Eine besondere Fernarbeit

Das Schicksal eines weitgehend unbekannten Abgeordneten eines russischen Kreistages und dessen Tätigkeit sind es nicht, was im 21. Jahrhundert mediales Interesse auf sich ziehen könnte. Spannend und fesselnd klingt so ein Szenario definitiv nicht. Der Fall von Michail Nossik beweist nun aber genau das Gegenteil.

Das Wohlergehen der Einwohner des Kalarski-Kreistes hängt
von dem in der Ukraine festsitzenden Abgeordneten ab. (Foto: Telegram Sabajkalskij)

Michail Nossik, russischer Abgeordneter im Kalarski-Kreis nordöstlich des Baikalsees, übt seine Tätigkeit seit vier Jahren im Homeoffice aus. Und zwar nicht in Russland aus, was eigentlich logisch wäre – sondern in der ukrainischen Stadt Dnepr, wo Nossik noch 2021 hinzog.

Wie russische Medien Mitte April unisono berichteten, nimmt er von dort per Videoschalte über einen Messenger via VPN an Ratssitzungen teil und stimmt beim Treffen von Entscheidungen ab.

Mit russischem Pass gestrandet

Der Kreistagsabgeordnete soll einen Tag vor Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine angekommen sein und immer noch nicht nach Russland zurückkehren können. Als Gründe für den Aufenthalt werden von einigen Medien Hilfe für Verwandte bei der Enkel-Erziehung und eine Krebs-Behandlung aufgeführt. Nach Angaben Nossiks besitzt er weder ukrainische Dokumente noch die ukrainische Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltserlaubnis. Sein einziges Ausweisdokument sei der russische Pass. 

Der Abgeordnete will zudem bei dem Versuch, seine Rückkehr nach Russland zu organisieren, Kontakt zum Deutschen und Türkischen Roten Kreuz aufgenommen haben. Diese hätten ihm jedoch nicht weiterhelfen können. Auch bei der israelischen Botschaft soll Nossik um Hilfe ersucht haben, sitzt aber weiterhin in der Ukraine fest. Seine genaue Adresse hält er nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen geheim.

Nach vier Jahren ans Licht

Dass der jahrelange Spagat des Abgeordneten zwischen zwei Staaten die Öffentlichkeit erreichte, ist einigen Medienberichten zufolge den Verwandten Nossiks zu „verdanken“. Andere Medienportale schildern, die Situation sei erst im Januar 2025 bekannt geworden, als die russische Staatsanwaltschaft begonnen habe, den Status des Abgeordneten zu überprüfen.

Im März sollen Vertreter des Kreistages demnach per Video Kontakt mit Nossik aufgenommen haben, woraufhin er Einzelheiten aus seinem Leben der letzten vier Jahre offenbart haben soll. Daraufhin soll die Ethikkommission beschlossen haben, dass ein längerer Aufenthalt in einem Land, mit dem Russland in einem militärischen Konflikt sei, die Glaubwürdigkeit des Abgeordneten untergrabe. Schlussendlich sei Nossik empfohlen worden, als Abgeordneter zurückzutreten.

Doch die Mehrheit seiner Kollegen soll sich dagegen ausgesprochen haben. Auch Nossik selbst soll den Wunsch geäußert haben, auf seinem Posten zu bleiben. Warum hat er aber seine parlamentarischen Befugnisse angesichts der Bekanntmachung der heiklen Situation nicht niedergelegt? Sein Amt sei die Entscheidung derjenigen, erklärte Nossik, die ihn gewählt hätten, und er werde deshalb seinen Pflichten weiterhin nachkommen. Zudem arbeitet er seiner Einschätzung nach nicht schlechter als seine Kollegen.

Kollege über Nossik

Laut dem Vorsitzenden des Kreistages, Arkadij Gromow, ist der Abgeordnete eine angesehene Persönlichkeit, einer der Liquidatoren von Tschernobyl und ehemaliger Offizier. Gegenüber dem Portal Chita.ru erklärte Gromow, dass Nossiks Arbeit von ukrainischem Territorium aus keinem russischen Gesetz widerspreche und dass der Abgeordnete per Videoverbindung an allen Sitzungen teilgenommen und keine einzige verpasst habe.

„Die Geschäftsordnung des Rates sieht die Möglichkeit vor, per Videokonferenz an Sitzungen teilzunehmen. Wir haben die Staatsduma um Klärung gebeten; Dies ist nicht verboten, insbesondere unter den Bedingungen des hohen Nordens. (…) Die persönliche Teilnahme ist im Gesetz ,Über die lokale Selbstverwaltung‘ vorgesehen, aber Nossik ist immer in Kontakt“, so Gromow.

Im Geiste Kafkas

Die ungewöhnliche Geschichte über den Abgeordneten eines russischen Kreistages zog die Aufmerksamkeit nicht nur lokaler Medien, sondern auch landesweiter und ukrainischer Medien auf sich. Auch zahlreiche Telegram-Kanäle interessierten sich für den Fall Nossik. Die hohe Resonanz hat der Vorfall vor allem dem Zeitpunkt, als dieser an die Öffentlichkeit durchgesickert ist, zu verdanken.

So schriebt man von einem „absolut schwindelerregenden Schicksal eines Abgeordneten, ganz im Geiste eines Spionagethrillers“. Eines der Portale ist etwa zu dem Schluss gekommen, dass die Geschichte von Nossik für Schriftsteller, die die literarische Tradition der tragikomischen Absurdität im Geiste Franz Kafkas fortführen würden, von Interesse sein könnte.

Viktoria Nedaschkowskaja

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