Ein deutsches „Prost!“ auf Sibirien

Die sibirische Stadt Tomsk ist ein Ort mit Geschichte und voller Leben. Und mit einer Brauerei, die zu den beliebtesten in Russland gehört. Gegründet von einem Deutschen, ist sie heute im Besitz eines Russlanddeutschen.

Tradition seit 1876: Krüger Bier in Tomsk. © Krüger Bier

Zar Boris Godunow war es, der 1604 die Order erteilte, am Fluss Tom im Herzen Sibiriens eine Stadt zu errichten. Damit ist Tomsk 100 Jahre älter als St. Petersburg und 300 Jahre älter als die heutige politische Hauptstadt Sibiriens, Nowosibirsk. Sibirische Tataren verliehen dem Ort das immer noch gültige Stadtsymbol – ein sich aufbäumender Schimmel. Denn die Nomaden waren hochgeschätzte Züchter edler Pferde.

Über die Jahrhunderte wuchs Tomsk in einer Architekturvielfalt, besonders auch in Holzbaustilen, die ihresgleichen landesweit sucht. Etwa 1800 stehen noch auf schwierigem, oft schwammigem Taigaboden. Manche entsprechend krumm und schief, sind nach wie vor bewohnt oder dienen als Arbeitsstätten. Ihre Erhaltung wird aktiv durch großzügige, kommunale Förderprogramme und Privatinitiativen gesichert. Ein besonders beeindruckend schönes, ehemaliges Herrenhaus beherbergt seit 1995 die Begegnungsstätte der Russisch-Deutschen Gemeinschaft.

Stadt und Universität sind eins

Am 16. Mai 1878 war von Zar Alexander II. die Gründung der ersten Universität jenseits des Urals mit Sitz in Tomsk angeordnet worden. Fast genau zwei Jahre nachdem der norddeutsch-preußische Staatsbürger Karl Krüger aus dem Dorf Kaltenborn auf eine Anzeige der Stadt dort schon seine Brauerei aufgebaut hatte. Sinnigerweise auf dem späteren Gelände der Hochschule, deren Hauptgebäude dann am 26. August 1880 eingeweiht wurde. Der weltberühmte Chemiker Dmitrij Mendelejew hat zur Gründungsurkunde beigetragen, der nicht minder bekannte Mediziner und Nobelpreisträger Iwan Pawlow hat hier gelehrt, genau wie eine ganze Phalanx anderer hochgeachteter Professoren aller Fachrichtungen, darunter viele russlanddeutscher Herkunft.

Vier Jahre später wurde der deutsche Brauer allerdings von der Stadtverwaltung aufgefordert, an einen anderen Standort umzuziehen. Es wird gemunkelt, man habe damit den sozusagen vor der Unitür angebotenen Bierkonsum der Studentengemeinde etwas eindämmen wollen. Heutzutage zählt die Tomsker Staatliche Universität sechs verschiedene Staatshochschulen und noch weitere Institutionen für höhere Bildung. Fast ein Drittel der Tomsker Bevölkerung von rund 544 000 (15 000 Russlanddeutsche) sind mit dem Universitätsleben verbunden, darunter allein 89 000 Studierende und ihre über 4000 Lehrkräfte.

Die Tomsker Bürger sagen stolz: „Wir haben keinen Campus in der Stadt, die ganze Stadt ist ein Campus.“ Der national wie international gute Ruf der Tomsker Universität beruht auch besonders auf ihren Leistungen im zukunftsorientierten Software Engineering und ihrer Innovationskraft im technologischen Bereich. Ihren steilen Aufstieg hat die Universität von Beginn an dem segensreichen Zusammenwirken von hier in der Verbannung lebender Intellektueller und dem Kapital ansässiger Geschäftsleute zu verdanken.

