Ein Mauerblümchen soll verschwinden

Ein historischer Straßenbahntunnel am Rande der Moskauer Innenstadt sorgt derzeit für Ärger. Das einzigartige Relikt soll im Zuge des S-Bahn-Ausbaus verschwinden. Denkmalschützer sind empört, haben jedoch wenig Hoffnung für den Erhalt.

Eng geht es zu am sogenannten „Artplay-Tunnel“. (Foto: Jiří Hönes)

Ist das wirklich Moskau? Mit seinem etwas abgehalfterten Backsteinportal erinnert der schmale Tunnel in der Nähe des Kursker Bahnhofs eher an Berlin oder Zürich. Der „Artplay“-Schriftzug markiert den Eingang zum gleichnamigen Kreativ-Quartier, das sich hinter dem Bahndamm befindet. Architekturbüros, Designstudios und kleine Galerien haben sich dort auf einem alten Fabrikgelände angesiedelt. Neben den Schienen ist gerade einmal Platz für Fußgänger.

Das Bauwerk entstand im Jahr 1865, als man die Eisenbahnstrecke von Moskau nach Kursk baute. Seither wurde an den Portalen so gut wie nichts verändert. Das ist durchaus eine kleine Rarität in einer so dynamischen Stadt, die sich selbst immer wieder neu erfindet und in der Baustellen zum Alltag gehören. Einzigartig in Moskau ist die Gleisverschlingung der Straßenbahn, die hier die Eisenbahnstrecke unterquert. Weil nicht genug Platz ist, wurden die Gleise für beide Richtungen ineinander verschlungen verlegt. Eine Ampelanlage regelt die Vorfahrt.

Kein Platz im Hochglanz der Hauptstadt?

Doch dem Idyll mit seinem Charme, der so gar nicht zum Hochglanz-Moskau passen will, droht Gefahr. Mitte Juli machten in sozialen Netzwerken Illustrationen eines geplanten Neubaus der Unterführung die Runde. Sie stammten von der Website des Planungsbüros Intermost, auf der das Projekt vorgestellt wurde. Anlass ist der Ausbau der Bahntrasse von sechs auf acht Gleise für das S-Bahn-Projekt „MZD“. Die Illustration zeigt ein kühl wirkendes, schmuckloses Portal, das Platz für zwei Straßenbahngleise und eine Fahrspur für Autos bietet. Ein angrenzendes Haus scheint dem Bau ebenfalls zum Opfer zu fallen.

Der Aufschrei von Architekturexperten ließ nicht lange auf sich warten. Für Rustam Rachmatullin von der Denkmalschutzorganisation Archnadsor stellt der Tunnelbogen gemeinsam mit dem benachbarten Andronikow-Viadukt über die Jausa eine Einheit dar, die die Ingenieursbaukunst des 19. Jahrhunderts veranschaulicht. Der Plan zum Abriss des „Artplay-Tunnels“ sei nur ein Teil des Problems. Insgesamt sei es in Moskau sehr schwierig, Denkmalschutz für Verkehrsbauwerke zu erlangen. Für den Andronikow-Viadukt sei ein solches Ansinnen 2007 gescheitert. Auch der Tunnel am Artplay ist kein eingetragenes Kulturdenkmal.

Dass zumindest ein Entgegenkommen seitens der Baubehörden möglich ist, zeigt das Beispiel des Kalantschewskij-Viadukts am Komsomolskaja-Platz. Die Brücke liegt an der Fortsetzung derselben Eisenbahnstrecke und wurde von dem berühmten Architekten Alexej Schtschussew entworfen. Mit ihren markanten Steinbögen gibt sie dem Platz mit den drei Bahnhöfen sein unverkennbares Gesicht. Da auch hier zwei weitere Gleise nötig sind, muss der Viadukt neu errichtet werden. Zunächst war ein schlichter Betonbau mit einigen Gitterbögen geplant, die Steinbögen Schtschussews sollten verschwinden.

Rachmatullin hat nur wenig Hoffnung

Nach der Intervention von Archnadsor sehen die Pläne nun vor, die Steinbögen zu sichern und beim Neubau wieder zu verwenden. Die Gitterbögen der neuen Brücke ändern zwar die Optik des Platzes, das Hauptmerkmal mit den Granitbögen bleibt jedoch erhalten.

Für den Tunnel am Artplay sieht Rustam Rachmatullin mit der derzeitigen Moskauer Regierung jedoch schwarz. Sein Archnadsor-Kollege Jurij Jegorow hat ebenfalls wenig Hoffnung auf Erhalt des Tunnels. Er ist jedoch der Ansicht, dass der Ausbau auf acht Gleise auch ohne die Rekonstruktion der Unterführung möglich sei. Man könne etwa den Tunnel verlängern oder eine parallele Brücke bauen. Für die Straßenbahn sei der Tunnel jedenfalls kein Hindernis, da hier wenig Verkehr herrsche.

Inzwischen gibt es zwei Petitionen für den Erhalt des Tunnels. Nach den öffentlichen Reaktionen nahm das Planungsbüro die Bilder von der Website. Die Russischen Eisenbahnen teilten mittlerweile mit, es habe sich bei den Abbildungen nicht um abgestimmte Entwürfe gehandelt, sondern lediglich um Skizzen, die die vorgesehenen Platzverhältnisse illustrieren sollten. Auch vom Ausschuss für Architektur und Stadtplanung der Stadt Moskau hieß es, die Umbaupläne seien nicht mit der Behörde abgestimmt worden.

Jiří Hönes

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