Die Wismut: Günter Ducke muss da mal etwas richtigstellen

Günter Ducke hat 33 Jahre bei der Wismut gearbeitet. Ungefähr genauso lange dauert inzwischen sein Kampf um ein differenziertes Bild des sowjetisch-deutschen Uranerzbergbaus, so wie er es sieht. Auch mit 90 Jahren erhebt der Sachse weiter Einspruch, wo es ihm geboten erscheint. Und das ist keine Seltenheit.

Wismut-Veteran Günter Ducke zu Hause in Chemnitz-Grüna (Foto: Tino Künzel)

Zur Wendezeit, erzählt Günter Ducke, habe ihn einmal ein Berater aus dem Westen gefragt, ob er sich nicht schuldig fühle. Weshalb denn, habe er zurückgefragt, er sei seiner Arbeit bei der Wismut nach bestem Wissen und Gewissen nachgegangen. „Aber Sie haben mitgeholfen, dass die Sowjetunion die Bombe bauen konnte“, sei die Antwort gewesen. Für Ducke ist die Episode ein Beispiel für jene meinungsstarke Unwissenheit, die ihn so empört. „Wenn Leute, die keine Ahnung haben, uns sagen, was wir zu tun und zu denken haben.“ In dem „gängigen Bild“, das von der Wismut vermittelt werde, findet er sich jedenfalls nicht wieder.

Nein, Günter Ducke fühlt sich nicht schuldig. Die Wismut, jenes sowjetisch-deutsche Bergbauunternehmen, das von der Nachkriegszeit bis zum Ende der DDR vor allem im Erzgebirge Uranerz abbaute, ist für ihn – bei allem Für und Wider – eine Erfolgsgeschichte. Und er ist stolz, dazu beigetragen zu haben. Von 1958 bis 1991 hat der heute 90-Jährige bei der Wismut gearbeitet, die weitaus meiste Zeit im Gesundheits- und Arbeitsschutz, und zwar an verantwortlicher Stelle in der Generaldirektion im damaligen Karl-Marx-Stadt. Staub, Asbest, später auch die Luftbelastung, das waren seine Themen. Gegen die DDR (und die Sowjet­union) hatte er nichts. Aber er war auch keiner, der große Reden geschwungen hätte. Vielmehr hat ihn die Arbeit begeistert: „Ich bin nicht mit dem ,Neuen Deutschland‘ durch die Gegend gelaufen, sondern mit Fachbüchern.“

Post für den MDR

Heute lebt der frühere Bergbau-Ingenieur am Rande von Chemnitz, unweit seines alten Arbeitsplatzes. Seit 25 Jahren ist er nach einem Schlaganfall, der den ambitionierten Hobbyläufer völlig unvorbereitet traf, halbseitig gelähmt. Doch seinen Computer kann er auch mehr oder weniger mit einer Hand bedienen. Und so bekam der „Mitteldeutsche Rundfunk“ (MDR) nach einer Sendung seines Nachmittagsmagazins LexiTV im Jahr 2007 Post von Ducke.

Der Beitrag handelte von der Wismut und trug den Titel „Atomstaat im Nebel“ (hier eine archivierte Textversion). Ducke schrieb, die Sendung habe ihn „enttäuscht, ja geradezu erschreckt“. Höflich im Ton, aber unerbittlich in der Sache, kritisierte er, was er immer kritisiert: dass absolute Aussagen über die Wismut getroffen würden, so als habe sie sich über die Jahrzehnte nicht verändert. Und dass unbestreitbare Probleme wie Gesundheitsgefährdungen oder auch Umweltschäden nicht im Kontext zumindest ähnlicher Zustände im Braun- und Steinkohlebergbau in Ost wie West dargestellt würden.

Der MDR gab sich in einem zweiseitigen Antwortschreiben durchaus dialogbereit, auch wenn „der Vorwurf der Voreingenommenheit, der Ignoranz und der schlechten Recherche“ zurückgewiesen wurde. „Seitdem haben die zur Wismut nichts mehr gemacht, wahrscheinlich haben sie Angst, dass ich noch lebe“, scherzt Ducke. Auch in Bezug auf „Tausend Sonnen“ hat er in einem Briefwechsel eine „einseitige Betrachtung“ beklagt. Das Theater-Koopera­tionsprojekt der Bürger:Bühne am Staatsschauspiel Dresden und der Theater Chemnitz hatte Ende 2022 Premiere. Es lebt von persönlichen Erfahrungen mit der Wismut und will explizit unterschiedlichen Sichtweisen Raum geben.

