung ihre Arbeit einstellen muss. Das ist keine Katastrophe. Stilllegungen passieren, so war das auch bei anderen Stiftungen und auch bei unseren Kollegen während der Corona-Pandemie, als alle Einrichtungen geschlossen waren. Auch die ehrenamtlichen Projekte waren ausgesetzt.
Eine vernünftige Kürzung der Ausgaben ist ein normales Szenario. In jeder Situation haben wir die Entwicklungsvarianten A, B und C.

In Variante A machen wir weiter, weil die Nachfrage enorm ist. Wir machen Sachen, die die Menschen wirklich brauchen, aber diese Arbeit muss finanziert werden.

In Variante B lassen wir einen Teil der Arbeit ruhen und machen strategische Ferien, um etwas Neues und Effektiveres in Hinblick auf die Finanzierung zu erarbeiten.

Wir schließen auch nicht aus, dass die Stiftung die schwere Zeit nicht übersteht. Das ist Variante C. Und auf die sollten wir vorbereitet sein. Wir beobachten die Entwicklung der Situation im Land und in der Welt und suchen neue Entwicklungsstrategien. Möglich, dass unsere eventuelle Pause der Startpunkt für neue Projekte ist.  

Wir erwarten einen Anstieg der Erkrankungen und damit auch der Anfragen. Der massive Stress, unter dem die Menschen in Russland gerade leiden, wird leider langfristige Folgen haben. Darauf muss man jetzt schon vorbereitet sein. Wir müssen das Team stärken und ausbilden.

Was für Menschen arbeiten in Wohltätigkeitsorganisationen? Wer sind eure Ehrenamtlichen?
Ehrenamtliche und Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen sind einfach Menschen. Und das ist für mich wahrscheinlich die Grundidee der Wohltätigkeit. Man muss kein Superheld sein oder übernatürliche Fähigkeiten besitzen, um tolle soziale Projekte umzusetzen und gute Dinge zu tun. Oder um seine Arbeit dort gut zu machen, wo sie gebraucht wird und denen zu helfen, die unbedingt Hilfe brauchen. Jeder bestimmt für sich, wie viel Kraft er aufwenden kann. Wirklich jeder kann Gutes tun.

Womit kann man anfangen, wenn man Ehrenamtlicher in einer Wohltätigkeitsorganisation werden will?
Mit der einfachen Frage „Warum will ich helfen?“ Und wie viel bin ich bereit zu investieren? Dann sucht man sich den Bereich aus, der einem am meisten zusagt. Man muss seine Kraft und seine Ressourcen für das Projekt vernünftig einschätzen. Und dann mit denen sprechen, die schon aktiv sind, und selbst anfangen.


Die Fragen stellte Olga Kurilina.

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