Krüger Bier war immer mittendrin

Und Krüger Bier war immer irgendwie mit dabei. Erstmals angezapft vom Deutschen Karl Krüger und noch 143 Jahre später vom russlanddeutschen Iwan Klein, seit 2013 auch wiederholt gewähltes Stadtoberhaupt von Tomsk, und seiner russischen Ehefrau Galina als Generaldirektorin, beides ehemalige, langjährige Mitarbeiter des Hauses. Karl Krüger, gelernter Brauer, hatte nach seinen ersten Erfolgen schnell seinen Neffen Robert nachgeholt und ihm seine Firma 1895 überschrieben. Der konnte den stetig wachsenden Betrieb bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 führen. Nachdem er aber nach einem Krankheitsaufenthalt in Deutschland nicht mehr nach Russland einreisen durfte, hielt seine Frau Alexandra die Familienfirma wegen des damaligen Prohibitionsgesetzes mit der Produktion eines Gerstenkaffeegetränks mühsam über Wasser. 1926 wurde die Brauerei endgültig verstaatlicht, die Zeit der Krügers war vorbei.

1985 kam der erste Arbeitstag des Iwan Klein, geboren in Kasachstan, bei ehemals Krüger als Mechaniker mit Ingenieursdiplom. Ums Bierbrauen ging es dann ab 1987 nach der Anti-Alkohol Initiative unter KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow nun weniger. Krüger hieß jetzt „Fabrik für Erfrischungsgetränke“. Bier als solches gab es nur höchst inoffiziell. Trotz aller staatspolitisch bedingten, verlustreichen Irrwege hielt der heute 60-jährige Iwan Klein zu seinem angestammten Betrieb und brachte es 1991 zum Direktor.

Neufindung nach der Wende

Nur ein Jahr später bescherte die Privatisierung ihm und den verbliebenen Mitarbeitern 51 Prozent der Aktien. 1994 wurde er zum Generaldirektor gewählt – heute besitzen die Kleins bei weitem die absolute Mehrheit des Vorzeigeunternehmens. Stolze 50 Millionen Euro wurden in den letzten zehn bis 15 Jahren investiert, wie er sagt. Rund 800 Tomsker arbeiten heute mit. Fast alle Maschinen und Ausrüstungen für einen modernen Brauerei- und Getränkebetrieb wie „Tomskoje Piwo“ („Tomsker Bier“), der heutige Name des Krüger Stammhauses, kommen aus Deutschland.

Der Hopfen wächst ebenfalls auf deutschem Boden. Und selbstredend wird Krüger Bier, inzwischen als einer der größten Brauereien im ganzen Land, das aber auch nach Kasachstan, China und in die Mongolei exportiert wird, strikt nach dem bayerisch-deutschen Reinheitsgebot von 1516 gebraut. Also ist alles, was Bier zu echtem Bier macht, wieder fest in deutscher Hand – in 40 süffigen Geschmackssorten. Im letzten Jahr konnten zwei Millionen Hektoliter an Bier, Kwas und alkoholfreien Getränken verkauft werden.

Das Bier ist auch bei Prominenten beliebt

Ein Gespür für Sinnlichkeit und Lebenslust gehörte schon um die 19. Jahrhundertwende zu Tomsk wie das Bier von den deutschen Krügers. Die zentrale Akimowskaja Straße (heute Schischkowa Straße) war gesäumt von schmucken, gar offiziell vom Gesundheitsamt betreuten Freudenhäusern. Auch gern besucht vom Arzt, Schriftsteller und Dramatiker Anton Tschechow, der bei seinem Aufenthalt in Tomsk 1890 auch die Trinkfestigkeit der lokalen Intelligenzia durchaus schätzte.

Richtig und ewig stolz aber sind die Bürger und ihr jahrzehntelanger russlanddeutscher Gouverneur Wiktor Kress, dass Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel samt zahlreicher Minister beider Seiten 2006 hier ein Russisch-Deutsches Gipfeltreffen abhielten. Die beiden Staatslenker hatten ein vertrauliches, nicht weniger als dreistündiges Tête-à-Tête im traditionellen Gasthaus „Der ewige Ruf“. Nomen est omen – wäre in diesen Zeiten doch wohl längst mal wieder angesagt, so ein gemeinsames, auflockerndes Krüger Bier, finden auch viele Tomsker.

Frank Ebbecke

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