Die „wilden“ Anfänge

Dass die Wismut nur schwerlich auf einen griffigen Nenner zu bringen ist, liegt wohl schon in der Natur der Sache. Ihre Anfänge nach dem Krieg waren teils chaotisch und standen im Zeichen von Reparationen, von militärischer Führung und von ungeheurem Zeitdruck. Die Sowjetunion wollte die Atombombe der Amerikaner mit ihrer eigenen kontern, dafür brauchte sie Uran. Das war im größten Land der Erde nur in geringer Menge verfügbar. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, hatten in der späteren sowjetischen Besatzungszone bereits die Amerikaner, die wenige Wochen vor der Roten Armee in Thüringen und Sachsen einmarschierten, Erkundungen zu Uranfunden eingeholt. Doch die galten damals als relativ perspektivlos.

Erst als die sowjetischen Besatzer in großem Stil alte Stollen aus der Zeit des Silberbergbaus auffahren ließen, zeigte sich, dass im Erzgebirge und angrenzenden Regionen ergiebige Vorkommen schlummerten. Der Urangehalt des Erzes war zwar vergleichsweise gering, sodass unter marktwirtschaftlichen Bedingungen kein rentabler Betrieb möglich gewesen wäre. Doch das spielte keine Rolle. Denn mit der Sowjetunion war der – einzige – Abnehmer garantiert.

Und so wurde zunächst ein rein sowjetischer Staatsbetrieb mit dem bewusst irreführenden Namen Wismut gegründet. Geheimhaltung war oberstes Gebot und blieb es in der einen oder anderen Form bis zur Wende.

Loyale Stammbelegschaft

Jene „wilden Jahre“ werden manchmal mit dem Goldrausch des 19. Jahrhunderts in den USA verglichen. Um die 100.000 Menschen wurden herangeschafft, um in den vielen kleinen Gruben zu schuften. Fachleute waren Mangelware, die meisten stammten aus der Sowjetunion, aus Zwickau, Oberschlesien und dem Sudetenland. Ansonsten machte es die Masse. Günter Ducke spricht von einem „kleinen Babylon“ und einer „bunten Mischung von Menschen verschiedenster Berufe, Lebensschicksale, politischer, religiöser und kultureller Anschauungen“. Viele, die nun Arbeitskollegen wurden, hatten sich wenige Jahre zuvor noch feindlich mit der Waffe in der Hand gegenübergestanden.

Doch mit der Zeit, so Ducke, habe sich eine „hochqualifizierte, mit Betrieb und Tätigkeit eng verbundene Stammbelegschaft“ herausgebildet. „Schuster, Schneider und Frisöre werden bei der Wismut Ingenieure“, habe man damals gereimt. „Viele, die für ein halbes oder ein Jahr zur Wismut geschickt worden waren, blieben Jahrzehnte, ein Berufsleben lang.“

1954 wurde aus der sowjetischen eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft, SDAG. Ducke mag den Begriff „Staat im Staate“ nicht. „Wir waren ein ganz normaler volkseigener Betrieb, nur eben mit zwei Herren.“ Der hatte nur noch halb so viele Beschäftigte wie zuvor, doch dafür ging es nun geordneter zu.

Gesundheitsrisiken „systematisch gesenkt“

Bis sich 1991 die nur mehr deutsche Wismut GmbH daran machte, die Hinterlassenschaften des Uranerzbergbaus zu sanieren – eine Aufgabe, die längst nicht abgeschlossen ist –, kommt Ducke auch für seinen eigenen Arbeitsbereich zu einem positiven Fazit. Die Staubkonzentration sei „systematisch gesenkt“ worden. Damit habe man auch die berüchtigte Silikose wirksam bekämpfen können, eine Lungenerkrankung, die als „schleichender Tod“ bekannt wurde: Betroffene starben letztlich in der Stille eines Krankenzimmers an Atemnot oder Herz- und Kreislaufversagen. Bei der Wismut, sagt Ducke, sei es gelungen, „die jährlichen Neuzugänge an Silikotikern zu minimieren und die Verlaufsform der Erkrankung zu mildern“, sodass Betroffene ein durchschnittliches Lebensalter erreichten. Der allergrößte Teil der schweren Fälle gehe auf die Gründerjahre der Wismut zurück.

