„Ein Teil des Welterbes“

Zwei herausragende Bauten des frühen 20. Jahrhunderts stehen im Mittelpunkt der Ausstellung „Terragni und Golosow“ im Schtschusew-Architekturmuseum. Der Sujew-Arbeiterclub in Moskau und der Wohnkomplex Novocomum in Como entstanden etwa zur gleichen Zeit und sind als Teil einer internationalen Bewegung zu sehen.

Der Sujew-Arbeiterclub wurde von 1927 bis 1929 errichtet. © Roberto Conte

Die Arbeiten des sowjetischen Architekten Ilja Golosow (1883–1945) und des jungen Italieners Giuseppe Terragni (1904–1943) vom Ende der 1920er-Jahre sprechen dieselbe Sprache: lichtdurchflutete Treppenhäuser, schlanke Geländer und vor allem die markanten Eckzylinder. In Como sind es zwei, beim asymmetrischen Moskauer Bau nur einer. Die Gebäude dienen jedoch ganz unterschiedlichen Zwecken. Hier der Arbeiterclub, der den Angestellten des benachbarten Straßenbahndepots als Kultur- und Bildungszentrum diente, dort der Wohnkomplex.

Noch weiter auseinander liegen die politischen Umstände, unter denen die Bauten entstanden: auf der einen Seite die sozialistische Sowjetunion, auf der anderen das faschistische Italien. Während das neue Bauen in Italien unter dem Label Rationalismus lief, sprach man in der Sowjetunion vom Konstruktivismus.

Und Moskau ist reich an Bauten dieser Epoche. Während Architekturhistoriker sich um deren Erhalt bemühen, genießt der Stil bei den meisten Menschen vor Ort keinen guten Ruf. „Einerseits sind diese Gebäude oft in einem schlechten Zustand, auch weil oft Baumaterialien von schlechter Qualität verwendet wurden, andererseits werden sie häufig mit dem Sozialismus assoziiert“, erklärt Kuratorin Anna Wjasemzewa. „Wir sehen sie jedoch als Teil des Welterbes jener Zeit.“

Ähnliche Ergebnisse unter verschiedenen Voraussetzungen

Über die Ländergrenzen hinweg setzte sich die Idee des Neuen Bauens durch, vertreten durch Le Corbusier in Frankreich, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius in Deutschland. Wjasemzewa erzählt, dass Giuseppe Terragni damals die Bauausstellung auf dem Stuttgarter Weißenhof besucht hatte, was ihn dazu inspirierte, die Entwürfe für seinen Bau noch einmal im Geiste der Moderne abzuändern. „Das Ergebnis sorgte zunächst für einen Skandal.“

Für die Ausstellung „Terragni und Golosow“ hat der italienische Architekturfotograf Roberto Conte eigens eine Serie an Bildpaaren erstellt. Auch ihn fasziniert das Verbindende der modernen Architektur. „Trotz der gegensätzlichen politischen Systeme kamen die Architekten zu ähnlichen Ergebnissen. Sie schöpften aus den gleichen Quellen, lasen dieselben Magazine“, berichtet der Fotograf.

In Italien hatte der Rationalismus übrigens lange ein ähnliches Imageproblem wie der Konstruktivismus in Russland. Er wurde insbesondere in der Nachkriegszeit im Kontext des Faschismus gesehen. Doch mittlerweile hat sich die Situation geändert. Das Novocomum steht unter Denkmalschutz und bei der jüngsten Sanierung wurde penibel darauf geachtet, so Conte. Die Ausstellung im Schtschusew-Architekturmuseum läuft bis zum 5. November. Infos unter muar.ru.

Jiří Hönes

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