Förderturm von Schacht 371 bei Aue, dem einst tiefsten Bergwerk Deutschlands. Heute gehören die vergleichsweise gut erhaltenen Anlagen zum Weltkulturerbe Montanregion Erzgebirge. (Foto: Wikimedia Commons)

Mit einigen seiner ehemaligen russischen Kollegen steht Günter Ducke bis heute in Kontakt. Die dortigen „Wismutjane“ betreiben auch eine eigene Webseite namens Wismut.su. Im April haben sie ihre elfte „Tagung“ abgehalten. Doch gefühlt jede zweite Nachricht ist inzwischen ein Nachruf. Die sowjetisch-deutsche Wismut ist schon lange Geschichte, auch wenn sie viele Beteiligte nicht loslässt.

Für immer „Glück auf“

Ducke freut sich, wenn er sein Russisch anwenden kann. Die Sprache hat er gelernt, als die DDR den Absolventen der Arbeiter- und Bauernfakultät zum Studium nach Moskau schickte. Von 1953 bis 1958 studierte er an der Kalinin-Hochschule für Buntmetalle und Gold. Moskau ist dem gebürtigen Dresdner, der die letzten Kriegsjahre noch sehr bewusst miterlebt hatte, in dieser Zeit ans Herz gewachsen. Nur zum Leben wäre es nichts für ihn gewesen: Es war ihm zu flach.

Als er in die DDR zurückkam, musste Ducke feststellen, dass die in der Sowjetunion von Chrusch­tschow eingeleitete Entstalinisierung hier noch gar nicht recht begonnen hatte. Doch dann stürzte er sich in die Arbeit, wurde Zeuge, wie Arbeitsplätze bei der Wismut zunehmend als attraktiv galten. Besondere Vorteile habe er indes nie genossen, sagt er heute. Wie viel Zeit seitdem auch vergangen ist: Der für das Erzgebirge so typische Bergarbeitergruß „Glück auf“ ist ihm wohl für immer in Fleisch und Blut übergegangen.

Tino Künzel

Wismut-Erbe: Der erste Kulturpalast der DDR

Der einstige Kulturpalast für die Wismut-Kumpel wird aktuell zu einer gehobenen Wohnanlage umgewidmet, hat aber seine äußere Form weitgehend behalten. (Foto: Tino Künzel)

Die Spuren der Wismut-Ära sind in Mitteldeutschland bis heute zahlreich. Und es handelt sich dabei nicht nur um ehemalige Förderstätten. Im Chemnitzer Ortsteil Rabenstein ließ die sowjetische Betriebsleitung Anfang der 1950er Jahre einen „Kulturpalast der Bergarbeiter“ anlegen, der mit seiner für die damalige Zeit so typischen neoklassizistischen Fassade auch in Workuta oder Nowokusnezk stehen könnte. Er war allerdings innen besonders großzügig ausgestattet, allein der Theatersaal fasste 950 Gäste. Zur offiziellen Einweihung 1951 kam Ministerpräsident Otto Grotewohl. Es war der erste Kulturpalast in der DDR.

Damit nicht genug, entstand vis-á-vis ein „Haus für Körperkultur“ mit Turn- und Schwimmhalle, wo viele Rand-Chemnitzer das Schwimmen gelernt haben. Das Bauensemble mit sowjetischer Handschrift wurde von einem Springbrunnen und einer Grünanlage komplettiert. Schon 1967 trennte sich die Wismut allerdings von der ganzen Pracht. Der Kulturpalast wurde vom DDR-Fernsehen übernommen, das dort zahlreiche Unterhaltungssendungen drehte.

Nach der Wende trat der MDR die Nachfolge an, allerdings nur, bis die neue Sendezentrale in Leipzig fertig war. Nach 2000 verfielen der Bau und das Gelände zusehends. Jetzt baut ein Immobilienunternehmen dort exklusive Wohnungen ein, die sich großer Nachfrage erfreuen. Die Ex-Schwimmhalle gegenüber ist bereits bewohnt.

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: